AURUM 7/11

Michael Kempa

Mitglied
Vor der Flut


März, 14867 Jahre vor Christus



Istar war keine Echse mehr, sie betrachtete sich im Spiegel und war zufrieden. Neue Kleider waren nötig, ihre Gestalt war kleiner aber immernoch groß für eine menschliche Frau. Der Gleiter wurde zu ihrem Sorgenkind, die Metalle zeigten Mikrofrakturen, die Dichtungen waren alle porös. Jahre vergingen im Hangar von Shangri.
Einfache atmosphärische Flüge konnte das Gerät nach gründlicher Revision schaffen, in den Orbit konnte sie damit nicht. Ka versorgte sie mit Informationen und es wurde endlich Zeit Shangri zu verlassen.
In Tanekata erwartete sie Katena, Vorsteher der Universität. Katena ließ seine Beziehungen spielen, Istar erhielt eine Stelle als Lehrerin für Bepflanzung und Ackerbau. Die Stelle reichte für eine bescheidene Unterkunft im Hafengebiet von Tanekata, der Residenz des Fürsten. Im Bergland gab es bald eine Plantage der Bäume, von denen das Gummi gewonnen werden konnte, das Istar so dringend brauchte. Einige Früchte konnte die Gelehrte, so war ihr neuer Titel, anbauen und für die Märkte verbessern. Ein besonderer Erfolg gelang ihr mit der Banane, die kleinen, ungenießbaren Knubbel formte die Gelehrte des Anbaus zu marktreifen Früchten.
Einmal im Jahr ließ sich der Fürst von Tanekata herab, die Universität zu besuchen. Lustlos hörte er sich die Vorträge über Zahlenkunde an, er schaute durch die Teleskope und staunte belustigt über die Darstellungen der Sternsysteme. Dann wandelte er seine jährliche Audienz in eine Ausstellung für das Volk um. Es war ein kleines Fest für die Bürger von Tanekata. Bald mussten die Besucher, die aus den Bergen kamen Eintritt bezahlen. Der Fürst hielt eine kurze Rede zum Beginn der Ausstellung und verschwand.
Nach einigen Jahren zitierte er am Ende der Ausstellung die Gelehrten in seinen Palast. Das Gold, das im Palast die Augen blendete, war prunkvoll zur Schau gestellt. Die Gelehrten standen im Halbkreis und warteten lange auf den Fürsten. Dann hielt er eine Rede.
„Ihr seid nun das Beste was Tanekata zu bieten hat? Ich werde euch nun sagen, was ihr für mein Reich bringt - Nichts! Ich bin euer Fürst. Ich bin der Khan!“ Der Fürst nahm eine braune Banane vom Tisch und schleuderte sie auf den Boden. „Wer will das fressen? Was soll dieses nutzlose Zeug? Ich brauche Waffen um das Reich zu vergrößern. Ich brauche Schiffe, die im Krieg nicht sinken! Ich brauche Fahrzeuge für schwere Transporte und ich brauche Strategien für den Krieg! Was nutzen dem Reich schöne Zahlenkolonnen? Was habe ich davon, dass Planeten um die Sonne kreisen?“ Der Khan machte eine ausschweifende Handbewegung in Richtung Katena. „Dein nutzloses Pack liegt mir auf der Tasche! Es bringt nichts. Kümmert euch um den Krieg, verbessert die Waffen und erfindet Dinge, mit denen ich meine Feinde in die Knie zwingen kann! Wenn ihr das nicht könnt, werdet ihr verschwinden!“
Der Khan erhob sich von seinem goldenen Thron, verließ den Saal und ließ die Wissenschaftler schockiert zurück.
Istar war klar, dass sie die Stadt verlassen musste. Sie hatte die Wahl, den Despoten zu beseitigen oder seiner Gewalt auszuweichen. Auf einen Kampf wollte sie sich nicht einlassen.

