Hey Dirk!
Ja, also so schnell sollten diese überaus wohlgelungenen Zeilen wirklich nicht der Versenkung anheimfallen!
Der offenkundige "Star" dieser Zeilen, jedenfalls für mich und beim ersten Leseeindruck (das Bid differenziert sich dann bei mehrmaliger Lektüre) - also der erste Erfreunisfunke, der auf mich überspringt, entzündet sich an der rhythmischen Gestaltung.
Man kann jetzt trefflich debattieren, was für ein Metrum aus der großen daktylischen Familie der Doppelsenkungen hier jetzt genau am Start ist. Auf alle Fälle sind wir mit vier Hebungen unterwegs. Und man könnte da jetzt einen Amphibrachys kognoszieren, dem die letzte unbetonte Silbe abhanden gekommen ist (durchgängig männliche Kadenzen). Alternativ könnte man auch einen Anapäst ausrufen, wobei am Anfang eine unbetonte Silbe weggelassen wurde (akephaler Anapäst). Oder (das ist die argumentativ aufwändiste Lesart) man deutet die Chose als Daktylus mit Auftakt (eine unbetonte Silbe "außer der Reihe" vorneweg) und mit Kürzung von zwei unbetonten Silben am Ende.
Also: Katalektischer Amphibrachys oder akephaler Anapäst oder auftaktischer Daktylus mit Brachykatalexe.
Gut ockhamisch Argumentiert kommt die letzte Lesart eigentlich nicht in Frage, weil man hier zuviele Schleifchen drehen muss, um das auf diese Beschreibung einzugrooven.
Aber ehrlich gesagt, gefällt mir die am besten. Einen Amphibrachys verbinde ich mit einer noch stärkeren Schaukelbewegung (wobei man natürlich sagen muss, dass alle diese Metren mit regelmäßigen Doppelsenkungen im Deutschen mehr oder weniger "schaukeln" und eine gewisse walzerhafte Anmutung haben). Den Anapäst wiederum assoziiere ich mit einem stärker vorwärtsdrängenden, auf die Betonung zielenden Rhythmus, was den Versen oft etwas leicht Atemloses verleiht (bsp. "Der Anapäst" von Weinheber). Bei Deiner schönen Provinzklage, lieber Dirk, korrspondiert für mich mit dem melancholischen Duktus der Zeilen sehr schön eine irgendwie "fallende" Rhythmuslinie, so dass ich beim laut Lesen für mich am Ende fast zwei ungelesene unbetonte Silben ergänze und das Ganze für mich wie eine Art Daktylus rüberkommt. Sehr interessanter Effekt ist das!
Und nach diesem langen Rhythmuserguss nur noch eine kurze Anmerkung zur Sprache (kurz nur, um hier nicht völlig den Rahmen zu sprengen - je öfter ich diese Zeilen lese, desto mehr interessiere ich mich für die Sprachhandhabung, die hier realisiert wurde): Was mir ganz besonders gut gefällt, ist, dass das melancholische oder "beklagende" Element hier durch ein gerüttelt Maß Verschmitztheit gewürzt wird, so dass der Text überhaupt nicht in einen Jammerton kippt, sondern einiges an augenzwinkerndem Humor auffährt. Kästner oder Kaléko hätten diesem Text sicher wohlwollende Wesensverwandtschaft attestiert.
Ich mags sehr!
Wirklich äußerst gerne gelesen!
LG!
S.