Aus der Sicht eines Navy Seals

SMöller

Mitglied
-Max Hayes-​

Die große Luxusyacht lag unmittelbar vor uns. Sie wirkte
in der sternenklaren Nacht wie eine große Festung.
Nachdem Bravo One Chris und mich auf Höhe der
Verladerampe abgesetzt hatten, fuhren sie geräuschlos
weiter zum Buck des Schiffes. Unser Team hatte sich
aufgeteilt. Jai, Ryan, Brad und Cooper waren Bravo One.
Chris und ich, Bravo Two. Bravo One sollte das Schiff
unter unsere Kontrolle bringen. Wir sollten in der Zeit
die Geiseln finden. Unser Auftrag lautete, befreien und
sicher von Board schaffen. Die letzten Meter zu unserem
Einstiegspunkt am Heck des Schiffes schwammen wir an
der Schiffshaut entlang. Eine schon fast unheimliche
Stille lag in der Nacht. Am Einstiegspunkt verschafften
wir uns einen kurzen Überblick.
Mit Hilfe der Drohnenaufklärung wussten wir, wo die
Standpunkte der Wachposten waren und das die
Entführer ihre Wachen alle vier Stunden austauschten.
„Bravo Two hat Checkpoint ‚Atlanta‘ erreicht“, gab ich
über Funk an die Einsatzleitung weiter.
In der Einsatzbesprechung wurden für Bravo Two alle
Abschnitte nach amerikanischen Städten benannt. Die
Yacht erreichen und sich Zugang verschaffen, hieß
„Atlanta“. Es sollten noch „Boston“ – Geiseln erreichen,
„Cleveland“ – Geiseln befreien und zuletzt „Denver“ –
Geiseln zur Abholzone eskortieren, folgen.
Auch Bravo One meldete sich unmittelbar nach uns, dass
sie sich Zugang zum Schiff verschafft hatten. Somit fing
der Einsatz an und unsere Zeit lief.
Durch die Drohnenbilder wussten wir, dass sich unter
den Geiseln, der Besitzer der Yacht samt Familie sowie
der Captain und das Schiffspersonal befand. Die
Tatsache, dass es sich bei dem Besitzer um einen hohen
Politiker handelte, machte den Einsatz so brisant und
von höchster Wichtigkeit. Ein Scheitern kam nicht in
Frage, dafür hätte es zu viel Medienwirkung gehabt.
Ich tauschte kurz einen Blick mit Chris, um mich zu
vergewissern, dass auch er bereit war. Mit einem
leichten Klopfen auf die Schulter gab ich ihm das
Zeichen, das wir uns in Bewegung setzen konnten. Er
nickte und zusammen schlichen wir in geduckter Haltung
los. Laut der Drohnenbilder sollte an der nächsten Ecke,
nach dem Treppenaufgang, eine Wache stehen.
Diese hatte uns den Rücken zu gewandt und stand nahe
der Reling. Der Mann rauchte gerade eine Zigarette. Mit
gezielten Handgriffen setzte ich ihn außer Gefecht und
ließ ihn lautlos zu Boden gleiten.
„Sicher“, flüsterte ich zu Chris.
Da auf unserer Seite vom Deck keine weiteren Wachen
zu erwarten waren, konnten wir unseren Weg schnell zur
Tür, die ins Innere vom Schiff führte, fortsetzten. Chris
und ich bezogen an der Tür Stellung, nickten uns zu und
ich öffnete die Tür. Nach einem schnellen Blick in den
Flur, gab ich Chris mit einem Handzeichen, den Befehl,
das innere des Schiffes zuerst zu betreten. Ich folgte ihm
und wir sicherten nacheinander die Räume ab, an denen
wir vorbeikamen.