Von Tanekata fuhren Schiffe in die bekannten Länder der Welt um Handel zu treiben. Die Fracht bestand aus Metallen, Glas und auch zu einem Teil aus Früchten, die in den Zielländern nicht wuchsen. Die Früchte waren empfindliche und verderbliche Ware, die besonderen Umgang erforderte. Auf der Reise mussten die Lebensmittel kontrolliert werden, ein Teil verdarb noch vor dem Ziel und ging über Bord. Das waren große Verluste für die Händler. Katena vermittelte eine Reise für die Gelehrte zum Land am Fluss des Nil.
Istar begleitete die Fahrt als Gelehrte. Am frühen Morgen bestieg sie mit vielen anderen Crewmitgliedern den Katamaran.
Die Seefahrt hatte sich entwickelt, die Größe des Schiffs überraschte die Gelehrte. Hätte sie es nicht besser gewusst, würde sie das Schiff für eine Insel halten. Erst am Abend war der Segler für die Abfahrt bereit. Schlepper zogen den Katamaran auf das offene Meer, dort entfalteten sich die Segel. Mit dumpfen Schlägen blähten sich die Windflächen, ein Zittern durchfuhr die Struktur der Schwimmkörper. Auf der Suche nach ihrem Quartier bewegte sich die Gelehrte zum Bug des Gefährts. Die Suche gestaltete sich zu einer ausgedehnten Wanderung. Zum Sonnenuntergang erreichte Istar den Bug des Schiffs, dort wo sich dutzende Reisende in der großen Freifläche vor dem offenen Meer in einer unbestimmten Bedeutungslosigkeit verloren. Der Kontinent war nicht mehr zu sehen, vor den Seeleuten lag nichts als das offene Meer, der Wind blies stark und warm in die Gesichter der staunenden Menge. Das Gefühl dieser mächtigen Gewalt der Elemente und die enorme Größe des Katamarans überwältigte die Gelehrte und nur der Anblick der vielen Mitreisenden beruhigte die Emotionen, die sehr stark in Istar aufflammten.
Dann kamen die Ordner, erfahrene Seeleute, die sich um die Neulinge kümmerten. Die Versammlung wurde aufgelöst, die neuen Reisenden eingesammelt und zu den Quartieren gewiesen. Die Strahler in den Masten erhellten das Deck. Istar bezog ihre Unterkunft erst nachdem sie einen strammen Marsch zum Heck des Schiffs hinter sich hatte. Auf ihrer Koje lag eine Bilderschrift, die ihr eine Vorstellung vom Ablauf der nächsten Tage gab.
Nach einem sparsamen Frühstück war ihre Meldung beim Lademeister angeordnet, zusammen überprüften sie die Ladung der Lebensmittel die im Nilland verkauft werden sollten.
„Wie werden diese grünen Dinger genannt, wie willst du das am Nil verkaufen?“
Die Gelehrte reagierte belustigt auf die Frage des Lademeisters. Der Meister probierte eine Frucht, kaute auf der zähen Schale und spie die Probe auf den Boden. „Ungenießbar!“
Istar zuckte mit den Schultern und verkniff sich das Lachen. Es gab allerdings Ware, die vorsichtig behandelt werden musste, ein Lüftungskonzept wurde vereinbart um giftige Ausgasungen der Früchte zu beseitigen. Dem Lademeister war das Problem bekannt, in der Vergangenheit hatte es schon Unfälle gegeben.
Auf dem Katamaran gab es große, freie Flächen zwischen den Masten und Istar konnte einige Pflanzen in die Sonne stellen. Nun sah der riesige Katamaran wirklich wie eine schwimmende Insel aus und viele Seeleute kamen um sich das exotische Ladegut anzuschauen.
Die Verluste am Handelsgut waren gering, der Pflegeaufwand hielt sich in Grenzen, mit ihren Helfern konnte Istar die nötige Hege der empfindlichen Pflanzen gut bewältigen. Ein Problem war allerdings die Bewässerung. Das Schiff hatte genug Trinkwasser gebunkert um die Menschen zu versorgen, doch für die Körperpflege gab es nur das salzige Wasser aus dem Meer.
Mit dem Schiffsingenieur besprach die Gelehrte das Problem und es war klar, dass auf dieser Reise nicht mehr mit frischem Trinkwasser gerechnet werden konnte. Aus Trotz baute Istar eine kleine Verdunstungsanlage über der Plantage aus der sie ein paar Liter Trinkwasser destillieren konnte. Demonstrativ prostete sie dem Schiffstechniker zu und nahm einen gehörigen Schluck aus der Destille.

