Aus der Tierwelt

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James Blond

Mitglied
Es gibt ein Tier auf dieser Welt,
das zwar nicht jedermann gefällt,
doch nützlich ist, obskurerweise
sich redlich müht um eine Schneise.

Denn nicht verachten sollten wir
das altruistische Klistier:
Es wird in seinem kurzen Leben
dem einen dafür alles geben

und spritzt sich selbstvergessen fort
an einem sehr intimen Ort,
den sonst die andern, dienstbeflissen,
sich mühsam erst erkriechen müssen.
 

sufnus

Mitglied
Hey James!

Schöne Sache. :)

Zwei Ausführlichkeiten hab ich zum rein Sprachlichen beizusteuern:

"Es wird in seinem kurzen Leben / dem einen dafür alles geben"

=> Ich finde, das Wort "dafür" benötigt in seiner räumlichen Nähe (nicht unbedingt im selben Satz) immer eine Nennung des "Dafür-Gegenstandes".
Sprich: Man kann m. E. nicht einfach schreiben: "Ich bin dafür." oder "Ich setze mich dafür ein." oder "Ich geb Dir zwei Euro dafür." oder "Ich werde alles dafür geben.", ohne dass irgendwo im Umfeld dieses Satzes mal aufscheint, "wofür" dieses "dafür-"Tun erfolgt.
Das "Wofür" des klistierischen "Dafür" müsste dementsprechend hier auch noch irgendwo genannt werden. Alternativ - wenn eine solche "Wofür"-Nennung gerade unterbleiben soll, damit das "Kopfkino des Impliziten" sich um so freier entfalten kann - müsste m. E. ein "dafür"-loser Ausdruck gefunden werden.


"den sonst die andern, dienstbeflissen, / sich mühsam erst erkriechen müssen."

=> Durch den bestimmten Artikel bei "andern" müsste m. E. irgend eine Art von "die einen & die ander(e)n"-Differenzierung in dem Text deutlicher aufgezeigt werden als dies der Fall ist.
Am besten ersichtlich ist das vielleicht bei dem überlieferten Original-Klapphornvers, "der andere blies das Klappenhorn": Dieser Ausdruck ist (u. a. !) deshalb (unfreiwillig) komisch, weil nur implizit klar ist, dass der eine Knabe kein Klappenhorn spielte, während der andere genau dieses tat, ohne dass die Differenzierung sprachlich hinreichend eindeutig vorgenommen wird.
Im vorliegenden Text müsste aufgrund des bestimmten Artikels deutlicher herausgearbeitet werden, dass "der eine" (das Klistier) keine mühsame Erkriechung nötig hat, während "die andern" sich erst durch die Mühen der Ebene (kann man das hier so nennen?) quälen müssen.
Tatsächlich ist aber in S1 gerade davon die Rede, dass das Klistier sich bei seiner Schneisenbildung "redlich müht", so dass man als Leser ein bisschen gedanklich extrapoliern muss, auf welche unterschiedlichen Mühen "des einen" und "der andern" jeweils abgehoben wird. Ähnlich wie im obigen Fall mit dem "dafür" ist auch hier das implizite Momentum gerade teil des Humors, aber ähnlich wie oben ist auch hier dieser implizite Charakter rein sprachlich nicht passend zum verwendeten Ausdruck.
Diese klarer ausformulierte Differenzierung wäre nicht nötig, wenn statt von "den andern" z. B. von "alle andern" oder "manch' anderer" die Rede wäre (was hier natürlich metrisch nicht hinhaut).

Und wenn man bei diesem schönen Gedicht keine wohlgeformten Korinthen aussondern darf, bei welchem (andern) sollte man es dann wohl tun?
Wohlan. Ich habe mein Bestes gegeben. Jetzt fühle ich mich irgendwie erleichtert.

Wie man sieht: Eine recht vergnügliche Lektüre war das, soweit als ich bin betroffen. :)

LG!

S.
 

