aufgestört

2,00 Stern(e) 1 Stimme

Perry

Mitglied
Hallo JaneFond,

nach dem Lesen des Textes interpretiere ich den Titel "aufgestört" einerseits als "aufgeschreckt" (Schneeeulen) und andereseits als "verstört", wegen der (gnadenlosen) Abfolge von "sommerleicht" und "Abschied."
Gut gefällt mir auch das zeilenübergreifende Wechseln der Bildaussagen.
LG
Manfred
 
F

Frodomir

Gast
Hallo JaneFond,

nachdem ich bei deinem letzten Gedicht ja das Problem hatte, zu viele unverdichtete Verse vorzufinden, die mir kaum ermöglichten, selbst Bilder, Gefühle und Gedanken zu entwickeln, scheint hier der Verdichtungsgrad ungleich höher.

Mir hilft das mehr, das Gedicht nicht einfach wegzulesen und dann zu vergessen, sondern hier muss ich mich tatsächlich damit beschäftigen, und das finde ich gut.

Trotzdem erreicht mich das Geschriebene nicht wirklich, und ich möchte herausfinden, woran das liegt. Aber wie immer der Reihe nach:

aufgestört
zähle ich die Winter
Dein Gedicht beginnt mit einer Jahreszeit und funktioniert als eine Art Rück- oder Vorblick, denn um Winter zählen zu können, müssen es mehrere sein, entweder vergangene oder noch kommende. Ich interpretiere durch den Titel angeregt, dass es sich um noch kommende Winter handeln könnte, vielleicht hat das Lyrische Ich nicht mehr viele zu erleben?

in deine schwarzen Haare
legt sich Schnee
Diese beiden Verse funktionieren zusammen gut, aber es beginnt in meinen Augen auch das Problem deines Gedichtes deutlich zu werden - die Kohärenz. Dabei liegt meiner Meinung nach eine Schwachstelle in der grammatischen Struktur. Denn du verzichtest ja gänzlich auf Interpunktionen, was natürlich dazu führt, dass dein Gedicht extrem fließend gelesen werden kann und man gleichsam gewollt oder ungewollt ins Stocken gerät, weil man sich an Zeilensprüngen oder Apokoinu aufhalten muss. Dass ist natürlich kein prinzipieller Nachteil, aber es muss auch funktionieren.

Ich empfinde aber schon den Übergang vom ersten auf den zweiten Vers als schwierig, denn durch das fehlende Satzendzeichen wird der Eindruck erweckt, Vers 2 müsste inhaltlich in einer Beziehung zu Vers 1 stehen. "Zähle ich die Winter in deine schwarzen Haare" wäre aber eine Sentenz, die für mich kein besonders schlüssiges Bild erzeugt. Man könnte höchstens noch schreiben "in deinen schwarzen Haaren", aber so richtig sinnvoll wird es wohl trotzdem nicht.

Dennoch: Vers 2 und 3 zusammengenommen sind für mich recht lyrisch, ich habe den farblichen Gegensatz (schwarz - weiß) und einen poetischen Ausgangspunkt, auf den sich nun dein Gedicht gründen muss.

auf meine Stirn
wie Girlanden hängen
Sterne in deinen Augen
leuchtend und verträumt
Vers 3 bezieht sich nun offensichtlich auf Vers 2 und 4. Mein Problem ist hier vor allem inhaltlicher Art: Denn die Information, die ich erhalte, ist meiner Meinung nach eher belanglos und sogar schwer vorstellbar. Denn nun liegt Schnee auf schwarzen Haaren und auf der Stirn, von der, liegt das Lyrische Ich nicht gerade, selbiger aber wieder herunterrutschen müsste. Leider verspielst du in meinen Augen die oben beschriebene Ausgangsposition, in dem du mit dem nächsten Bild an der Oberfläche bleibst und keine lyrische Tiefe erreichst.

Dies liegt nicht nur am benannten Bild, sondern auch an der Satzstruktur, die nicht funktionieren will. Deine Zeilensprünge verbinden immer zwei Verse miteinander, nimmt man aber das Konglomerat, erschließt sich kein sinnvoller Zusammenhang. Was funktioniert, ist das:

aufgestört
zähle ich die Winter
in deine schwarzen Haare
legt sich Schnee
legt sich Schnee
auf meine Stirn
Was nicht funktioniert, ist das:

zähle ich die Winter
in deine schwarzen Haare
legt sich Schnee
auf meine Stirn
Dieses Kohärenzproblem hat für mich als Leser zur Folge, dass ich bislang keine richtige Idee, keinen roten Faden in deinem Gedicht erkennen kann.

Leider bleibt dies auch so, denn im Gedicht wird das Winterbild verlassen, um zu den Sternen zu kommen. Diese werden charakterisiert als Girlanden - ein Bild, welches sich in meinem Kopf einfach nicht verbinden lässt. Sterne sind Punkte am Himmel, wie können diese wie Girlanden in Augen hängen?

Auch wenn in meinen Augen dieses Bild nicht passt, finde ich den Versuch bemerkenswert, mit einer bildlichen Beschreibung dem Leser einen Gedanken näher bringen zu wollen. Meiner Meinung nach wäre dies ein Weg, den weiter zu beschreiten sich durchaus lohnt.