Das Wetter war günstig, die Winde wehten stets aus brauchbaren Richtungen und die 16 Masten mit den riesigen Segeln knarrten satt im Wind. Über 8000 km legte der Segler zurück, nach 27 Tagen war das Ziel erreicht und die Bananen reif.
Im Land am Nil wurde die Ladung gelöscht, zuletzt die Pflanzen von Deck gebracht. Die Vorbereitungen für die Rückreise wurden durchgeführt. Kräne löschten die Ladung, die Wassertanks wurden gereinigt und neu befüllt, Proviant geladen. Auf dem Land ging die Arbeit für die Gelehrte aus Tanekata weiter. Die bekannten Früchte waren schnell verkauft, die Bananen wurden bei den reichen Höfen ein Geheimtipp, der teuer bezahlt wurde. Glasmünzen tauschte Istar in Gold um, das Metall wog sie in der Hand. Es war ein verwirrendes Gefühl, dieses Aurum als Währung zu betrachten, wusste die Königin aus Cela doch wie es mühsam gewonnen wurde und für welchen Zweck es eigentlich bestimmt war. Aurum klingelte in ihrer Kasse, ein Metall, das ihre Heimatwelt dringend benötigte um zu überleben. Das Metall, das ihre Leute brauchten um Luft zum Atmen zu haben und nicht von den solaren Strahlen vernichtet zu werden.
Die Königin fühlte den Verrat, sie fühlte die beißende Schuld ihres Versagens.
Mit dem Kapitän vereinbarte sie ihre Rückreise mit einem anderen Handelsschiff. Es war eine Vorankündigung nötig, frühestens in einem halben Jahr konnte die Gelehrte mit ihrer Rückreise rechnen. Es war genug Zeit um eine profitable Rückreise zu planen.

Im Land am Nil hatte Istar genug zu tun und genug zu sehen, seit ihrem letzten Besuch hatte sich viel geändert, neue Techniken standen bereit und das Reisen im Reich war angenehm.
Die Städte konzentrierten sich am Flusslauf und an den Ufern des Mittleren Meeres. Auf dem flachen Land lebten wenige Bauern, die im Reich nicht besonders gut angesehen waren und als rückständig galten.
Istar traf sich mit der Ministerin, die für den Handel zuständig war. Die beiden Frauen verstanden sich gut und Istar war von den tiefgrünen Augen der Handelsministerin beeindruckt. Istar spürte die reptiloide Herkunft der Ministerin und es wunderte sie nicht, die Enkelin von Karina vor sich zu sehen.
Merina, die Handelsministerin vom Nil, verlieh Istar den Titel einer Senatorin, einerseits um sie zu schützen und andererseits, um ihr gebührende Ehre zu erweisen.
Die weiteren Reisen führten die Senatorin wieder nach Allesandria, wo sie die Bibliothek besuchte. Die Schrift hatte sich entwickelt, es gab einheitliche Zeichen. Die Bibliothek war mit Pergamenten gefüllt und fast dem gesamten Wissen dieser Zeit. In der Umgebung hatten sich Schulen der Weisen niedergelassen, von weit her kamen Menschen zum Lernen. Einer der Lehrer befasste sich mit Informationen, er träumte davon, über weite Strecken Nachrichten zu übermitteln. Die Probleme waren gewaltig und brachten die Gelehrten zur Verzweiflung. Ein Versuch bestand darin, von Türmen mit Flaggensignalen Botschaften zu versenden. Eine Teststrecke wurde eingerichtet und die Botschaft mit einfachem Inhalt war fast eine Stunde unterwegs. Ein Reiter hätte für die Strecke einen halben Tag benötigt. Die Botschaften kamen jedoch verstümmelt bei den Empfängern an, eine sichere Übertragung war einfach unmöglich.
Istar genoss das Leben in Allesandria, sie lebte gerne mit den Wissenschaften und sie unterhielt sich in den Dialekten des Landes am Nil. Sie kannte die Forscher aus Tanekata und Atlantis.
Allesandria war nun der Nabel der Welt und die Wissenschaft war in dieser Stadt am Meer zu Hause.

Merina war oft in Allesandria, zusammen mit den Gelehrten bauten sie eine Stadt des Wissens. Dann kam Katena hinzu und bat Merina um Zuflucht. Das Leben war für ihn in Tanekata unerträglich geworden, der Herrscher unterdrückte jede freie Wissenschaft und bedrohte sein Leben. Zusammen mit Katena lehrte die Senatorin über die Elektrizität. Die Übertragung von Energie und Information blieb lange ein Thema von Forschern, die keine Ergebnisse vorweisen konnten. Die Senatorin entschied sich für einen drastischen Weg. Istar bereitete ein Experiment vor, das endlich den Durchbruch in der Elektrik bringen sollte.

