Magdalena_schreibt
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Während sie sich noch durch den engen Gang zwängte, fuhr der Zug auch schon los. Beinahe wäre sie auf eine alte Dame gestolpert, die ruhig dasaß und strickte. Die junge Frau entschuldigte sich hastig und ging weiter. Sie war auf der Suche nach einem freien Sitzplatz. Freitags war der Zug immer besonders voll. Sie stieg über einen Rucksack, der am Boden lag, quetschte sich an einem großen Koffer vorbei, und wich einem entgegenkommenden Passagier aus.
Noch immer war sie außer Atem von ihrem Sprint quer durch die Bahnhofshalle, über zwei Rolltreppen, bis auf den Bahnsteig. Endlich entdeckte sie einen freien Sitzplatz neben einem gut gekleideten Herrn mittleren Alters. Er wirkte nicht erfreut, als sie fragte, ob sie sich setzen dürfe, machte dann aber doch den Fensterplatz neben sich frei, und ließ sie Platz nehmen. Sie bedankte sich, und fiel erschöpft auf den harten Sitz. Es war ein anstrengender Tag gewesen.
Sie sah aus dem Fenster, ohne die ihr wohl bekannte Landschaft, die draußen vorbeizog, wirklich wahrzunehmen. Ihre Gedanken waren noch immer bei der Arbeit, kreisten um Aufgaben und Termine.
Plötzlich drang ein Geräusch an ihr Ohr. Erst war es nur leise, und sie nahm es kaum wahr, doch nun, da sie es einmal gehört hatte, wurde es zunehmend lauter. Es war ein Klopfen, dumpfe Schläge, die sich immer weiter in ihren Kopf hämmerten und zerschlugen, was sie eben noch gedacht hatte. Wie ein Paukenschlag holten sie die junge Frau zurück ins Hier und Jetzt. Sie drehte den Kopf weg vom Fenster und sah sich suchend um. Ihr Blick blieb an ihrem Sitznachbarn hängen. Scheinbar ruhig saß er da und blickte ins Nichts. Auf seinen Füßen lag ein Aktenkoffer, den er mit einer Hand festhielt, während die Finger seiner anderen Hand nervös darauf herumtrommelten. Schockstarre. Bilderfetzen schossen durch ihren Kopf, Fingerklopfen durchdrang ihren Körper, Panik stieg in ihr hoch. Schnell drehte sie sich weg und richtete ihren Blick wieder auf die vorbeiziehenden Felder und Dörfer. Sie musste die Bilder ersetzen, die sich in ihren Kopf drängten. Doch das Trommeln blieb, und je länger sie aus dem Fenster starrte, desto lauter wurde es. Und auch die Bilder kamen zurück.
Sie sitzt da. Die Fingerschläge dröhnen in ihren Ohren. Sie weiß, dass sie etwas sagen muss. Sie sucht nach Worten, formuliert Sätze im Geiste, baut eine überzeugende Rede. Doch über ihre Lippen kommt kein Wort. Vor ihr klopfen seine Finger ungeduldig auf den Tisch. Die Zeit läuft ihr davon, und gleichzeitig erscheint jeder Augenblick wie eine Unendlichkeit. Das monotone Trommeln wirkt wie eine Drohung, bohrt sich in ihren Kopf und setzt sich dort fest.
Alles war wieder da. Die Erinnerung quälte sie, jeder Fingerschlag ein Schlag ins Gesicht. Sie hielt es nicht mehr aus, keine Sekunde länger könnte sie hier sitzen bleiben. Sie würde aufstehen und gehen. Ohne ein Wort. Wie damals. Davonlaufen konnte sie gut. Das war sicher. Doch nachher würde sie sich wieder quälen mit Selbstkritik, würde sich hassen für ihre Feigheit. Musste das nicht endlich aufhören? Konnte sie nicht stark sein und laut? Trotz allem. Was sollte ihr schon passieren? Er war ein Fremder, sie würde ihn bestimmt nie wieder sehen. Er war keine Bedrohung. Diesmal würde sie nicht schweigen. Ihre Worte würden den Rhythmus von Angst und Schmerz zerschmettern.
