AURUM 8/11

Michael Kempa

Mitglied
Mardus Rache


August, 14362 Jahre vor Christus



Ohne Pause zog der Gleiter in die Festung nach Shangri.
„Was willst du mir erzählen? Was ist so wichtig, dass ich nach Shangri muss, in diese muffige, tote Festung? Du lässt nicht zu, dass ich eine Pause in einer meiner Städte mache? Das musst du mir erklären, Ka!“
„Es braucht Zeit, es braucht Wissen.“ Ka leitete die Landung ein.
Shangri war gut vorbereitet, die Luft war frisch, das Wasser wie aus einer Quelle und die Küche war voller guter Lebensmittel.
„Ich konnte Shangri vorbereiten, es soll alles zu deiner Zufriedenheit sein. Kein Mangel, keine Hast. In einer Stunde werde ich berichten, du kannst bis dahin die Räume begehen und schauen, ob es für dich angenehm ist.“
Ka war sonst eher gesprächig, sein Verhalten bereitete Istar Sorgen.
„Du erinnerst dich an die Meteoriteneinschläge?“
„Wie könnte ich das vergessen!“ Istar lehnte sich auf ihrem Sessel zurück.
„Das war vor 5500 Jahren“, erinnerte Ka.
„So ungefähr, jedenfalls ist es lange her.“
„Es waren 5513 Jahre, um genau zu sein.“
„Ka, was willst du mir sagen?“, fragte die Königin.
„Nun, damals sorgte dein Bruder - Mardu - für eine vernichtende Flut. Nach 5000 Jahren, sollte jeder glauben, dass es Geschichte ist, doch das ist nicht der Fall. Die Einschläge waren gewaltig, doch für den Planeten waren es nur winzige Nadelstiche.“
„Ich verstehe nicht…“ Istar wurde ungeduldig.
„Ich hatte viel Zeit zu rechnen, auch das Klima dieses Planeten habe ich im Blick. Es sind einige Dinge geschehen, die nun gemeinsam in eine Richtung wirken. Jedes Ereignis für sich ist belanglos, dem Zufall untergeordnet, doch wenn viele Zufälle zusammenkommen, dann wird eine Bewegung daraus.“
Ka ließ seine Worte wirken.
Istar verließ die Arbeitskonsole und bereitete die Früchte für ein Essen zu. Dann war Ka wieder am Wort.
„Es wird eine Flut geben, eine Flut, wie sie diese Welt noch nicht erlebt hat. Die Flut alleine vernichtet vieles, doch es wird auch Stürme geben, es wird Tornados geben und Länder, die heute Wald sind, werden zu Wüsten. Die Menschen überleben das nicht, die Tiere ebenso. Nach dieser Zeit wird dieser Planet neu gestaltet. Kein Stein bleibt auf dem anderen! Wo Land war, wird Meer sein und aus dem Meer tauchen neue Länder auf, salzig und nass!“
„Ka, kann es sein, dass du übertreibst?“, fragte Istar.
„Nein, ich schone deine Gefühle. Mir ist klar, dass du diesen Planeten liebst. Ich rechne und beobachte, Gefühle kenne ich nicht. Ich kann nicht berechnen, was du unternehmen wirst, ich kann dich nur beraten und mein Rat lautet: Flucht! Setze alles in Bewegung, um nach Cela eno zu gelangen, gib dein Projekt auf und hoffe auf Ningal und Enk, vielleicht werden sie dir verzeihen.“
„Ka, ich glaube, du verstehst mich nicht. Gefühle für diesen Planeten? Ich soll die Menschen aufgeben? Zurück als reuige Sünderin nach Cela? Ka, wie weit haben wir uns entfernt? Ich habe die Gestalt der Menschen angenommen, es ist mein Werk. Diese Menschen denken, fühlen und leben und ich bin die Königin und verantwortlich für dieses Tun. Gefühle? Ich bin ein Teil davon! Cela ist weit - weit weg, es ist wahrscheinlich nicht mehr da. Ob Ningal und Enk noch leben, kann ich nicht sagen und du willst, dass ich diesen Planeten aufgebe? Flüchte? Ka, das grenzt an Verrat.“
„Ich danke dir für deine Klarheit und ich werde dich unterstützen, doch dies muss ich dir sagen: Du bist meine Königin - du bist eine Königin, doch ohne Volk! Dies ganz klar: du hast die Menschen nicht erschaffen, du hast sie nur verändert. Du hast Verantwortung, doch überschätze nicht deine Macht!“
Über die Worte von Ka musste Istar lange nachdenken.
Die nächsten Jahre verbrachte sie in stillen Studien, die Daten nahmen Leben an, es entstand in Istars Geist ein Bild der Dinge, die geschehen würden.
Die Königin ohne Volk hatte einen Plan und den wollte sie mit Leben erfüllen, eine Reise stand bevor, die Menschen sollten gewarnt werden.
Tanekata war verarmt, die wenigen Menschen wurden von einem Statthalter aus Atlantis regiert. Sein Palast blieb Istar verschlossen. Die Leute von Tanekata hatten Probleme zu überleben und litten unter der Knechtschaft der Sieger des letzten Krieges. Der alte Wissenstempel stand kurz vor dem Verfall. Die Versuche von Istar, neue, ertragreiche Früchte zu züchten, brachten ihr die Verfolgung durch den Statthalter ein. Es blieb nur die Flucht zum Land am Nil.
Der Ruf als Widerstandskämpferin eilte der Gelehrten voraus. Tatsächlich erreichte sie Allesandria und konnte am Wissenstempel ihre Lehren vortragen. Die wenigen Unterstützer ihrer Lehre von Klima und Wandel wurden weniger, manche verschwanden spurlos. Es gelang der Königin, eine Schrift zu verfassen und die Menschen am Nil aufzufordern, in bergige Gebiete zu ziehen. Ihre Lehren vom Untergang der Kultur wurden von den Sicherheitsdiensten als Aufruf zur Bekämpfung der Besatzung verstanden.
Die Flucht mit dem Gleiter war die letzte Chance der Botschafterin, das Land am Nil zu verlassen und einer Verhaftung zu entgehen.