Vor großem Publikum, mit Merina und Katena an ihrer Seite ließ sie in der Dämmerung generierte Blitze krachen. Nach der imposanten Vorstellung forschte jeder, der sich einen Namen in der Wissenschaft einbringen wollte, auf dem Gebiet der Elektrik. Funken stoben, Magnete drehten sich, Wasser wurde heiß.
Bald stand auf der großen Pyramide eine riesige Antenne. Die zur Stadt Atlantis gewandte Seite der Pyramide, wurde als Empfänger genutzt. Die kleine Pyramide war verschwunden, Aurum wurde schon lange nicht mehr übertragen. Zur Verbesserung der Stabilität wurde die große Pyramide zum Teil abgetragen, nun war sie noch knapp 400 Meter hoch, hatte dafür aber eine praktische Plattform.
Nach einigen Jahrzehnten gelang der Durchbruch, eine Funkverbindung nach Atlantis wurde eingerichtet. Einfache Signale wurden übertragen und die Forscher einigten sich auf Regeln, die einen rudimentären Datenaustausch ermöglichten. Tanekata war nicht so fortschrittlich, doch nahm gelegentlich an Versuchen teil. Es wurde klar, dass technische Fortschritte mit anderen Bereichen der Wissenschaft verbunden werden mussten. Die Zahlenkünstler übersetzten Nummern und Schriftzeichen in ein System des Minimalen. Die Schriftzeichen „Plus“ und „Minus“ wurden eingeführt. Binäres Rechnen blieb lange geheimes Wissen und wurde nur von wenigen Menschen verstanden. Doch dann, knapp einhundert Jahre nach dem die ersten künstlichen Blitze krachten, wurde die erste Botschaft vom Nil zum Palast in Atlantis gesendet. Zehn Jahre später wurden regelmäßig Depeschen zwischen Atlantis, Nil und Tanekata ausgetauscht. Das Volk amüsierte sich über den „Palastfunk“.
Es folgte das Jahrhundert der Information. Wer etwas von seinem Weltverständnis zeigen wollte, hatte eine Antenne auf dem Dach. Die große Pyramide war nicht mehr nötig und ihre Steine verschwanden in den Bauten am Meer.
Alle Wissenschaften profitierten vom Funk. Die Wissenschaften blühten und jede Region hatte ihre Tempel an denen gelehrt wurde. Wer etwas erreichen wollte, verbrachte einige Zeit in Allesandria oder den Wissenstempeln von Tanekata oder Atlantis.
Die Senatorin war von dieser Dynamik fasziniert und lebte für die Wissenschaft, verdrängte ihren Schmerz um Cela eno und hielt den Kontakt zu Ka für selbstverständlich.

