Ausgebootet

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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Kennen Sie das Gefühl, ausgebootet zu sein? Ja, das kennen Sie. Weg vom Fenster, isoliert, allein, missachtet, missverstanden, aufs Abstellgleis gestellt. Willkommen im Land der Verzweiflung.

Ich bin auch ausgebootet worden, aber richtig. Habe ein Schiff verlassen, bin in ein kleineres Boot umgestiegen, um den sicheren Hafen zu erreichen. Zurück genauso, was dann Einbooten heißt. Unter uns: Ausbooten ist spannend. War spannend.

Wenn man so naiv ist wie ich und eine Reise nach Helgoland, der einzigen deutschen Hochseeinsel mit steuerfreiem Einkaufsparadies, macht und das Kleingedruckte nicht liest, so erfährt man spätestens auf dem Schiff, dass man nicht direkt am Hafen anlegt, sondern aus- und später eingebootet wird.  Man kann das auch anders machen und direkt am Kai anlegen, das ist aber teurer und langweiliger. Stattdessen lieber das letzte Abenteuer: Ausbooten.

Eine freundliche weibliche Stimme beschallt das Schiff, das im Begriff ist, Helgoland zu erreichen. "Wir beginnen gleich mit dem traditionellen Ausbooten und wenn Sie den Anweisungen des Personals Folge leisten, ist das absolut ungefährlich!" ist zu hören. Ah ja, das hört sich sehr Vertrauen erweckend an. Wer würde sich denn irgendwelchen Anweisungen widersetzen, im Angesicht stürmischer Wellen, eiskalten Wassers und hungriger Möwen? Lieber schwimmen? Wir haben keine Alternative, wir müssen jetzt in das sich nähernde Motorboot, besetzt mit grimmig blickenden Bart tragenden Männern, welche in sympathisches Blau gekleidet sind. Das Boot schwankt heftig.
Alle drängeln sich an die Ausgangsluke. Das ist wie bei der Titanic, denke ich plötzlich und habe es schon gesagt: "Frauen und Kinder zuerst!" Ein Mann bemerkt: "Nee, zuerst die mit den Koffern, die auf Helgoland Urlaub machen!" Das Boot füllt sich und dann ist es wirklich voll. Mein Begleiter sagt: "Wir nehmen das nächste, denn wir gehen nur zusammen!" Jetzt denke ich; Verdammte Hacke, es IST wie bei der Titanic. "Hier gehen noch zwei drauf!", brüllt einer der Seebären und ich höre wieder den Satz "Wir gehen aber nur zusammen" und die erneut gebrüllte Antwort "Hab ich doch gesagt, ZWEI gehen noch drauf" und ich starre entsetzt auf den Abgrund aus Meer, der sich zwischen dem großen Schiff und dem kleinen Boot auftut - zu spät, zwei Seebären packen mich rechts und links unter die Achseln und schwupps stehe ich im Boot - "Danke fürs Kneifen" ruft einer der Bären. Jaja, kann ich doch nichts für, wenn es hier wie bei der Titanic zugeht.

Wir stehen eingekeilt, tatsächlich passten noch genau zwei Menschen hinein. Neben meinen Füßen ein Hund, der ganz ängstlich guckt. Ich weiß nicht, ob Hunde das können, aber der sah so aus. Herrchen legt ihm beruhigend die Hand auf den Kopf. Wo soll ich mich festhalten? Am nächstbesten Mann. Wo hält der sich fest? An seinem Koffer. Ich frage höflich, ob ich den Arm des Mannes packen darf. Der Mann lacht. "Halten Sie sich ruhig fest, Sie sind ja nicht die Einzige", sagt er. Stimmt, auch sein anderer Arm wird umklammert.

Das Boot legt ab, der Motor heult auf und schwankend fahren wir die kurze Entfernung zum Hafen. Zwei Jugendliche mit hübschen blauen Tüten sitzen im Blickfeld. Der eine befüllt die Tüte mit Mageninhalt. Er tut mir von Herzen leid, aber ich bin so mit Festhalten beschäftigt, dass mir nicht schlecht wird.
Dann müssen alle wieder aus dem Boot steigen. Wie das? Ich lasse den Koffer haltenden Mann los. "Nehmen Sie einfach meine Hand", sagt ein Seebär vom Ufer aus und streckt mir eine Quadratpranke entgegen. Das mache ich und siehe da, unverletzt bin ich endlich auf Helgoland.

Jetzt fragen Sie sich, wie ich wieder zurück gekommen bin. Tja, wieder mit einem Boot, aber dieses Mal mit Sitzplatz, ohne Hunde, Koffer und blaue Tüten. Schön war's, und wer sich einfach am Hafen absetzen lässt, ist ja langweilig.
 
Doc, das Gemeinschaftserlebnis ist anschaulich mit vielen Details beschrieben, so dass der amüsierte Leser sich gut in die Situation hineinversetzen kann. Persönlich möchte ich es dabei bewenden lassen, plane keine Helgolandreise oder sonstiges Ausgebootetwerden.

Nur mit dem letzten Absatz habe ich meine Schwierigkeiten: Warum weist dieses Boot kein Gedränge auf? Und der allerletzte Satz kommt mir ein wenig unpräzise vor. Ist eine vorsichtige oder ängstliche Person an sich "langweilig"? Oder ist es nicht vielmehr die andere Art der Landung?

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Arno,

freut mich, dass Dich dieses länger zurück liegende Erlebnis amüsiert. So soll es sein!

Es war tatsächlich so, dass beim Einbooten kein Gedränge herrschte. Vermutlich fuhren weniger Leute zurück als bei der Ankunft, weil ja einige auch als Urlauber länger dablieben und nicht nur als Tagesgäste.

Der Schluss ist missverständlich, stimmt. Ich meinte schon die Leute, die eher langweilig wirken, wenn sie sich dem Ausbooten entziehen. Das soll zum eher flapsigen Ton des Textes passen.

Inzwischen ist ein heftiger Streit ums Ausbooten entbrannt. Es gibt Angebote von Bäderschiffen, die das nicht mehr tun, während die Insulaner darauf pochen. Alte Tradition, weil Helgoland früher keinen richtigen Hafen hatte.

Übrigens, ein Besuch ist empfehlenswert. Abseits der Touristenströme gibt es wunderbar einsame Naturplätze.

Viele Grüße, DS

P.S. Danke für die freundlichen Bewertungen!
 



 
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