Sie drehte sich vom Fenster weg und sah den Trommler an. Gedankenverloren schlug er mit seinen Fingern auf den Koffer, scheinbar ohne selbst davon Notiz zu nehmen. Sie war fest entschlossen, etwas zu sagen. Sie musste etwas sagen. Doch würde er sie überhaupt hören? Würde es denn etwas nützen? Sie suchte nach den richtigen Worten. Sie musste entschieden auftreten, wollte dabei aber doch höflich bleiben. Sie formulierte Sätze, doch das Trommeln drang unaufhaltsam in ihre Gedanken, hallte wider in ihrem Kopf und übertönte ihre Rede.
Wie damals saß sie da. Unfähig ein Wort zu sagen. Sie hasste sich dafür. Alles war anders und trotzdem hatte sich nichts geändert. Sie war genauso schwach, genauso still wie immer. Wut stieg in ihr hoch. Wut über sich und ihre Unfähigkeit, ihre Wünsche zu äußern. Wut über ihr Unvermögen, ihre Anliegen vorzubringen. Wut darüber, dass sie schon wieder nichts sagen konnte. Und mit jedem Schlag, mit jedem Ton, der an ihr Ohr drang, wuchs diese Wut. Sie wollte schreien, wollte all ihren Schmerz und ihre nie gesagten Sätze rausbrüllen in die Welt. Ihr Mund öffnete sich, doch es kam nichts heraus. Ihr Herz raste, ihre Hände schwitzten und zitterten.
Plötzlich war da ein Geräusch. Wie ein lauter Knall übertönte es das Trommeln seiner Finger. Kaum hatte sie es gehört, da war es auch schon wieder verklungen. Und dann war es still. So still, dass sie nur noch ihr Herz pochen hörte. Der Mann neben ihr hatte seinen Kopf erschrocken in ihre Richtung gedreht. Regungslos, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen, saß er da und starrte sie an. Sein Atem stockte. Seine Finger waren mitten in der Bewegung eingefroren. Daneben lag ihre Hand auf seinem Koffer.
Was hatte sie getan? War sie zu weit gegangen? Sie blickte ihn an, fühlte sich schuldig, irgendwie, und trotzdem huschte ein triumphierendes Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte es geschafft. Sie war laut geworden, obwohl alle ihr immer gesagt hatten, sie solle still sein. Sie hatte kein Wort gesagt, und doch hatte sie ein Machtwort gesprochen.
Es war das Trommeln ihrer Finger auf seinem Koffer, das sie aus ihrer Schockstarre geholt hatte. Jetzt war Ruhe, im Zug und in ihrem Kopf. Ausgetrommelt.
Noch immer war sie außer Atem von ihrem Sprint quer durch die Bahnhofshalle, über zwei Rolltreppen, bis auf den Bahnsteig. Endlich entdeckte sie einen freien Sitzplatz neben einem gut gekleideten Herrn mittleren Alters. Er wirkte nicht erfreut, als sie fragte, ob sie sich setzen dürfe, machte dann aber doch den Fensterplatz neben sich frei, und ließ sie Platz nehmen. Sie bedankte sich, und fiel erschöpft auf den harten Sitz. Es war ein anstrengender Tag gewesen.
Sie sah aus dem Fenster, ohne die ihr wohl bekannte Landschaft, die draußen vorbeizog, wirklich wahrzunehmen. Ihre Gedanken waren noch immer bei der Arbeit, kreisten um Aufgaben und Termine.
Plötzlich drang ein Geräusch an ihr Ohr. Erst war es nur leise, und sie nahm es kaum wahr, doch nun, da sie es einmal gehört hatte, wurde es zunehmend lauter. Es war ein Klopfen, dumpfe Schläge, die sich immer weiter in ihren Kopf hämmerten und zerschlugen, was sie eben noch gedacht hatte. Wie ein Paukenschlag holten sie die junge Frau zurück ins Hier und Jetzt. Sie drehte den Kopf weg vom Fenster und sah sich suchend um. Ihr Blick blieb an ihrem Sitznachbarn hängen. Scheinbar ruhig saß er da und blickte ins Nichts. Auf seinen Füßen lag ein Aktenkoffer, den er mit einer Hand festhielt, während die Finger seiner anderen Hand nervös darauf herumtrommelten. Schockstarre. Bilderfetzen schossen durch ihren Kopf, Fingerklopfen durchdrang ihren Körper, Panik stieg in ihr hoch. Schnell drehte sie sich weg und richtete ihren Blick wieder auf die vorbeiziehenden Felder und Dörfer. Sie musste die Bilder ersetzen, die sich in ihren Kopf drängten. Doch das Trommeln blieb, und je länger sie aus dem Fenster starrte, desto lauter wurde es. Und auch die Bilder kamen zurück.