Dann kam der Verrat, der Überfall von Tanekata auf das Land am Nil. Der Khan von Tanekata tarnte ein großes Handelsschiff und schickte einen zweiten Katamaran mit Kriegern und Panzern hinterher. Nach zwei Monaten war das Land am Nil in seiner Hand und der Khan bereitete sich auf seine Krönung vor. Die Menschen am Nil waren seine Sklaven und sollten von nun an für das Wohl der Tanekaner arbeiten. Die Zeiten waren wirr, die Senatorin flüchtete nach Allesandria und bereitete sich vor, heimlich in die Länder von Atlantis zu fliehen.
Das Inselreich akzeptierte den Überfall nicht und aktivierte die Kräfte, die aus der Luft angreifen konnten. Der Khan antwortete mit Härte und ließ das Volk am Nil spüren, was es bedeutet, besetzt zu sein. Menschen verschwanden, ganze Städte wurden vernichtet und dem Erdboden gleich gemacht. Es geschahen ungeheuerliche Verbrechen, die noch größere Gräueltaten nach sich zogen.
Die Senatorin flüchtete auf die Inseln von Atlantis und tauchte nach Perlen. Weit weg von den Handlangern der Tanekaner, weit weg vom unterdrückten Volk am Nil.
Istar wurde Teil der Perlentaucher und wurde eins mit dem Meer, selten hörte sie von den Problemen der Völker und sie wollte davon auch nichts wissen.
Die Militärs von Atlantis planten eine Waffe, die in der Welt noch nie gesehen war. Die Zeit wurde zu einer Waffe und nur wenige Wissenschaftler konnten erklären, wie diese neue Waffe wirkte. Der Effekt war allerdings eindrucksvoll. Im Zentrum der Waffe gab es keine Existenz mehr, in den Randgebieten schmolz zuerst der Stein wie Wasser, dann wurde die bekannte Welt zu Sand, der sich über den Planeten verteilte.
Für die Tanekaner wurde es Nacht am frühen Morgen. Weite Flächen wurden zu einer Steinwüste, der Sand füllte das Reich von einem Meer zum anderen Meer. Es gab nur wenige Menschen, die diesen Tag überlebten und von diesem Tag an waren sie Sklaven der Völker am Nil und Rechtlose im Reich von Atlantis.
Menos, der Herrscher über die Länder am Nil war Mardochai und dem Inselvolk zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet, er sah schweigend zu, wie seine eigene Macht schwand.
Mardochai war nun der Herr der Welt, seine Macht fast unbegrenzt. Prunk und Pracht konzentrierte sich auf Atlantis, Armut und Bedeutungslosigkeit wartete auf den kläglichen Rest der Leute von Tanekata.
Sklaven in Ketten wurden auf den Marktplätzen am Nil dem Volk gezeigt und von dort nach Atlantis gebracht. Verwalter strömten von den Inseln an den Nil, auf dessen Volk am Ende die Leibeigenschaft wartete.
Von diesen Ungerechtigkeiten blieb Istar auf den winzigen Inseln weit vor Atlantis verschont, nur Ka berichtete immer wieder über die Taten des Großkönigs, wie Mardochai sich nun selbst nannte.

Die Königin der Welt lebte ein zurückgezogenes Leben auf einer entlegenen Insel am Rand vom Reich Atlantis. Istar war die einzige Perlentaucherin auf einem paradiesischen Eiland, sie genoss den Strand, die Wellen und das Leben unter Wasser. Als Taucherin konnte sie lange und in große Tiefen vordringen. Am frühen Morgen fuhr sie vor das Riff und erntete die Perlenaustern. Sie arbeitete sich rund um ihre Insel und brauchte Wochen, bis sie wieder in die Gebiete kam, die sie schon abgeerntet hatte. Der Gang der Dinge gefiel ihr, gelegentlich kamen die Händler und tauschten ihre Perlen gegen Waren ein, die Istar brauchte. Die Delfine wurden ihre Freunde. Selten war die Taucherin ohne Begleitung unterwegs, bald konnte sie die einzelnen Delfine unterscheiden, die sie begleiteten. Manchmal brachte ein Delfin eine Auster und die Senatorin nahm dankbar das Geschenk an. Es dauerte lange, bis Istar die Sprache der Meeresbewohner verstand, doch dann konnte sie das Klicken und Geschnatter als Sprache erkennen. Sie erkannte einzelne Mitglieder der Delfinschule und sie sah, wie die Jungen aufwuchsen. Ein Delfin näherte sich der Taucherin, von erregtem Geschnatter und Klicken der Schule angekündigt. Eine Verletzung zog sich von der Finne bis zur Fluke. Die gierigen Riffhaie wurden von der Delfinschule in Schach gehalten. Istar betrachtete die Delfine schon lange als ihre Freunde, so fiel es ihr nicht schwer, das Melam wirken zu lassen. Schon nach wenigen Tagen war der Delfin wieder in seinem Element, die Wunde geheilt. Die Schule blieb nun fast immer in der Nähe der Taucherin und der geheilte Delfin brachte einen erbeuteten Thun.
Istar war es klar, dass diese Geschöpfe intelligent waren und sie weigerte sich, in ihnen Tiere zu sehen. Mit der Zeit verstand sie die Sprache der Delfine immer besser und sie begann selbst ein paar Klicklaute zu imitieren.
Am Strand verbrachte sie lange Nächte, war mit der Zubereitung ihrer Mahlzeiten beschäftigt. Nie fühlte sie sich einsam und sie freute sich auf den nächsten Morgen mit ihren neuen Freunden. Manchmal dachte sie über ihre Fehler nach, spürte ihr Versagen als Herrscherin und spürte die Kraft dieses Planeten. In ihren Träumen meldete sich Ka.
„Du hast deine Aufgabe vergessen!“
„Mir geht es gut, ich bin Forscherin. Was willst du?“
„Ich habe eine Botschaft für dich.“ Die Stimme von Ka war klar und nicht zu überhören.
„Was willst du sagen? Was ist so wichtig, dass du in meine Gedanken eindringst?“, beschwerte sich die Königin.
„Es ist Zeit, dass du dich um deine Aufgabe kümmerst, es ist Zeit Weichen zu stellen, es ist Zeit zu reagieren.“
Istar antwortete: „Ka, dann sag doch, was dir so dringend erscheint, ich werde dann entscheiden, wie ich handle.“
Ein Seufzen war die Antwort von Ka.
„Es ist nötig, dass du etwas entscheidest, es sind komplexe Informationen, ich werde sie dir nicht auf dieser Insel geben. Du musst entscheiden, es betrifft nicht diese Insel alleine, es betrifft deine Schöpfung, es betrifft die Menschen von Tanekata, von Istar und auch die Völker am Nil. Es betrifft alle Menschen auf diesem Planeten und selbst die Völker von Cela-Eno.“
„Was kann so wichtig sein?“, fragte Istar.
„Die Taten deines Bruders!“
Istar holte tief Luft, eine Mischung aus Wut und Zorn, Trauer und tiefem Schmerz ergriff sie.
„Ka!“ Ihr Ausruf war eine Warnung.

