Ausklang

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anbas

Mitglied
Ausklang

Der Puls der Zeit schlägt längst nicht mehr,
und auch die Zeit schlägt keiner tot.
Der Globus ist nun menschenleer.
Es bleibt das Abendrot,

das niemand mehr bestaunen kann
- doch das ist ihm egal.
Bald kündigt sich der Morgen an,
er hat ja keine Wahl.

Das Morgenrot zieht auch vorbei,
ganz ohne Poesie.
Der Tag verläuft dann störungsfrei
in größter Harmonie.

So machte zwar die Menschheit schlapp
- es lief nicht ganz nach Plan.
Die Erde aber bleibt auf Trab
und auch auf ihrer Bahn.
 
K

Kara

Gast
Hallo anbas,
ich möchte dir mit meinem Endzeitgedicht antworten.

Müde sind die Wellen,
die auf die Felsen schlagen.
Meeresgetier noch matt leuchtend
in unendlicher Tiefe.
Kein Lichtstrahl, der die Schwärze
durchdringt und kein Laut mehr.
Gesang der Wale verstummt,
Dantes Inferno vorbei.
Erloschene Vulkane,
erloschene Augen,
dem Tode preisgegebene Landschaften
auf der Netzhaut eingebrannt.
Hiroshima und Nagasaki zugleich.
Leere.

Vielleicht ist aber alles überraschend anders - nur das
Abendrot bleibt.

Herzl. Grüße von
Uschi
 
C

cellllo

Gast
Sehr interessanter Kontrast :
Ich staune über die sparsamen,
recht locker und doch
messerscharf gesetzten Mittel
incl. den gezielten Seitenhieb
in Richtung Poesie ( ! ), womit
anbas hier komischer Weise mehr erreicht
als der ernsthafte Versuch Karas,
das Grauen an die Wand zu malen,
wobei komischer Weise doch irgendwie ganz vergeblich Dantes Inferno und Hiroshima und Nagasaki aufgeboten werden.....
Der Titel "Ausklang" klingt aber zu sehr nach "aus" und widerspricht der beunruhigenden treffenden Tatsache, dass die Erde schön ruhig ohne uns weiterlebt und damit unsere arrogante Hybris und totale Überflüssigkeit dokumentiert.
cellllo
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Anbas,

ein großes Thema ganz lakonisch verarbeiten? Wird zu selten gemacht. Gern gelesen.

Gruß

J.
 

James Blond

Mitglied
ein großes Thema ganz lakonisch verarbeiten? Wird zu selten gemacht. Gern gelesen.
Ich halte diesen lakonischen Ton und den lapidaren Stil sogar für die einzig angemessene Herangehensweise an globale Katastrophenszenarien. Je größer der Schaden ist, desto größere Wirkung erzielt eine zurückhaltende Erwähnung der Ereignisse.

Man kann am nachfolgenden, kommentierenden Gedicht sehr gut erkennen, wie schnell anderenfalls der Schuss nach hinten losgeht. Wenn neben 'erloschenen Augen' gleich noch die 'erloschenen Vulkane' und 'eingebrannten Netzhäute' mitbedauert werden, ist eine unfreiwillige Komik vorprogrammiert.

Ein Desaster, das jeder Beschreibung spottet, lässt sich eben nicht in Aufzählungen oder Bilder fassen. Klug, dass der Autor für seinen 'Ausklang' den leiseren, ironischen Weg eingeschlagen hat und uns nicht mit ermüdender Betroffenheitslyrik erschlägt. Durch die vermittelnde Distanz bleibt der Leser seinen eigenen Gefühlen überlassen, Trost, Entsetzen und Komik werden zugleich angesprochen.

Selten habe ich die Kulturgeschichte so treffend knapp geschildert bekommen wie hier:
So machte zwar die Menschheit schlapp
- es lief nicht ganz nach Plan.
und zugleich über die raffinierte Formulierung geschmunzelt, 'dass keiner die Zeit [mehr] tot schlägt', die das Aussterben der Menscheit mit ironischem Euphemismus ins Positive dreht.

Leider fällt ausgerechnet der V2 aus dem Metrum, die 8-6-8-6-Silbenfolge wird hier durchbrochen, was darum besonders schade ist, weil der Wechsel zu den verkürzten Versen den lapidaren Stil unterstreicht. Vielleicht ließen sich Ironie und Metrum retten, etwa durch:

Der Puls der Zeit schlägt längst nicht mehr -
man schlägt sich nicht mehr tot.


Gern gelesen und kommentiert.

Grüße
JB
 

anbas

Mitglied
Sorry Leute, derzeit geht es bei mir im eher unschönen Sinne etwas turbulent zu - da mag ich dann nur vereinzelt mal antworten oder schreiben. So bin ich auch hier etwas spät dran mit meiner Reaktion.