Die entlegenen Perleninseln wurden zur Zuflucht der Gelehrten. Pau war der alte Taucher, der den Warnungen von Istar Gehör schenkte. Er hatte Zeit und war auf den Inseln respektiert - tauchen konnte er nicht mehr. Die Delfine kannte er und mit einem Lächeln konnte er ein paar Klicklaute von sich geben.
„Mit den Delfinen kann ich sprechen, sie sind schlau! Ich kann sie verstehen und ich höre gerne zu. Mit ein paar Klicks kann ich antworten - auch wenn es nicht sehr viel ist, was ich ihnen erzählen kann.“
Istar hatte endlich jemanden gefunden, der ihr zuhörte. Mit Pau verbrachte sie lange Nächte im Gespräch und fuhr mit ihm zum Fischen auf das Meer. Die Delfine waren nicht weit weg, wenn Paus Boot erschien. Die Augen des alten Mannes leuchteten, wenn er seine Freunde sah.
Pau konnte noch sehr gut schwimmen, um ihn herum waren die Fluken zu sehen. Es waren einige Delfine, die ihn im Wasser begleiteten. Istar sprang hinterher. Unter Wasser war die Verständigung einfacher, das Klicken und Schnattern ergab einen Sinn - Istar konnte mit einigen Klicks antworten. Es schien so zu sein, dass sich die Delfine an die Herrin der Welt erinnerten, es war ein Fest im Wasser und unter Wasser. Allerdings war es ein gedankenloser Fehler von Istar, das Boot zu verlassen. Die Bordwand des Fischerboots war fast einen Meter hoch und Istar hatte die Leiter nicht in das Wasser gelassen. Fluchend schwamm Pau um das Boot herum, er versuchte vergeblich an Bord zu kommen. Istars Bemühungen scheiterten nur wenige Zentimeter vor der Reling.
„Wie kann man nur so blöd sein?“, schimpfte Pau.
Istar lernte noch ein paar Flüche der Perlentaucher und suchte verzweifelt eine Möglichkeit, das Boot zu entern. Pau trieb auf dem Rücken im Wasser. Heimlich peilte er das entfernte Ufer an und schätzte die Zeit, die es brauchen würde, um dorthin zu schwimmen. Dann wäre das Boot verloren. Die Notlage sickerte langsam in das Bewusstsein der Königin und sie benutzte einige Flüche, die sie von Pau gelernt hatte.
Istar umrundete das Boot, schätzte ihre Kräfte und vertraute auf ihr Melam. Pau war auf der anderen Seite des Seglers. Istar nutzte ihre Chance und bekam mit einer unmenschlichen Kraftanstrengung die Reling zu fassen. Mit einer schlangenhaften Drehbewegung enterte sie das Boot.
Pau konnte nun mit der Bordleiter das Deck erreichen. Wortlos musterte er die Schwimmerin, nur ein wissendes Lächeln umspielte seine grünen Augen.
Die Fahrt ging zurück zum kleinen Hafen des Dorfs, in dem Pau wohnte.
Die Perlentaucher waren ein freundliches Volk, mit Verstand bauten sie die Anlage zur Entsalzung des Meerwassers, sie erkannten die Vorteile der Technik.
Maniok bereicherte bald den Speiseplan. Den Vorträgen der Gelehrten schenkten sie Gehör, es entstand eine Art Schule. Von den Inseln kamen Abgesandte zum Lernen, dann kamen die ersten Perlentaucher, die ihr Wissen weitergaben.
Von Zeit zu Zeit gab es ein großes Fest. Von weit her kamen die Boote und Segler, Waren wurden getauscht, Ehen geschlossen, Pläne geschmiedet und der Rat bestimmt. Die alten Taucher, unter denen auch einige Frauen waren, hatten eine Botschaft. Der Rat versammelte sich, mit dabei auch junge Frauen und Männer.
Merina war die Vertreterin der südlichen Inselbewohner und sie ergriff das Wort.
„Wir wissen die Lehren von Istar zu schätzen, einige von uns sind ständige Gäste in der Schule und tragen das Wissen zu uns. Die Magnetnadel gehört nun zu unserem Handwerk der Navigation und einige meiner Leute sind von Krankheiten geheilt worden, vor denen es noch vor Jahren keine Heilung gab. Wir haben die Lehren von Istar überprüft und wir haben Zeichen, die wir mit allen teilen wollen. Hört mir also zu!“ Merina schaute in die Menge und gab ein Zeichen zu schweigen.
„Die großen Ströme des Meeres haben sich verändert. Unsere Bojen treiben nicht mehr so, wie unsere Alten es uns gelehrt haben. Die Zeit des Regens beginnt früher und dauert länger. Die großen Fischschwärme sind nun weiter weg. Sicher, die Fische sind noch da, doch sie nehmen andere Wege. Eine unserer Inseln hat in einem der letzten Stürme einen großen Teil des Riffs verloren, die Strände sind zum Teil verschwunden, übrig sind die nackten Felsen. Wir kommen damit klar, es ist nicht schlimm. Fast könnten wir darüber auch schweigen.“
Ein Raunen ging durch die Menge und Merina wartete, bis ihr wieder zugehört wurde.
„Unsere Weisen sagen Veränderungen voraus. Wir denken nicht so, wie die Leute von der fernen Hauptinsel, wir denken auch an unsere Kinder und an die Kinder unserer Kinder.“
Istar hatte noch nie eine solche Rede gehört. Die Gelehrte hörte gespannt zu.
„Unsere Freunde im Wasser erzählen von Inseln aus Eis, die im nördlichen Ozean treiben. Wir haben diese Inseln noch nie gesehen, doch wir glauben unseren Freunden und sie sagen, dass es immer mehr Eisinseln gibt.“
Die Menge schwieg. Istar blickte fragend zu Pau. Er zeigte ihr eine fließende Handbewegung und deutete mit der anderen Hand eine Fluke an. Istar verstand - die Delfine waren gemeint.
Merina setzte ihre Rede fort.
„Noch gibt es keine Eile - doch es gibt Zeichen. Im nächsten Jahr werde ich fragen, wer neue Erkenntnisse hat.“