Der nächste Morgen war für die Herrscherin eine Erlösung, sie ging den Weg am Strand zu ihrem Boot und wurde bereits von den Delfinen erwartet. „Komm! Schnell! Aufregend!“ glaubte sie aus dem Schnattern und Klicken zu verstehen. Im Wasser umkreisten sie ihre Freunde, gefährlich nah am Ufer. Ein Delfin kam sehr nah und bot seine Finne an, ein zweiter Delfin kam dazu. Das war noch nie geschehen, Istar ließ sich auf die weite Bucht ziehen. Nicht tief, etwa fünf Meter unter Wasser glänzte etwas metallisches. Istar glaubte kaum, was sie da sah. Der Gleiter!
Mit gefüllten Lungen tauchte sie auf den Grund und sah die geöffnete Luke. Eine Schleuse sicherte den Einstieg in den Gleiter. Istar betrat die Luftschleuse und ließ das Wasser von sich abperlen. In ihren Gedanken war alles logisch, alles war klar. Die Aqualunge lag bereit, sie wusste auch, wie der Aquajet anzulegen war. Wieder war sie im Wasser, konnte atmen und stieß einige Klicks und schnatternde Geräusche aus.
Tage verbrachte sie mit den Delfinen im Wasser, die Nächte brauchte sie zum Schlafen und Aufwärmen. Viele Geschichten hörte sie, viele tiefe Gründe erforschte sie mit ihren Freunden. Ein alter Delfin gesellte sich zu Istar. Er hörte zu und passte seine Geschwindigkeit den Fähigkeiten der Königin an.
Istar erzählte von der Trockenwelt und sie erzählte von ihrer Heimat und den Sternen. Die Königin warnte auch und gab zu bedenken, dass nicht alle Menschen friedlich und neugierig sein würden. Der alte Delfin verstand.
„Wir sind dankbar dich kennen zu dürfen, wir wissen auch, dass die Zeit begrenzt ist und wir werden deine Geschichten erzählen.“
Die Zeit für den Abschied war da, die Delfine waren vollzählig. Das Wasser sprudelte vor Leben, die jungen Delfine spielten mit den Tintenfischen. Tintenfische waren Nahrung für die Delfine, doch sie wussten auch, dass Istar gerne mit den Kalmaren spielte und sie verzichteten auf die Jagt auf Tintenfische.
Fast schien es, dass der alte Delfin Istar in den Gleiter schob. „Geh schon!“, klang es in Istars Schädel.
Der Gleiter zog noch einige Kilometer unter Wasser davon, wartete auf die Dämmerung und verließ die Inseln ohne Positionslichter, im getarnten Modus.

Zeit?
Was ist Zeit?
Mit diesen Gedanken schlief Istar ein.





Fortsetzung folgt.
 



 
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