Sie sitzt da. Die Fingerschläge dröhnen in ihren Ohren. Sie weiß, dass sie etwas sagen muss. Sie sucht nach Worten, formuliert Sätze im Geiste, baut eine überzeugende Rede. Doch über ihre Lippen kommt kein Wort. Vor ihr klopfen seine Finger ungeduldig auf den Tisch. Die Zeit läuft ihr davon, und gleichzeitig erscheint jeder Augenblick wie eine Unendlichkeit. Das monotone Trommeln wirkt wie eine Drohung, bohrt sich in ihren Kopf und setzt sich dort fest.
Alles war wieder da. Die Erinnerung quälte sie, jeder Fingerschlag ein Schlag ins Gesicht. Sie hielt es nicht mehr aus, keine Sekunde länger könnte sie hier sitzen bleiben. Sie würde aufstehen und gehen. Ohne ein Wort. Wie damals. Davonlaufen konnte sie gut. Das war sicher. Doch nachher würde sie sich wieder quälen mit Selbstkritik, würde sich hassen für ihre Feigheit. Musste das nicht endlich aufhören? Konnte sie nicht stark sein und laut? Trotz allem. Was sollte ihr schon passieren? Er war ein Fremder, sie würde ihn bestimmt nie wieder sehen. Er war keine Bedrohung. Diesmal würde sie nicht schweigen. Ihre Worte würden den Rhythmus von Angst und Schmerz zerschmettern.
Sie drehte sich vom Fenster weg und sah den Trommler an. Gedankenverloren schlug er mit seinen Fingern auf den Koffer, scheinbar ohne selbst davon Notiz zu nehmen. Sie war fest entschlossen, etwas zu sagen. Sie musste etwas sagen. Doch würde er sie überhaupt hören? Würde es denn etwas nützen? Sie suchte nach den richtigen Worten. Sie musste entschieden auftreten, wollte dabei aber doch höflich bleiben. Sie formulierte Sätze, doch das Trommeln drang unaufhaltsam in ihre Gedanken, hallte wider in ihrem Kopf und übertönte ihre Rede.
Wie damals saß sie da. Unfähig ein Wort zu sagen. Sie hasste sich dafür. Alles war anders und trotzdem hatte sich nichts geändert. Sie war genauso schwach, genauso still wie immer. Wut stieg in ihr hoch. Wut über sich und ihre Unfähigkeit, ihre Wünsche zu äußern. Wut über ihr Unvermögen, ihre Anliegen vorzubringen. Wut darüber, dass sie schon wieder nichts sagen konnte. Und mit jedem Schlag, mit jedem Ton, der an ihr Ohr drang, wuchs diese Wut. Sie wollte schreien, wollte all ihren Schmerz und ihre nie gesagten Sätze rausbrüllen in die Welt. Ihr Mund öffnete sich, doch es kam nichts heraus. Ihr Herz raste, ihre Hände schwitzten und zitterten.
Plötzlich war da ein Geräusch. Wie ein lauter Knall übertönte es das Trommeln seiner Finger. Kaum hatte sie es gehört, da war es auch schon wieder verklungen. Und dann war es still. So still, dass sie nur noch ihr Herz pochen hörte. Der Mann neben ihr hatte seinen Kopf erschrocken in ihre Richtung gedreht. Regungslos, mit offenem Mund und weit aufgerissenen Augen, saß er da und starrte sie an. Sein Atem stockte. Seine Finger waren mitten in der Bewegung eingefroren. Daneben lag ihre Hand auf seinem Koffer.
Was hatte sie getan? War sie zu weit gegangen? Sie blickte ihn an, fühlte sich schuldig, irgendwie, und trotzdem huschte ein triumphierendes Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte es geschafft. Sie war laut geworden, obwohl alle ihr immer gesagt hatten, sie solle still sein. Sie hatte kein Wort gesagt, und doch hatte sie ein Machtwort gesprochen.
Es war das Trommeln ihrer Finger auf seinem Koffer, das sie aus ihrer Schockstarre geholt hatte. Jetzt war Ruhe, im Zug und in ihrem Kopf. Ausgetrommelt.