Das Fest endete in Frieden, die fremden Boote zogen in ihre Heimat und die nächste Austernsaison begann.
In den folgenden Jahren war der Bestand der Inseln und der Bewohner immer wieder Thema. In der Schule wurde das Wetter untersucht.
Die ersten Arcs wurden gebaut, Merina unterstützte das Projekt und Pau erhielt eine neue Aufgabe, die ihm keine Zeit mehr ließ, im Ozean zu schwimmen. Istar blieb eine enge Vertraute von Pau - die langen Nächte und Gespräche ließen sich beide nicht nehmen.
Die Arcs waren schwimmfähige Boote, die auch die Größe von Schiffen annehmen konnten. Die Segel waren rudimentär, zum Reisen waren die Arcs nicht geeignet. Miteinander konnten die Boote verbunden werden, die Bauteile wurden genormt und Istar regte die Einführung einer Maßeinheit an. Metergenau wurden die Aufbauten errichtet, die Segel passten untereinander, die Werkzeuge konnten auf jeder Arc verwendet werden.
Die Stürme zwangen die Insulaner auf die Arcs, manche Insel ging verloren, doch wer sich auf eine Rettungsinsel flüchten konnte, überlebte.
„Wir müssen noch einiges verbessern.“ Pau sinnierte über einen Bauplan. „Zwei Arcs sind im letzten Sturm gesunken, zwei Inseln existieren nicht mehr. Es muss schlimm gewesen sein. So starke Stürme kennen selbst die Alten nicht. Schläuche aus Luft und Wasser, schwarz wie Kohle! Dort, wo die Schläuche auf Land treffen, bleibt nichts übrig. Das Wasser wird zu einem wilden Strudel. Wie kann ein Arc das überstehen?“
„Es darf keine Luken geben.“ Istar studierte die Baupläne.
„Selbst wenn das Boot über den Kiel gedreht wird, darf es nicht sinken. Alles muss dicht sein, die Planken dürfen nicht brechen, sie müssen sich verbiegen können.“
„Doppeltüren verschließen die Ausgänge zum Deck.“ Pau hatte die Idee. „Wird ein Teil der Arc geflutet, dann bleiben die anderen Teile trocken!“
Istar stimmte zu. Die Pläne wurden geändert.
Riesige Mengen Pech wurden benötigt, um die Konstruktionen abzudichten, doch auf den Inseln vor Istar gab es keine geeignete Dichtmasse.
Merina ließ den großen Rat abstimmen. Die vereinigten Inseln begannen mit dem Bau eines großen Katamarans, nach dem Vorbild der Schiffe, die den Nil mit Tanekata verbunden hatten. Nach nur zwei Jahren fuhr das Schiff über den Atlantik, dann durch das mittlere Meer bis zur Mündung des Nils.
Die Botschafterin nutzte die Reise, um das Land am Nil zu besuchen und die Lage zu erkunden.
Es gab noch einige Gelehrte am Wissenstempel von Allesandria, die sich an die Reisende erinnern konnten, aber die Lehren vom Klima und einer drohenden Flut waren vergessen.
Der Katamaran wurde mit öligem Pech beladen. Fass für Fass wurde in die Laderäume gestapelt, die Perlenkasse leerte sich. Nach Monaten waren die Laderäume voll, die Kasse leer und kein Pech mehr aufzutreiben. Das Schiff verließ den Hafen von Allesandria und stoppte nach kurzer Fahrt vor der Stierinsel. Wenige Tiere lebten noch im Palast, nicht viele Menschen siedelten auf der großen Insel. In den dichten Regenwäldern lebten einige Kreaturen, die es sonst nirgends auf der Welt gab. Die Kapitänin des Katamarans bestand darauf, die Insel zu besuchen und die Tiere zu sehen. Die Mannschaft an Bord nutzte die Zeit, den Katamaran für die große Fahrt vorzubereiten.
Die kleine Expedition um Istar wurde nur widerwillig geduldet und von einigen Palastkriegern bewacht. Die Kapitänin des Katamarans war beeindruckt.
„Die Tiere, die hier leben, kenne ich nur aus den Sagen meiner Leute.“ Das gab sie offen zu.
In den Gärten des Palastes lebten menschliche Wesen, die unbekümmert und nackt Früchte verzehrten, sonst aber aus stumpfen, ausdruckslosen Augen in die Welt blickten. Affen mit langen, blonden Haaren und scharfen Krallen stießen menschliche Schreie aus. An Ketten wurden Fabelwesen aller Art in ihre Ställe geführt und gefüttert. Krokodile mit Schnäbeln versammelten sich an einem Teich, und das Einhorn mit der bunten Mähne wich nicht mehr von der Seite der Kapitänin. Istar sah den Raben und streckte ihre Hand aus, das Tier flog an und setzte sich mit weichen Pfoten auf den Arm der Herrin. „Alles gut.“ Das „gut“ wurde zu einem Gurgeln, doch das Gefühl sagte Istar, dass das Tier wusste, was es sagte. Am Wegrand schnappten große Blüten nach Schmetterlingen.
„Hier lebt alles, was es in den Sagen gibt!“, rief die Kapitänin begeistert.
Istar schwieg. Für einiges war sie verantwortlich, für vieles konnte sie nichts anderes als Scham und Mitleid empfinden.
„Wir sollten zurück zum Schiff.“
Die Kapitänin wollte noch bleiben, doch auch die Palastwächter drängten zur Abreise der Besucher.
Die Königin der Welt war beruhigt, dass ihre Experimente gut bewacht waren, und sie war nicht bereit, ihre Verantwortung irgendjemandem mitzuteilen.
Der Katamaran nahm Fahrt auf.
Am dritten Tag wurde der ungebetene Passagier gefunden. Am späten Abend spürte ihn der Lademeister bei den Lebensmitteln auf. Der Junge wurde von ihm an Deck gezogen und zur Rede gestellt.
„Wer bist du? Wie ist dein Name?“, herrschte ihn der Meister an. Der Junge und der Seemann waren schnell von Schaulustigen umringt.
„Sprich!“, herrschte ihn der Lademeister an.
Das Schweigen des Jungen reizte den Seemann noch mehr, er holte mit der Hand aus und drohte, ihn zu schlagen.
Der Junge zitterte am ganzen Körper und zeigte mit der Hand in den fast dunklen Himmel. In diesem Moment zog eine funkelnde Sternschnuppe über den Horizont und zerplatzte in bunten Farben. Die Menge raunte, einzelne Rufe wurden laut, der Lademeister ließ seine geballte Faust sinken.
Nun kam auch die Kapitänin dazu, blickte in den Himmel und schaute auf den Jungen.
Istar konnte gut sehen, was geschah.
„Magie…“, raunte es in der Menge.
„Wie ist dein Name?“, fragte die Kapitänin nochmals.
„Herme.“
„Lauter! Sage deinen Namen lauter, sodass ich ihn auch verstehen kann!“
„Herme.“
„Na, dann hätten wir ja schon deinen Vornamen. Wir sind schon weit draußen auf See. Normalerweise setze ich ungebetene Gäste schnell ab. Du wirst uns also begleiten, vielleicht findet sich jemand, der sich um dich kümmern will?“
Mit dieser Frage schaute die Kapitänin in die Runde, und es war deutlich, dass sie eine Lösung erwartete.
Istar ging einen Schritt vor, die Menge einen Schritt zurück, so bildete sich um den Jungen ein Kreis, fast in magischer Stimmung.
„Dann ist ja alles klar.“ Die Kapitänin löste so die Menge auf und ließ Istar mit dem Jungen stehen.
Die Gelehrte führte das Kind zu ihrer Kabine, versorgte den Jungen mit Decken auf der zweiten Pritsche, sah, wie das Kind entspannte und in einen tiefen Schlaf fiel.
„Ka, was willst du in dieser Welt? Bist du Ka oder Harom? Warum bist du nun als Herme zu mir gekommen?“
Die Herrin strich mit der Hand sacht über die Stirn des Jungen.

