Ausflug mit Marcello
Damals war ich Eisenbahner im gleitenden Schichtsystem. Da ich eine der wenigen Kollegen mit schulpflichtigen Kindern war und dennoch jederzeit bereit, Sonn- und Feiertagsschichten zu übernehmen und für andere einzuspringen, gab mir der Schichtleiter viele Nachtschichten. So konnte ich tagsüber schlafen, wenn die Kinder in der Schule waren und war immer frisch und munter.
Mir machten die Sonn- und Feiertagsschichten nichts aus, denn meine Familie bestand nur aus mir und meinen Kindern. Es gab keine Verwandten zu besuchen oder zu empfangen. Und die Ausflugsziele waren unter der Woche weit geringer besucht als an den Wochenenden, so hatten meine Kinder viel mehr Freude am Tierpark, den Badeseen und anderen Vergnügen.
Kam ich aus der Nachtschicht, kaufte ich frische Brötchen und verwöhnte meine Kinder mit einem leckeren Frühstück. Wenn zufällig schulfrei war, ging es nach dem Frühstück zum Müggelsee oder zum Orankesee.
Meine Kinder hatten viele Freunde. Manch einer war so anhänglich, dass er auch an unseren Ausflügen teilnehmen wollte. Fast immer hatte ich nicht nur meine Kinder um mich, sondern auch ihre Freunde. Die höchstmögliche Zahl war zehn Kinder insgesamt. Zwar hatte meine Tochter zwei Freundinnen mit jeweils drei Geschwistern, aber sie war so vernünftig, immer nur eine von beiden einzuladen. Sonst hätten wir auch zwei Kinderwagen schieben müssen, und dazu hatte keiner Lust.
Einmal war Marcello mitzunehmen. Dieser Klassenkamerad meines Jüngsten gefiel mir ganz und gar nicht. Zugegeben, er war ein sehr hübscher Junge, aber ich empfand ihn als frech, dreist und ungezogen. Zum Beispiel musste ich ihm erst beibringen, dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht schreit und tollt, auch wenn man Fahrgeld bezahlt hat.
Zum Glück brachte er sein eigenes Essen mit oder zumindest Geld für eine Bockwurst. Meist hatte er auch noch Geld für Bonbons, das konnte er behalten, denn ich machte einen Bogen um den Süßwarenstand. Süßigkeiten gab es bei mir nur in Ausnahmefällen und nicht als tägliche Nahrung.
Eines Tages war Marcello am Orankesee besonders ausgelassen. Es ging auf den Abend zu und der Strand hatte sich stark geleert; um genau zu sein, wir waren fast die Letzten, die noch spielten. Als alles Rufen und Bitten nicht half, sagte ich zu Marcello: „Das Freibad wird gleich geschlossen! Das Wasser wird abgelassen, dann fängt es hier an zu stinken, also komm endlich!“
Seine Augen wurden riesengroß. Er stammelte: „Und die Fische? Was wird aus den Fischen?“
Ich kannte den Achtjährigen inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er auf mein dummes Gerede hereinfallen wird, aber dass er sich sofort um die Fische ängstigte, damit hatte ich nicht gerechnet! Ich nahm ihn in den Arm und klärte ihn auf: „Das Wasser kann doch gar nicht abgelassen werden, das ist doch ein See und keine Badewanne! Ich wollte doch nur, dass wir endlich nach Hause gehen, vielleicht macht sich deine Mutter ja schon Sorgen um dich.“
Endlich war mir der Rotzbengel lieb geworden und ich war nicht mehr so streng mit ihm. Jetzt wusste ich, was meinem Sohn an Marcello gefiel und hörte auf, ihm die Freundschaft ausreden zu wollen. Ab sofort war Marcello mir stets willkommen.
Heute ist er selber ein treusorgender und liebevoller Familienvater.
Juni 2003
Damals war ich Eisenbahner im gleitenden Schichtsystem. Da ich eine der wenigen Kollegen mit schulpflichtigen Kindern war und dennoch jederzeit bereit, Sonn- und Feiertagsschichten zu übernehmen und für andere einzuspringen, gab mir der Schichtleiter viele Nachtschichten. So konnte ich tagsüber schlafen, wenn die Kinder in der Schule waren und war immer frisch und munter.
Mir machten die Sonn- und Feiertagsschichten nichts aus, denn meine Familie bestand nur aus mir und meinen Kindern. Es gab keine Verwandten zu besuchen oder zu empfangen. Und die Ausflugsziele waren unter der Woche weit geringer besucht als an den Wochenenden, so hatten meine Kinder viel mehr Freude am Tierpark, den Badeseen und anderen Vergnügen.
Kam ich aus der Nachtschicht, kaufte ich frische Brötchen und verwöhnte meine Kinder mit einem leckeren Frühstück. Wenn zufällig schulfrei war, ging es nach dem Frühstück zum Müggelsee oder zum Orankesee.
Meine Kinder hatten viele Freunde. Manch einer war so anhänglich, dass er auch an unseren Ausflügen teilnehmen wollte. Fast immer hatte ich nicht nur meine Kinder um mich, sondern auch ihre Freunde. Die höchstmögliche Zahl war zehn Kinder insgesamt. Zwar hatte meine Tochter zwei Freundinnen mit jeweils drei Geschwistern, aber sie war so vernünftig, immer nur eine von beiden einzuladen. Sonst hätten wir auch zwei Kinderwagen schieben müssen, und dazu hatte keiner Lust.
Einmal war Marcello mitzunehmen. Dieser Klassenkamerad meines Jüngsten gefiel mir ganz und gar nicht. Zugegeben, er war ein sehr hübscher Junge, aber ich empfand ihn als frech, dreist und ungezogen. Zum Beispiel musste ich ihm erst beibringen, dass man in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht schreit und tollt, auch wenn man Fahrgeld bezahlt hat.
Zum Glück brachte er sein eigenes Essen mit oder zumindest Geld für eine Bockwurst. Meist hatte er auch noch Geld für Bonbons, das konnte er behalten, denn ich machte einen Bogen um den Süßwarenstand. Süßigkeiten gab es bei mir nur in Ausnahmefällen und nicht als tägliche Nahrung.
Eines Tages war Marcello am Orankesee besonders ausgelassen. Es ging auf den Abend zu und der Strand hatte sich stark geleert; um genau zu sein, wir waren fast die Letzten, die noch spielten. Als alles Rufen und Bitten nicht half, sagte ich zu Marcello: „Das Freibad wird gleich geschlossen! Das Wasser wird abgelassen, dann fängt es hier an zu stinken, also komm endlich!“
Seine Augen wurden riesengroß. Er stammelte: „Und die Fische? Was wird aus den Fischen?“
Ich kannte den Achtjährigen inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er auf mein dummes Gerede hereinfallen wird, aber dass er sich sofort um die Fische ängstigte, damit hatte ich nicht gerechnet! Ich nahm ihn in den Arm und klärte ihn auf: „Das Wasser kann doch gar nicht abgelassen werden, das ist doch ein See und keine Badewanne! Ich wollte doch nur, dass wir endlich nach Hause gehen, vielleicht macht sich deine Mutter ja schon Sorgen um dich.“
Endlich war mir der Rotzbengel lieb geworden und ich war nicht mehr so streng mit ihm. Jetzt wusste ich, was meinem Sohn an Marcello gefiel und hörte auf, ihm die Freundschaft ausreden zu wollen. Ab sofort war Marcello mir stets willkommen.
Heute ist er selber ein treusorgender und liebevoller Familienvater.
Juni 2003