Auf Samtpfoten durch die Ewigkeit

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Rebecca

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Ich jage nicht gerne am Tag. Gerade jetzt im Sommer ist es unerträglich warm draußen. Ich gehe lieber nachts auf die Suche nach Beute, denn das macht doch erheblich mehr Spaß. Natürlich bräuchte ich als Hauskatze nicht unbedingt auf Mäusejagd gehen. Schließlich habe ich ein liebes Frauchen, das mich füttert. Mein Frauchen schläft tagsüber immer und das ist genau nach meinen Geschmack. Abends, wenn sie aufgestanden ist, gibt sie mir mein Futter. Das Jagen ist nur ein Hobby von mir. Ich bin ja eine Katze, das ist meine Pflicht. Wie gewöhnlich machte ich es mir auch an diesem Tag an meinem Lieblingsplatz unter dem Schreibtisch gemütlich. Plötzlich hörte ich ein seltsames Geräusch. Es war eine Art Kratzen an der Hintertür. Durch meine Katzenklappe war ein anderes Tier gekrochen. Ich schlich mich so leise wie möglich heran. Wer wagte es, mein Haus zu betreten? Vorsichtig und ganz leise kam ich näher. Dann sah ich ihn. Es war ein großer, braun gestreifter Kater. Was wollte der in meinem Revier? Fauchend und kratzend fiel ich über ihn her. Er wehrte sich heftig. Eigentlich sind solche Kater viel kräftiger als ich, denn ich bin eine Katze. Doch dieser Kater war schwach. Er knurrte nur verängstigt. Gut, dachte ich, lassen wir ihn sich erst einmal ausruhen. Dann setzte er sich hin und jammerte:
„Ich wollte doch nur etwas zu Fressen. Ich habe seit Tagen nichts gehabt und jetzt bin ich völlig ausgehungert. Bitte, schöne Dame, gebt mir etwas ab!“
Ich blieb immer noch in Angriffsstellung. Man konnte ja nie wissen. Aber dieser Streuner war anscheinend tatsächlich auf der Suche nach Fressen. Er blickte mich mit müden Augen an. Da konnte ich nicht anders, denn er tat mir so leid.
„Gut, dann komm mit in die Küche! Mein Frauchen schläft zwar noch, aber es wird noch etwas von gestern übrig sein“, meinte ich.
Der Kater folgte mir. Ich zeigte ihm meinen Napf, es war noch etwas drin. Er stürzte sich auf die restlichen Happen Katzenfutter von der vergangenen Nacht. Er schlang es in seine Schnauze. Seine Tischmanieren waren nicht gerade die besten. Doch ich konnte darüber hinwegsehen.
„Wie heißt du eigentlich?“ wollte ich wissen.
„Man nennt mich Julius. Ich bin ein Freigänger, das heißt, dass ich auf der Strasse lebe. Dadurch bin ich unabhängig und frei. Und du, wie heißt du?"
„Ich heiße Minka. Ich wohne schon seit ich ein kleines Kätzchen war bei meinem Frauchen hier. Sie hat mich in einer Kiste am Straßenrand gefunden. Seitdem leben wir zusammen.“
„Gefällt es dir hier?“
„Ja. Sie sorgt für mich, streichelt mich und liebt mich. Was will man mehr?“
„Aber, dann bist du doch immer gebunden. Kannst nicht weg, bist abhängig von den Zweibeinern. Sie öffnen dir zwar täglich eine Dose, aber fehlt dir die Freiheit nicht?“
„Ich habe die Freiheit, die ich brauche. Ich kann durch die Katzenklappe kommen und gehen, wann ich will. Mir geht es sehr gut.“
Julius schaute nur zum Fenster. Natürlich war das Leben einer richtigen Straßenkatze viel aufregender als meines, aber tauschen wollte ich auch nicht. Ich war sehr zufrieden. Hier im Haus hatte ich meinen Platz unter dem Schreibtisch, an dem mein Frauchen nach Sonnenuntergang immer sitzt, während ich zu ihren Füssen liege und schnurre. Wenn es mir zu langweilig wird, dann gehe ich raus auf die Jagd. Mein Frauchen verschwindet dann manchmal auch hinaus in die Nacht und kommt erst gegen Morgen wieder. Wir kehren gemeinsam zurück ins Haus und ich kuschle mich zu ihr auf das Bett. Ihr Schlafzimmer ist völlig dunkel über Tag. Manchmal habe selbst ich Mühe, mich dann in der Dunkelheit zurecht zu finden. Aber ich kenne das Haus und die Zimmer sehr gut. Ich weiß, wo alles steht.