Nach jedem „Sicher“ schlichen wir weiter und kamen
unserem Auftragsziel näher. Ein weiterer Wachposten,
der den Treppengang zu den Laderäumen beaufsichtigte,
wurde von Chris ausgeschaltet. Wir erreichten das Ende
des Flures. Nach der nächsten Ecke würden wir direkt
auf die Tür zum Laderaum blicken können. Mit einem
kleinen Spiegel schaute Chris um die Ecke und
signalisierte mir, dass er zwei Wachen an der Tür
ausgemacht hatte. Er zeigte an, dass er sich um den
linken und ich mich um den rechten kümmern sollte.
Nachdem er mir das Zeichen gab, das wir zugriffen,
fielen zwei präzise Schüsse. Die Entführer sackten leblos
zu Boden. Unsere Waffen hatten wir mit Schalldämpfern
ausgerüstet, weswegen die Schüsse nahezu lautlos
waren. Ich versuchte in den Lagerraum hinein zu
kommen, die schwere Luke war allerdings verschlossen.
Wir durchsuchten die beiden Söldner und wurden
schnell fündig. Eilig öffneten wir die Tür und verschafften
uns einen Überblick.
„Ganz ruhig bleiben. Wir sind hier, um sie zu befreien“,
erklang Chris gedämpfte Stimme neben mir.
In dem Raum befanden sich vierzehn Erwachsene. Sechs
Frauen und acht Männer. Außerdem noch drei Kinder.
Mein Blick blieb an einem Mann heften, der so gar nicht
ins Bild passte. Mein Verdacht sollte sich bestätigen, als
dieser aufsprang und sich im selben Atemzug ein Kind
packte. Er zog es vor sich und verschanzte sich hinter
dem Mädchen. Das kleine Mädchen schrie auf, als es die
Pistole an die Schläfe gedrückt bekam. Die Situation
eskalierte, als eine Frau in ihrer Panik um ihr Kind,
aufsprang und zu ihrer Tochter wollte. Der Entführer
erschoss sie, in der Deckung des Kindes und drückte
sofort die Pistole wieder an den Kopf des Mädchens.
Chris und ich hatten keine Chance, eine freie Schussbahn
zu bekommen, um den Geiselnehmer auszuschalten.
Jetzt blaffte er in seiner Sprache Befehle. Krampfhaft
versuchten wir, freie Sicht auf den Mann zu bekommen.
Das Mädchen konnte sich vor Panik und Weinen kaum
auf den Beinen halten. Es schrie nach ihrer Mutter, die
blutend und röchelnd auf dem Boden lag.
„Lassen Sie die Waffe sinken und Ihnen wird nichts
passieren“, forderte ich ihn, in seiner Sprache auf.
„Verlassen sie den Raum und keine weitere Person wird
sterben“, blaffte er zurück.
Ich sah im Seitenwinkel, dass ein Mann verzweifelt und
unter Tränen die angeschossene Frau zu sich zog.
Scheinbar ihr Ehemann.
„Ihr Anführer ist tot, Sie sind alleine auf dem Schiff.
Geben Sie auf und Sie werden zumindest Leben.“ Meine
Stimme war ruhig und sachlich.
Dann ging alles auf einmal ganz schnell, der Entführer
stieß das Kind nach vorne. Sie stolperte in meine
Richtung und ich griff automatisch nach dem Mädchen.
Ich zog es schützend zu mir. Plötzlich sah ich, wie der
Söldner den Splint einer Granate fallen ließ. Im selben
Augenblick brüllte Chris auch schon. „Granate!“
Er riss mich und das Mädchen herum und stieß uns
Richtung Tür. Eilig versuchten wir uns noch, aus dem
Raum zu retten. Beim Rausrennen zog Chris die
Schiffsluke hinter sich zu. Dann verlor ich den Boden
unter den Füßen, als die Granate explodierte. Der
ohrenbetäubende Knall hallte schmerzhaft in meinen
Ohren. Im nächsten Moment wurde mir schwarz vor
Augen.
Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich bewusstlos war,
aber ein lautes Pfeifen ließ mich wieder zur Besinnung
kommen. Mir entfuhr ein Stöhnen, als ich meinen
schmerzenden Körper spürte. Sofort kam die Erinnerung
zurück.
„Chris?“, krächzte ich panisch.
Ich konnte allerdings meine eigene Stimme nicht hören,
es wurde von diesem lauten Pfeifen gedämpft. Dann
wurde mir bewusst, woher das Geräusch kommen
musste. Meine Hände versuchten automatisch, zu
meinen Ohren zu gelangen, aber mein Helm war im
Weg. Ich versuchte mich zu berappeln und aufzustehen.
Aber irgendwas lag auf mir und unter mir lag das
Mädchen. Sie schien zu leben. Ihre Augen waren
zugekniffen und sie weinte. Jetzt wo ich sie halbwegs frei
gab, zog sie ihre Hände auf ihre Ohren und drückte zu.
Vermutlich schmerzten sie genauso wie meine.
Die Geräusche in meinen Ohren nahmen nicht ab, als ich
versuchte, die Situation abzuschätzen. Das Gewicht was
ich auf mir spürte, war Chris. Mein Herz setze aus. Er war
nicht bei Bewusstsein. Ich schob ihn von mir runter und
drehte ihn auf den Rücken. Eilig nahm ich meinen Helm
und meine Sturmhaube ab, um zu hören, ob er atmete.
Aber mehr als das Pfeifen hörte ich nicht. Ich fluchte.
Durch die Schutzausrüstung konnte ich nicht sehen, ob
sein Brustkorb sich bewegte. Panik stieg in mir auf. Ich
packte und schüttelte ihn, brüllte ihn an, er solle
gefälligst wieder aufwachen. Plötzlich bemerkte ich, wie
Feuchtigkeit an meine Hosenbeine drang. Ich schaute
mich um und stellte fest, dass überall Wasser war.
Außerdem hatte das Schiff mittlerweile eine
merkwürdige Schieflage. Mein Blick ging zu der
Schiffsluke, die zum Lagerraum führte, dort wo
ursprünglich die Geiseln waren. Sie war komplett
verbeult und oben aus ihrer Verankerung gerissen. Von
dort drang das Wasser ins Schiffsinnere. Ich fluchte und
versuchte aufzustehen. Mein ganzer Körper schmerzte.
„Hey!“, brüllte ich das Mädchen an, aber sie reagierte
nicht. Sie hörte wahrscheinlich genauso wenig wie ich.
Also packte ich sie und legte sie mir über meine Schulter.
Mit der freien Hand griff ich in die schusssichere Weste
an Chris‘ Schulter und zog ihn vom Wasser weg. Wir
kamen nur schleppend voran. Anders als das Wasser,
was mir, trotz der Schieflage, mittlerweile bis über die
Knöchel ging.
Auf einmal packte mich jemand, mein erster Reflex war
Chris loslassen, um mich zu wehren, als ich feststellte,
dass es Cooper war. Ich spürte sofort Erleichterung, als
ich meinen Teamkameraden sah. Er redete mit mir, aber
ich hörte nur dieses verdammte Piepen. Die Kraft in
meinen Beinen verließ mich und ich sackte in mich
zusammen. Das Mädchen rutschte von meinen Schultern
und wurde von Cooper aufgefangen. Dann war plötzlich
auch Brad da. Er war sofort bei Chris, entfernte ihm
seinen Helm und überprüfte seine Atmung. Scheinbar
brüllte er ihn an. Mein Blick ging wieder zu Cooper, der
auf mich einredete, und dann zurück zu Chris. In dem
Moment riss Chris die Augen auf und schnappte nach
Luft. Ich stieß erleichtert die Luft aus. Er lebte. Ich dankte
Gott dafür. Mein Körper sackte regelrecht in sich
zusammen und dann versagte auch mein Kreislauf und
mir schwanden die Sinne.
 



 
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