Für die nächsten Tage richtete sich Istar mit Herme in ihrer Kabine ein. Herme erzählte von seinem Leben auf der Insel der Kreaturen und wie seine Flucht gelungen war. Herme hatte einen mächtigen Appetit, so wie es für einen Jungen in seinem Alter richtig war.
Die Perlentaucherin erzählte dem Jungen vom Ziel der Reise.
„Du wirst auf den Perleninseln leben, du wirst Pau kennenlernen. Es kann schön werden.“
Mit Herme schlenderte die Senatorin über das Deck und nahm am Leben auf dem Katamaran teil.
Die Reisenden nannten das Kind bald Hermes, weil es für ihre Zungen angenehmer war.
„Was ist mit deinen Eltern? Werden sie dich nicht vermissen?“, fragte die Senatorin.
„Was ist mit deinen Geschwistern? Soll ich jemandem eine Botschaft schicken?“
Herme schaute die Senatorin mit seinen grünen Augen an, er senkte den Kopf. „Keine Eltern - keine Geschwister.“
Istar wollte nicht weiter in Wunden bohren, Herme würde seine Gründe haben, nicht über seine Herkunft reden zu wollen; so dachte sie.
„Junge Frau geht auf Reisen - kommt mit Kind zurück…“ Pau konnte sich den Witz nicht verkneifen.
Mit Hermes unternahm Pau einige Ausflüge auf dem alten Kutter, manchmal war Istar dabei. Hermes lebte sich auf den Inseln schnell ein, die Dörfler waren freundlich.
Aufgeregt sprudelte es aus Hermes heraus: „Wie oben, so unten!“ Hermes verglich die Wolken mit den Korallenbänken und die Vögel mit den Fischen im Wasser.