Die nächsten Verse zeigen, warum:

leuchtend und verträumt
sommerleicht hennafarben
schlingen sich Tücher
um deinen Hals
Hier nämlich nutzt du 4 Adjektive zur Beschreibung der Tücher bzw. vielleicht auch noch zur Beschreibung der Sterne oder Augen. Dies finde ich nicht grundsätzlich schlecht, nein, es wird mir sogar ein Gefühl von Leichtigkeit vermittelt, aber trotzdem fehlt es mir an lyrischem Esprit, den der übermäßige Gebrauch von Adjektiven nicht ausgleichen kann. Würde nicht auch ein Adjektiv reichen? Meiner Meinung nach muss man bei einer solchen Aufzählung nämlich aufpassen, sich nicht im Reduntanten zu verlieren.

Zu den Adjektiven, die ja die Leichtigkeit beschreiben, setzt du dann das Verb schlingen. Schließt sich das nicht aus? Vielleicht wäre hier ein beschwingteres Verb besser, etwa spielen oder bewegen.


verwehen die Zeiten
In meinen Augen ist das die beste Zeile in deinem Gedicht und die einzig wirklich kohärente Stelle. Die leichten Tücher, die die Zeiten verwehen - das ist ein wirklich schönes Bild! Hier habe ich viele Anknüpfungspunkte zum Fühlen, Erinnern und vielleicht auch zum sehnsüchtig Schwelgen. Das liegt meiner Meinung nach daran, weil du hier ein konkretes Bild (die Tücher) mit einem gehaltvollen Abstraktum (die Zeiten) verbindest und dazu ein passendes Verb findest (verwehen).

Leider definierst du die Zeiten dann im nächsten Vers und nimmst mir als Leser dann einen Großteil meiner Interpretationsspielraums.

Am Ende holst du doch das Winterbild wieder hervor, in dem du die Schneeeulen ins Spiel bringst.

rufen die Schneeeulen
ohne Unterlass
deinen Namen
Das ist natürlich gut, denn damit erzeugst du ein geschlosseneres Bild, auch wenn das wohl nicht mehr über die fehlenden Verbindungen im Gedicht hinwegretten kann. Grammatisch und damit eben auch inhaltlich bleibt es aber wirklich zweifelhaft, denn der Schneeeulen-Vers bezieht sich noch als drittes Glied einer Aufzählung noch auf die Adjektivfolge in Vers 7 und 8:

1. Glied:

leuchtend und verträumt
sommerleicht hennafarben
schlingen sich Tücher
um deinen Hals
2. Glied:

leuchtend und verträumt
sommerleicht hennafarben
verwehen die Zeiten
der schmerzhaften Abschiede
3. Glied:

leuchtend und verträumt
sommerleicht hennafarben
rufen die Schneeeulen
ohne Unterlass
deinen Namen
Würde man den Eulen-Vers nicht auf die Adjektive beziehen, würden sie grammatisch völlig separiert stehen und noch weniger Sinn ergeben. Dennoch offenbart auch diese letzte Passage eine interessante lyrische Idee, problematisch ist eben nur die Einbettung dieser in den Gesamtzusammenhang, der meiner Meinung nach eben nur sehr sporadisch als solcher zu erkennen ist.

Insgesamt empfinde ich dieses Gedicht als Steigerung gegenüber dem letzten, welches ich von dir kommentierte. Das liegt daran, dass du dich bemühtest, den Text verdichteter zu gestalten. Damit hast du erreicht, dass es dieses Mal kein Prosatext geworden ist und dein Gedicht somit in der richtigen Rubrik aufgehoben ist. Ich hatte leider trotzdem keinen großen Lesegenuss, weil das durchaus vorhandene lyrische Potenzial vor allem in Vers 1, 11 und am Ende des Gedichtes nicht gut miteinander kombiniert wurde und damit ein eher fragmentarischer Eindruck für mich entstand.

Ich hoffe, dir nicht zu Nahe getreten zu sein und verbleibe mit vielen Grüßen.

Frodomir
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Porträt mit interpretierendem Beipackzettel

Voranmerkung:
Warum werden die ungereimten Flatterrandprosastücke so umfangreich kommentiert, meine gereimten Gedichte aber mit Nichtachtung bestraft? Sind die so vollkommen, daß man sich nicht dran stoßen kann? Das geht schon seit Jahren so.

Zu diesem Gedicht:
leuchtend und verträumt
das ist Kitsch, zwar nur ein bißchen, aber in der ungereimten Fraktion absolut verboten. Wenn schon streng, dann bitte ohne solche Sahnehäubchen.

verwehen die Zeiten
der schmerzhaften Abschiede
Dieser Doppelvers fällt aus der Metaphern- und Bilderfolge der anderen Verse heraus, denn er macht eine Behauptung über Abstrakta: die "Zeiten" und die "schmerzhaften Abschiede".
Das Attribut "schmerzhaft" interpretiert, läßt den Leser nicht frei, und noch schlimmer die "Abschiede".
Daß Zeiten "verwehen" ist eine etwas abgenutzte Formulierung, und hier paßt es nicht in das Porträt, das die anderen Verse zu entwickeln scheinen.
 



 
Oben Unten