Aus dem Staub

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anemone

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Irgendwo dort, tief unten, da lag sie: Die Wahrheit, unter einer dicken Staubschicht. „Beschwere dich nicht bei mir!“ sagte ich zu ihr, als ich sie da so im Dreck liegen sah,
„Es ist nicht meine Schuld, dass du da so armselig liegst!“ „Aber meine vielleicht!?“ gab sie mir zur Antwort.
Ich wollte es ihr nicht sagen, aber sie hatte recht damit: Es war wirklich ihre eigene Schuld, falls es galt, nach einem Schuldigen zu suchen und ich überlegte, ob ich ihr aufhelfen sollte.
Sollte ich mir die Finger schmutzig machen und sie aus dem Dreck ziehen?
„Du könntest dir selbst helfen!“ fiel mir daraufhin ein. „Wie denn?“ wollte sie von mir wissen.

„Kennst du die Lüge?“ fragte ich sie. „Nee, woher denn?“ gab sie mir zur Antwort. „Versuch es mal mit ihr!“ sagte ich und ließ sie in dem Dreck liegen. Ich gebe zu, das war keine feine Art von mit und dergleichen hatte die Wahrheit wirklich nicht verdient. Deshalb schlug mir schon nach kurzer Zeit das Gewissen und ich ging zurück um sie zu suchen, um sie aufzuheben; ihr behilflich zu sein, doch was ich da erlebte, als ich in den Raum kam war wirklich die Härte:
Es befanden sich drei Leute dort und ich hörte die Wahrheit mit erstickter Stimme reden: „Warum habt ihr mich getreten, konntet ihr mich nicht erkennen?“
„Doch doch,“ sagte einer von ihnen, „aber wir wollen dich nicht kennen! Bleib da unten in dem Dreck und lass uns in Ruhe das machen, wozu wir Lust haben. Unsere Wahrheit ist die Lüge, die ist viel netter als du!“
„Könnt ihr mir einen Gefallen tun?“ bat die Wahrheit mit schmerzverzerrtem Gesicht, „Ich möchte gern die Lüge kenne lernen! Bitte schafft sie mir herbei, dann verzeih ich euch die Fußtritte!“

Verächtlich schauten die drei Burschen auf das, was sich unter der Staubschicht schmerzvoll wandt. Es war eine bedauerliche Kreatur und hübsch sah sie wirklich nicht aus. Die drei sahen sich an, - Sollen wir das wirklich für sie tun? – schien ihr Blick zu sagen und ich hatte den Eindruck, als hätten sie sich für die Antwort „nein“ entschieden. Als ich sie dann ebenfalls um den Gefallen bat, nahmen sie mich erst richtig wahr und versprachen mir, sie zu schicken:
„Was willst du mit der Lüge?“ fragte ich die Wahrheit, als die drei den Raum verlassen hatten. „Ich will sie einfach nur mal kennen lernen und wissen, was an ihr so Besonderes ist, dass alle sie so toll finden.“
„Ich bin zurück gekommen, um dir zu helfen! Du brauchst die Lüge nicht mehr, sie hilft dir ja doch nicht auf!“ sagte ich zu ihr, doch sie wollte davon nichts hören. „Jetzt will ich sie auch erfahren!“ sagte sie bestimmt und sie verweigerte mir ihren Arm, an dem ich sie hochziehen wollte.

Meine Zeit war zwar begrenzt, aber es ließ mir keine Ruhe und ich wollte sehen, wie das Ganze ablief. Also drückte ich mich in die Ecke und tatsächlich kam auch schon bald die Lüge in den Raum. „Hier will mich jemand kenne lernen!“ stellte sie fest und sah sich um.
Sie sah auf mich, die ich in der anderen Ecke des Raumes kauerte und übersah die Wahrheit völlig. „Ne, ne“ sagte ich und wies auf die Wahrheit, doch die Lüge schaute ungläubig in die Schmutzecke und erkannte nichts. Sie lachte und sagte: „Du willst mich wohl veralbern!“ und zeigte ihre Grübchen in dem blond belockten Gesicht. Die Wahrheit sprach sie an: „Ich wollte dich mal kennen lernen!“ „Nett!“, sagte die Lüge und sah mich dabei an. Ob sie wohl dachte, ich rede mit ihr? „Jetzt kennst du mich ja, dann kann ich wohl wieder gehen!“ stellte sie fest und wollte sich Richtung Türe begeben, als erneut die Wahrheit sprach: „Man sagte mir, du könntest mir aufhelfen!“ Die Lüge sah wieder nur mich an, die ich mich noch immer kauernd in der Raumecke befand. „Tut mir leid, das kann ich nicht!“ sagte sie und verließ den Raum mit einem federnden Schritt, wog sich in den Hüften und verließ den Raum. Ich sprang auf und lief ihr hinterher und rief in den Flur hinaus: „Wieso nicht?“ Sie machte nur „Phyy“ und hakte sich bei den drei Burschen ein, die hinter der Tür auf sie warteten. Sie fragte mich nicht:
Wie bist du denn so von alleine zur Tür gekommen? Und sie lachte mit ihnen und ich hörte sie noch von Wahrheit reden.
Schnell lief ich zurück und zog die Wahrheit aus dem Staub.
 



 
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