Augen

Bo-ehd

Mitglied
Vorlesung von Professor Robinson an der University of Oxford über die Symbolik der Farben




Ich möchte nun zum Schluss meiner Ausführungen noch kurz Stellung nehmen zur Farbe Braun, wie ein Zwischenrufer vorhin lautstark gefordert hat. Braun als Farbe steht in keinem besonderen Ruf, wie Sie alle wissen. Sie hat keine Chance in der Mode, egal ob Kleidung, Möbel oder Autolackierung oder in der Werbung, und wenn wir beim Spazierengehen mit ihr konfrontiert werden, dann meistens deshalb, weil wir, … nun ja, hineingetreten sind.

Grinsen unter den Studenten.

Trotzdem habe ich persönlich eine sehr starke Beziehung zu Braun, und das hat gute Gründe.

Professor Robinson schaut auf die beiden Studentinnen in der ersten Reihe, grinst und fährt nach einer kurzen Pause fort.

Lassen Sie mich von Jooly erzählen, und sehen Sie mir bitte nach, wenn ich dabei ins Schwärmen gerate. Seit sie bei mir ist, fasziniert mich ihr hübsches Gesicht. Die makellose Form, die ausgeprägten Wangen, die feine Nase, vor allem aber ihre braunen Augen rauben mir zeitweise den Atem.

Ausnahmslos alle weiblichen Zuhörer schmunzeln.

Die braunen Augen, ja, ich gebe es zu, sie betören mich. Wenn ich hineinschaue, ergreift mich ein Gefühl, das zu beschreiben mir alles abverlangt. Dabei sind braune Augen doch etwas ganz Alltägliches, oder?

Nicht diese Augen, und nicht dieses Braun mit seiner unvergleichlichen Tiefe! Wenn ich sie mit anderen Augen vergleiche, komme ich nicht umhin, die feinen Nuancen herausstellen, die die besondere Wirkung auf mich entfalten. Warum ist das so? Weil möglicherweise etwas Magisches von ihnen ausgeht? Vielleicht ist es so wie ein Blick in die Glaskugel? Ich weiß es nicht. Ich bin mir nur sicher, dass mir diese Augen etwas erzählen wollen, vielleicht ist es das Geheimnis, dass das Wissen, das in mir schlummert, sich in meinem Unterbewusstsein festgesetzt hat und nur mühsam an die Oberfläche zurückkommt. Es könnte auch die Geschichte der Farbe Braun sein.

Die Farbe Braun – was soll sonst schon Besonderes von ihr zu berichten sein, werden Sie sich fragen. Sie steht für die Erde, für Bodenständigkeit, für eine besondere Bindung an die Mutter Natur, die uns ernährt und uns ein so wunderbares Leben ermöglicht. Richtig, all das kann man überall nachlesen. Es ist Allgemeinwissen, mehr nicht. Aber das reicht mir nicht. Was diese Farbe mir vermitteln will, liegt tiefer.

Wenn man Erde nur oberflächlich begreift, ist sie nicht mehr als fruchtbarer Boden. Dabei ist sie eines von vier Elementen, also ein Teil der Schöpfung. Jedem Element ist bekanntlich eine Symbolfarbe zugewiesen. Für Wasser ist es Blau, für Feuer Rot, für Luft Gelb und für die Erde ist es Braun. Erde ist der Inbegriff von Dauerhaftigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit, ist Wahrer von Traditionen und Symbol für Beständigkeit. Und: Erde ist das friedlichste aller Elemente, wenn sie aber gereizt wird, kann sie mit Erdrutschen und Beben die gewaltigsten aller Kräfte mobilisieren.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also, dass die unscheinbare Farbe Braun, die weder Spektralfarbe ist noch (folglich) im Regenbogen vorkommt, weder eine bedeutende Staatsflagge ziert noch auf sonst irgendeine Weise durchschlagend in Erscheinung tritt, durchaus eine größere Bedeutung für einen Menschen haben kann. Das Dritte Reich sei an dieser Stelle einmal als ruhmloses Beispiel genannt.

Damit möchte ich schließen. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Professor Robinson schaut in das Publikum und presst, während er schelmisch grinst, die Lippen leicht zusammen, als hätte er soeben von einem Geheimnis berichtet, dessen Lüftung jedem versagt bleibt.



*



Als sich der Hörsaal fast geleert hatte, trat ein Student auf Robinson zu. „Herr Professor, entschuldigen Sie, aber ich hätte da noch eine abschließende Frage“, sagte er mit aller Höflichkeit.

„Ja, bitte, was wollen Sie noch wissen?“

„Wer eigentlich ist Jooly? Ich bin vielleicht einen Moment nicht aufmerksam genug gewesen“, entschuldigte sich der junge Mann vorsorglich.

„Es ehrt Sie, dass Sie fragen“, antwortete der Professor. „Jooly ist mein Hund, eine zehnjährige Golden-Retriever-Dame, ganz ohne Zweifel meine allerbeste Freundin.“

„Oh!“

„Was haben Sie denn gedacht!? Haben Sie allen Ernstes geglaubt, dass ich so von meiner Frau spreche?“



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Anmerkung: An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass, folgt man dem Klischee, dem gemeinen Briten nichts mehr bedeutet und wichtiger ist als sein Hund. Ehefrau und Kinder rangieren auf den nachfolgenden Plätzen.
 
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