Die Herrin der Welt erlebte, wie Hermes heranwuchs, sie fühlte sich als Mutter und wurde auch so respektiert.
Der Junge war ein guter Perlentaucher.
Das Tauchen lehrte ihn, dass es Spiegelwelten gab.
„Warum bist du wieder auf diese Welt gekommen?“, fragte Istar.
„Es ist nur noch wenig Zeit, wir werden die Flut erleben, die Leute der Inseln haben ihre Arcs, die Menschen auf dem Festland sind verloren. Doch es wird eine Zeit nach dieser Flut geben, und diese Zeit bereite ich vor. Das ist meine Aufgabe.“
Istar verstand die Sichtweise von Hermes. Die Bordwand gab ihr Halt, den Blick ließ sie über das Meer schweifen.
„Hermes, ich werde müde.“
„Auch deswegen bin ich hier“ , gab er zurück. „Es gibt noch einiges zu tun, die Menschen müssen noch einiges lernen. Ich bin Ka und Ka ist groß, nicht nur für Reptiloide, auch für alles, was Melam hat, das hast du selbst gelehrt. Du hast es verstanden, und du hast dafür gekämpft. Nun ist meine Zeit gekommen. Du bist die Herrin dieser Welt, doch du bist auch sterblich. Dein Melam ist nicht mehr grenzenlos, es ist noch stark, aber nicht unendlich.“
„Du wirst auf Reisen gehen?“, fragte Istar.
Hermes nickte schweigend.

