Auferstehung

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Ubertas

Mitglied
Einst trat ich vor den Spiegel und stellte fest, es bilden sich bereits einige Runzeln auf meiner Haut. Ich überlegte mir, auf welcher Speisekarte ich noch landen würde, nachdem man mir feinsäuberlich die Schale abgetrennt hat. Da ich nichts selbst entscheiden konnte, überließ ich mein Schicksal der Zukunft.
Am nächsten Morgen hatten sich - von den einzelnen Runzeln abgesehen - bereits großflächige Flecken gebildet. Vielleicht war ich zuvor zuviel Lauge ausgesetzt? Ich wusste, Seife jeglicher Art, das trocknet aus!
Keineswegs.
Ich bin nicht schäbig und aus mir wuchsen auch noch keine verdächtigen Austriebe. Jedenfalls habe ich es nicht bemerkt. So gelang es mir noch einige Zeit, zwar vollkommen ignoriert - trotz allem nicht entsorgt zu werden.
Es vergingen endlose Tage, das Runzeln, mein Flecken bilden, Nächte, in die mich mein schwindendes Verbleiben gedrängt hatten. Fast ließ es mich innerlich verwelken.
Da ich nun sehr viel an Masse verloren hatte, beschloß ich mein trübsinniges Dasein zu beenden. Ich entwickelte einen absolut unübertrefflichen Plan: sobald und insofern das Schütteln einsetzt, wäre ich durch meinen wochenlangen Schwund, die Erste, ganz bestimmt!
So horchte ich dem eisigen Aufziehen und Schließen des Gefrierschranks. Stille herrschte in der Vorratskammer. Noch ein letztes Rascheln der Fertigsuppe, der blecherne Klang einer geleerten Konservendose verhallte.
Ein kurzes Stolpern.
Und ich ließ mich aus dem Kartoffelsack fallen. Als reife Frucht.
 

surrusus

Mitglied
Schaurigschönes Bild, liebe Ubertas.
Zerfall und Alterung sind Dinge, die auch ich derzeitig mitbekomme. Und der ganze Kram, der damit einhergeht.

Aber jetzt von Kartoffeln mal zu reden: Was mich an Kartoffeln immer faszinierte... Egal wie verschrumpelt manch eine aussah... Sie hatte Austriebe.
Wenn das kein (widerstandsfähiger) Kern des Lebens ist, was dann?
 

Ubertas

Mitglied
Lieber surrusus, danke für die vielen Sterne :) Davon abgesehen, und für mich ein weitaus wichtigerer Grund, dir zurückzuschreiben ist deine Erwähnung der Kartoffel. Ganz genau! Sie hat Austriebe, selbst im anscheinlichen Prozess des Verfalls. Sie ist resistent, du kannst sie selbst in Stücke reißen und mit etwas Glück keimt aus ihr eine neue Pflanze/stets dieselbe mit neuem Gewand=DNS.
Ach wie schön ist es, verstanden zu werden! Du erkennst den Kern des Lebens. Die fünf Sterne gehen an dich. Es lebe der Widerstand. Ohne Austriebe wären wir verloren.
Und ich liebe Kartoffeln. Du auch?
 

Ubertas

Mitglied
Selbst fest kochend, hier gibt es schließlich die wenigstens Überraschungen (!), eignen sie sich bestens für Kartoffelsalat. Und mit sehr viel Kochzeit und dem richtigen Werkzeug werden selbst sie zu Püree. Obwohl zu Brei geschlagen, haftet die Widerstandsfähigkeit an. Nur Milch und Butter können daran wirklich noch etwas ausrichten :)
Trotz "Auferstehung", durch die nachhaltig (ich Krauq das Adjektiv vom Sonnenauf- bis zum Untergang) entstandene Unterhaltung mit dir, hab ich jetzt ein Lächeln im Gesicht.
 

surrusus

Mitglied
Und mit sehr viel Kochzeit und dem richtigen Werkzeug werden selbst sie zu Püree.
Ja klar, platt und zermatscht bekommst du die schon hin. Butter ist halt auch ein Muss! Und ein Mü Salz. Butter ist mächtig, unglaublich mächtig.

Trotzdem gehören die festkochenden für mich in die Kategorie Kartoffelsalat oder als Auflauf überbacken in den Backofen. Käse drüber als Himmel, viel Gemüße und Gehacktes, lol. Oder die Kartoffeln mit Alufolie umwickelt, ungeschält in den Backofen. Oh mein Gott. Mit Bohnen und Käse. Jetzt bekomme ich Hunger...

entstandene Unterhaltung mit dir, hab ich jetzt ein Lächeln im Gesicht.
Das ist schön! Schreiben verbindet!
Jetzt geht es in die Heia. Habe noch einen schönen Abend, Ubertas. :) Wir lesen uns!
 

Ubertas

Mitglied
Ein lyrischer Kochtopf, jamm! Käse, Hackfleisch, Bohnen, nicht weiterdenken....
Genauso ist es :) es verbindet und das ist wirklich schön: Verstanden zu werden, bevor man es selbst ganz versteht .
Gute Nacht.

Und wir lesen uns!
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Ubertas,
mir gefällt wie konkret du hier formulierst. Keine halbgaren (haha) Sprachbilder. Du lässt dich hier ganz aufs Kartoffelsein ein. Dabei sind dir sehr witzige Gedankengänge gelungen. Am besten gefällt mir:
Ich überlegte mir, auf welcher Speisekarte ich noch landen würde, nachdem man mir feinsäuberlich die Schale abgetrennt hat. Da ich nichts selbst entscheiden konnte, überließ ich mein Schicksal der Zukunft.

Kleinigkeiten:
Ich entwickelte einen absolut unübertrefflichen Plan: sobald und insofern das Schütteln einsetzt, wäre ich durch meinen wochenlangen Schwund, die Erste, ganz bestimmt!
Ist das wirklich ein Plan? Für mich klingt es eher nach einer Hoffnung, da die Kartoffel hier ja selbst nichts macht.

Einst trat ich vor den Spiegel und stellte fest, es bilden sich bereits einige Runzeln auf meiner Haut.
Das ist vielleicht etwas umgangssprachlich. Besser "...dass sich auf meiner Haut Runezln bilden"

Viele Grüße
lietzensee
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @lietzensee,

Vielen lieben Dank für deine Worte sowie deinen feinfühligen Blick auf meinen Text. Ich freue mich sehr über deine konstruktive Kritk. Du hast Recht, vielleicht ist es nur eine Hoffnung oder lediglich eine Erwartung. Das Umgangssprachliche lasse ich der Kartoffel, da sie aus einer sehr persönlichen Lage spricht. Anders wäre es natürlich besser formuliert :)

Liebe Grüße ubertas.
 

Ubertas

Mitglied
Hallo @Tonmaler,

Danke für deine Nachricht. Das "Stolpern" ist gewollt, sonst würde die Kartoffel letztendlich nicht aus dem Sack fallen...
Ich denke, die Kartoffel hält sich den inneren Spiegel vor.

Liebe Grüße, ubertas.
 



 
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