James Blond

Mitglied
Und wenn man bei diesem schönen Gedicht keine wohlgeformten Korinthen aussondern darf, bei welchem (andern) sollte man es dann wohl tun?
Wohlan. Ich habe mein Bestes gegeben. Jetzt fühle ich mich irgendwie erleichtert.
Lieber sufnus,

ich freue mich über deinen Kommentar und ob deiner Erleichterung. :)
Und das, selbst wenn ich mir nicht vorstellen kann, bei dir auf eine obstipatöse Problematik zu stoßen. Was zumindest deine Kommentare anbelangt, so läuft's doch - um es ganz mit Paul Breitner* zu sagen - ganz flüssig. ;)

Außerdem scheinen mir die Scherzgedichte bei allem Ernst der Textarbeit geeignete Opfer für eingehendere Betrachtungen. Es mag zwar zuweilen den Eindruck erwecken, dass da ein Textbeflissener seine Perlen vor die Säue schmeißt, doch minimiert sich hier die Gefahr, einem künstlerisch äußerst ambitionierten Dichter mit kritischen Haarspaltereien auf die Füße zu treten. Somit bieten Scherzgedichte einen entschärften Raum, grundlegende sprachliche Schwächen offen zu legen und zu erörtern, ohne dass es zu einem Gemetzel kommt.

  • "dafür"
Du hast vollkommen recht, wenn du schreibst, dass das "dafür" unbedingt ein Bezugswort braucht, damit der geneigte Leser mit der Frage "Für was denn?" nicht im Regen gelassen wird. Was mich überrascht, ist, dass du es nicht gefunden hast, liegt hier das Gute doch so nah:

Es wird in seinem kurzen Leben
dem einen dafür alles geben


Das ist zwar etwas "verdichtet" ( - um nicht zu sagen: verkürzt). Ausformuliert etwa: Es hat zwar nur ein kurzes Leben, wird aber - für diesen Nachteil - zumindest einem alles, was es hat, geben. Ich hatte gehofft, dass sich dieses Verständnis von selbst ergibt.

  • "die andern"
Im vorliegenden Text müsste aufgrund des bestimmten Artikels deutlicher herausgearbeitet werden, dass "der eine" (das Klistier) keine mühsame Erkriechung nötig hat, während "die andern" sich erst durch die Mühen der Ebene (kann man das hier so nennen?) quälen müssen.
Tatsächlich ist aber in S1 gerade davon die Rede, dass das Klistier sich bei seiner Schneisenbildung "redlich müht", so dass man als Leser ein bisschen gedanklich extrapoliern muss, auf welche unterschiedlichen Mühen "des einen" und "der andern" jeweils abgehoben wird
Warum sollte man den Leser denn nicht zu einer gedanklichen Extrapolation verführen? Macht das - im Gegensatz zu allem platt Dahergesagten - nicht oft genug den Reiz der Lyrik aus? ;) (Ich werde genau zu dieser Frage gleich ein anderes Scherzgedicht in den Ring werfen.)
Aber jetzt mal im Detail:
Mir ist hier der entscheidende semantische Unterschied zwischen "die anderen" und "alle anderen" zwar nicht geläufig, der
Vers ließe sich aber entsprechend ändern ("den alle andern, dienstbeflissen,...") , doch ohne dass sich m. E. groß etwas änderte. Die "redliche Mühe" des Klistiers würde das nicht entscheidend vom "mühsamen Erkriechen" der anderen absetzen. Hier wäre vielleicht eine semantische Haarspalterei hilfreicher:
... obskurerweise
sich redlich müht um eine Schneise.

Dieses "Mühen" wird im Sinne von "Bemühen" verwendet: Sich um etwas kümmern. Das Klistier braucht sich (in den meisten Fällen) nichts zu erkämpfen, der entscheidende Zugang wird ihm bekanntlich im eigenen Interesse eingeräumt. Seine Mühe besteht lediglich in der Bereitstellung seiner Möglichkeiten. "Sich redlich müht um eine Schneise" heißt: Sich redlich um eine Schneise (und die dahinter wartenden Probleme) zu kümmern und nicht: Sich (gegen die Konkurrenz der anderen) einen Zugang zu erkämpfen.

Ein nicht immer ganz vergnügliches Thema hat uns beide zu einer vergnüglichen Unterhaltung geführt, so dass ich diesmal "einem andern" das Schlusswort überlasse:

*Paul Breitner: "Da kam dann das Elfmeterschießen. Wir hatten alle die Hosen voll, aber bei mir lief's ganz flüssig."
;)

Grüße
JB
 



 
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