Ka besuchte die Hauptinsel Atlantis, von dort reiste er zum Nil und bis nach Katena und darüber hinaus. Er sammelte Wissen und er sammelte die Erbsequenzen vieler lebender Tiere.
Die Senatorin sammelte ihre Kräfte und reiste zum Nil. Das Wissen sammelte sich in Allesandria.
In der Bibliothek hielt die Königin der Inseln, so wie Istar am Nilland genannt wurde, ihren letzten Vortrag.
Der Dekan der Bibliothek begann die Diskussion: „Wir sind der Wissenschaft verpflichtet und wir lassen begründete Meinungen zu, also erkläre uns, warum wir unsere Städte verlassen sollen!“
Die Gelehrte begann: „Die Stürme werden heftiger werden, die Häfen werden nicht mehr sicher sein, wir müssen weit weg vom Meer, die Menschen finden Sicherheit nur dort, wohin das Meer nicht kann.“
„Woher nimmst du diese Weisheit?“
Istar hob die Schriftrolle mit den Messdaten.
„Ich habe auch eine Schriftrolle, hier stehen ganz andere Weisheiten.“
Aus dem Publikum ein Raunen.
„Nehmt die Weisheit, nehmt das Wissen von Atlantis, nehmt die Botschaft der ersten Inseln, die im Ozean versunken sind!“
Der Dekan wedelte belustigt mit seiner Schriftrolle. „Was kümmern mich ein paar verlorene Inseln in einem fernen Ozean?
Warum soll ich einen Hafen aufgeben und Liegeplätze in den Bergen bauen?“ Aus dem Publikum kam leises Kichern.
„Weil die Fluten höher werden und die Häfen nicht mehr sicher sind! Die ersten Segler sind zurück und berichten von Eisbergen, die weit in den Süden treiben.“
„Berge aus Eis? Welchen Schwachsinn muss ich mir noch anhören? Auf deinen Bergen tanzen sicher auch Bären! Die Bären, die du uns aufbinden willst.“
Aus dem Publikum war einzelnes Gelächter zu hören.
Der Dekan kam in Fahrt: „Bären, Eisberge und Fluten. Ungeheuer und Stürme. Schauergeschichten für ein freies Bier in der Taverne!“
Der Saal war von Gelächter erfüllt, die ersten Studenten räumten ihre Plätze, der Dekan schloss die Veranstaltung. „Wir haben wichtigeres zu tun, als über Eisbären zu lachen, also lass uns mit deinen Geschichten in Ruhe, und gehe dorthin, woher du gekommen bist.“
Die Gelehrte konnte nichts mehr sagen, es schmerzte sie, ausgelacht zu werden, wortlos verließ sie die Bibliothek.