Julius konnte das nicht recht verstehen. Er war die Freiheit gewöhnt und das Leben in den Straßen. Er hatte mit den Zweibeinern nur schlechte Erfahrungen gemacht. Wurde oft von ihnen geschlagen und fortgejagt. Mein Frauchen war immer lieb zu mir. Ich konnte seine Meinung nicht teilen. Als er satt war, bedankte er sich bei mir und wollte wieder gehen. Ich begleitete ihn zur Klappe. Dann fragte ich vorsichtig:
„Warum willst du nicht hier bleiben?“
Er lachte laut. „Nein“, meinte er ,“das würde deinem Zweibeiner sicherlich nicht passen.“
„Doch, sie liebt Katzen. Sicherlich würde sie auch dich aufnehmen.“
„Nein. Ich bin eine Straßenkatze. So werde ich auch sterben.“
„Sterben, was ist das?“ fragte ich neugierig. Ich kannte das Wort nicht. Welche Bedeutung hatte es?
„Na, sterben halt. Abtreten. Mäuse sterben, wenn du sie tötest und frisst. Und so sterben wir auch einmal. Ohne gefressen zu werden. Jedenfalls nicht in diesem Land. Dein Zweibeiner wird auch mal sterben. Sie leben allerdings sehr viel länger als wir. So achtzig Jahre kann ein Zweibeiner schon werden. Keiler, der fette Kater von den Summers drüben, wurde zwanzig. Stolzes Alter. Aber wir Straßenkatzen werden nicht so alt. Zu gefährlich ist unser Leben.“
„Ich habe die Zeit nicht gezählt. Mein Frauchen tut das auch nicht. Aber ich erinnere mich noch an Pferdekutschen. Man musste gut aufpassen, damit man nicht unter die Hufen geriet. Aber diese Autos! Pfui! Sie stinken und machen Krach. Nicht auszuhalten.“
„Kommst wohl vom Land. Da gibt es Pferde. Mein Cousin wohnt dort. Frisst die Mäuse auf dem Bauernhof. Guter Job. Ich kenne nur die Autos. Muss jetzt weiter, vielleicht sieht man sich noch mal.“
Er ging. Wir sahen uns noch einige Male. Er kam immer im Winter zu mir.Dann wärmte er sich an der Heizung und erzählte mir die Neugigkeiten aus dem Viertel. Doch mit der Zeit wurde er immer kränker. Immer öfters klagte er über Gelenkschmerzen. Bald konnte er nicht mehr richtig jagen. Ich versuchte, ihn zum Blieben zu bewegen, aber er lehnte ab. Irgendwann kam er dann nicht mehr. War einfach fort. Eine Nachbarkatze erzählte mir, er sei im Wald tot zusammengebrochen. Die Zweibeiner hätten ihn fortgeschafft. Ich hatte das noch nie verstanden. Alle Katzen um mich herum waren eines Tages fort. Nur ich nicht. Ich war immer noch dort. Im selben Haus in der selben Strasse. Für mich hatte sich wenig verändert. Nur die Welt um mich herum schien sich ständig zu verändern. Ich kuschle mich jeden Tag an mein Frauchen und warte, das sie am nächsten Abend aufwacht. Dann steht sie auf und gibt mir mein Futter. Neben den Fressnapf stellt sie immer eine Schale mit roter Flüssigkeit, die sie aus ihrem Arm holt. Es schmeckt gut.
Ich schlecke die Schale gerne leer, weil ich mich danach einfach großartig fühle. Ich bin dann voller Energie. Zum Dank streiche ich meinem Frauchen um die Beine. Sie selbst trinkt nur diese rote Flüssigkeit. Doch die holt sie sich aus den Armen anderer Zweibeiner.
 

jon

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Wunderbare Idee!

Wenn nun noch der Stil (vor allem am Anfang) ein wenig geschmeidiger (nicht so viele ultrakurze Sätze, weichere inhaltliche Übergänge, gnadenlos raus mit Dopplungen) würde – katzenartiger so zu sagen – wäre es richtig Klasse…
 



 
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