Lieber Thys,
so machen mir jedenfalls Diskussionen um Texte Spaß. Da lernt man voneinander (und auch einander, durchaus positiv, kennen). Das war auch der Grund, warum ich mich zu einer ausführlichen Stellungnahme veranlaßt sah. Damit endlich einmal eine Diskussion in Gang kommt über das, was Lyrik im Besonderen und Kunst im Allgemeinen ausmacht.
Mir ist es nicht um Lobhudeleien verlegen, wenn ich meine Gedichte einstelle. Loben kann ich mich morgens vor dem Spiegel selbst. Ich beanspruche auch nicht, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben oder der beste (Sonett-)Dichter unter dieser Sonne zu sein. Ich stehe zu meinen gelegentlichen Holperern (und auch dazu, mich manchmal selbst etwas zu überschätzen/überheben, sonst würde ich ja auch nicht Gedichte in öffentlichen Foren posten und auch noch Lesungen bestreiten).
Allerdings ist es schon manchmal notwendig, etwas zum Verständnis der eigenen Beiträge auszuführen. Der Anlaß hat sich hier geboten, und ich habe von ihm Gebrauch gemacht.
(2) "Bemüht"
Was heisst denn bemüht? Er hatte sich bemüht, nach bestem Wissen und Gewissen und Können, sein gestecktes Ziel aber nicht ganz erreicht. Ich verweise hier ökonomischerweise auf die Anmerkungen von JoteS. Das ist kein Vorwurf, es ist einfach eine Feststellung. Niemand ist perfekt. Solange man sich dessen bewusst ist, kein Problem. Nur wenn man unperfekt ist und hält sich dennoch für perfekt... das sehe ich schon als Problem an.
Daß ich mich nicht für perfekt halte, habe ich durch Wort und Tat belegt. "Bemüht" ist für mich ein Unwort wie für Dich das Wort "Ungeziefer". Ich würde einem, der sich hier versucht, niemals nur Bemühen unterstellen. Das ist nicht ganz fair. Ich stehe dazu, daß ich's nicht besser kann (und manchmal etwas zu schnell meine, fertig mit dem Bearbeiten zu sein) und habe nichts gegen hilfreiche Hinweise.
Nimms mir nicht übel, aber im Zusammenhang mit den Anmerkungen von JoteS, wirkt diese Argumentation nicht so gelungen.
S.o.: Wer zur Belehrung der Welt ausholt, wie ich das gelegentlich mache, der muß sich an seinem Maßstab auch messen lassen. Daher beschwere ich mich auch nicht über diese Anmerkung, denn sie erscheint in diesem Zusammenhang berechtigt.
Mehr noch: Den Unterschied, den Du zwischen Gefallen und Können machst empfinde ich als künstlich. Mir kann sehr wohl ein Text gefallen, der stilistisch und formal fehlerbehaftet ist, der aber einen Sinn vermittelt, der meine Gefühle anspricht.
In der Tat, das passiert. Aber dennoch ist der Text nicht objektiv gut. Ich meine, man kann neutral zur Kunstqualität eine Bewertung erstellen, ohne daß einem das Kunstwerk selbst gefallen muß. Da gibt es zweifellos einen Dissenz, zu dem ich stehe.
Auf der anderen Seite kannst Du mir ein formal und stilistisch perfekten Text präsentieren, der so tot ist wie eine nuklear bestrahlte Kellerassel. Das Ding wird nicht mehr als eine hübsche seelenlose Verpackung sein. Kunst-Technokraten mögen sich daran erfreuen können. Es ist aber keine Kunst. Wenn Dir allerdings gelingt beides in perfekter Weise in Einklang zu bringen... dann Hut ab!
Hier stecken zwei Punkte drin, die sich durchaus nicht widersprechen müssen. Denn wirkliche Kunst ist in der Tat die, die Form und Inhalt in bester Weise verbindet. Die heutige Zeit hat es geschafft, die Form als solche, und damit das Handwerkliche, aus der Kunstbewertung zu "entfernen". Das hat nicht zur Verbesserung der Qualität der Kunst beigetragen, leider. Wer den Fehler macht, die Form über den Inhalt zu erheben, der produziert ohne jeden Zweifel seelenlose l'art pour l'art. Wer aber andererseits meint, ohne sein Handwerk zu können, sei dem Künstler Kunst möglich, der macht Kunst beliebig und alles, jedes, zur Kunst.
Wie gesagt: Wer kein (inneres) Maß hat, ist maßlos. Und das ist durchaus ein wesentlicher Charakterzug unserer Zeit.
Maß aber kann man lernen. Indem man in die Lehre geht, durch Nachahmen und Studieren von Vorbildern, das war der Grund meiner ersten Ausführung. Ohne Literaturlesen geht das jedoch nicht. Und nachher übt, so wie ich jetzt hier. Und nur dann wird auch etwas aus den Versuchen, irgendwann einmal überwiegend gute Lyrik zu schreiben.
Frohe Ostern, einen schönen Abend und die besten Grüße
W.