Am Aufbau der Pyramiden nahm das Volk zahlreich teil, Istar konnte sich unerkannt in der Menge bewegen.
Die Priester wussten die Menge zu beeindrucken, mit monotonen Gesängen brachten sie Steine in Resonanz und bewegten die Lasten scheinbar nur mit ihren Stimmen.
Hermes konnte seine Ziele schneller erreichen.
Er konnte die Elemente beherrschen und zeigte dies in unzähligen Experimenten.
Hermes wurde oft angekündigt. Für die Menschen war er ein Magier, am Nil regelte er mit den Priestern die Fluten des Stroms. Neben dem Oberhaupt, neben dem Herrscher, wurde er zu Hermes, dem Dreimagischen. Das Volk nannte ihn einfach Magisto.
Mit den Priestern beobachtete Magisto die regelmäßigen Fluten.
Er lernte den Kalender der Nilfluten, und den Lauf des Mondes. Magisto lebte mit den Jahreszeiten und den Festen des Volkes.
Die ersten natürlichen Nilfluten blieben aus, dafür regnete es an anderen Jahreszeiten ungeheure Mengen. Entweder vertrocknete das Korn im Sommer, oder die Feldfrüchte verfaulten auf den Äckern.
„Gib mir einen Rat“, forderte der Wesir des Königs.
Hermes spürte die lauernde Gefahr, die vom Vertreter des Königs ausging.
„Ich bin nur Gast in deinem Land,“ versuchte sich Hermes herauszureden.
„Ja, du kommst aus Atlantis, wie ich höre. Mit Atlantis stehen wir in Kontakt und mir wurde gesagt, dass du keinen Auftrag hast, hier für irgendjemandem zu sprechen. Was treibt dich von der Perlenfischerei in unser Land?“ Der Wesir war offenbar gut informiert. „Du sprichst zu meinem Volk und erzählst davon, den Nil mit Dämmen zu regulieren. Das ist Einmischung in unsere Angelegenheiten, was willst du damit erreichen?“
„Ich bin Wissenschaftler, für die Menschen suche ich Wege, zu überleben.“
„Lass das meine Sorge sein! Ich höre von deinen Wohltaten - Hermes heilt Krankheiten, der Magier bezwingt den Nil, Magistos kämpft gegen den Hunger… Hermes der Magier! Lass es dir nochmals gesagt sein, wir haben unsere eigenen Magier, wir brauchen keine Besserwisser wie dich!“ Der Wesir stand auf und zeigte auf die Pforte seines Palastes. „Tri Magos, oder wie auch immer du dich nennen magst, verlasse unser Land und kehre auf deine Inseln zurück!“
Wortlos verließ Hermes den Palast, er wusste, dass nicht mehr viel Zeit blieb, schon am nächsten Tag verließ er das Land.


Zeit?
Was ist Zeit?
Das waren die Gedanken von Hermes Trismegistos.




Fortsetzung folgt.



 



 
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