Also


@ Uschi

Danke für Deine Zeilen. Auch, wenn es kein schönes Thema ist, freue ich mich, dass ich Dich zu diesen Zeilen inspirieren konnte.


@ Cellllo

Die Gefahr bei der Bearbeitung von ernsten Themen ist immer, dass der Text in die Betroffenheitslyrik abgleitet oder der moralisch Zeigefinger den Leser zu erschlagen droht. Auch, wenn ich mich oft mit dieser Art von Texten schwer tue, haben diese Formen der Lyrik auch ihre Berechtigung. Ich finde es tatsächlich interessanter, auf anderen Wegen die "Botschaft" zu verkünden (obwohl ich auch schon in Sachen "moralischer Zeigefinger" aktiv war ;) ).

"Ausklang" passt durchaus, wie ich finde. Es ist ein genauso lakonischer Titel wie das gesamte Gedicht (i.S.v. Ausklang der Zeit der Menschheit).


@ Jürgen

Vielen Dank auch für Deine Rückmeldung! Vor allem für das Wort "lakonisch" - ich kam nicht drauf, wie ich die Art und Weise der Umsetzung des Themas bezeichnen sollte (hatte massive Wortfindungsschwierigkeiten :D).


Danke für Eure Kommentare, Gedanken und Wertungen!


Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo James,

vielen Dank für diese ausfürhliche Auseinandersetzung mit meinem Text (ich bekomme sowas nicht hin ... :( - mal sehen, vielleicht lerne ich es noch ;) ).

Zwar hat aus meiner Sicht auch die Betroffenheitslyrik oder "verwandte" Formen ihre Berechtigung, doch erreicht mich diese i.d.R. nicht (eine Ausnahme wäre für mich z.B. das Lied "Kinder" von Bettina Wegner). Leider bin ich häufig zu dicht an den großen Themen dran, so dass ich in Schreibblockaden schlittere oder aber nur "Kampfgedichte" oder eben Betroffenheitstexte zustande bekomme. Hier habe ich einen anderen Weg zum Leser ausprobiert und freue mich, dass dies wohl funktioniert hat.

Leider fällt ausgerechnet der V2 aus dem Metrum, die 8-6-8-6-Silbenfolge wird hier durchbrochen, was darum besonders schade ist, weil der Wechsel zu den verkürzten Versen den lapidaren Stil unterstreicht.
Eigentlich und normalerweise lege ich selber auch sehr viel Wert auf eine durchgehend saubere und einheitliche Metrik. Daher habe ich an dieser Stelle viel herumprobiert (Mein Alternativ-Ergebnis wäre
Der Puls der Zeit schlägt längst nicht mehr,
die Zeit schlägt niemand tot.
gewesen).

Letztendlich war mir dann aber hier - als seltene Ausnahme - die Aussage und das Spiel mit den einzelnen Worten wichtiger als die einheitliche Metrik. Da dieser Bruch (oder "Metrikverstoß") gleich am Anfang erfolgt, ist es aus meiner Sicht auch nicht ganz so schlimm. Mal sehen, vielleicht fällt mir ja noch was ein (was ich im Moment allerdings bezweifel ;)).

Vielen Dank für Deine Rückmeldung!


Liebe Grüße

Andreas
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Ach wie gut, daß niemand weiß, daß ich Rumpelstielzchen heiß

Ich verstehe nicht, wie es Abend- und Morgenrot geben kann, wenn es kein Auge und keine Seele (mehr) gibt, die diese Farben in ihren Empfindungsraum malt.
Und auch nicht, wie ein Wesen (der "Mensch"), dessen Bewußtsein die Zeitlinie zieht, in der Zeit enden kann.
Und wie das lyrische Ich über sein Nichtmehrsein reflektieren kann, als ob die Filme und Dialoge seines Erinnerumgsraumes noch forttönten. Vom Gespräch des Lyri mit dem Leser ganz abgesehen (oder soll es die Leser dann noch geben, etwa im "Futur II"?)
Aber das hänge ich nur als überflüssigen Gedanken an, als metaphysischen Nachklapp, denn das Lied ist nicht schlecht.
Gehört eigentlich in die "Weltende"-Rubrik (hier in der Lupe, ich glaube unter "Fingerübungen" - ?), wo sich schon Hunderte frech abgerissener Fetzen gesammelt haben. Dies hier braucht den Vergleich mit den vielen anderen dort nicht zu scheuen.
 

anbas

Mitglied
Hallo Mondnein,

überflüssige Gedanken? Gibt es die? Jede Beschneidung der eigenen Gedanken kann doch die Kreativität killen. Finde ich jedenfalls. ;)

Ich danke Dir für die Auseinandersetzung mit diesem Text und freue mich, dass er Dir gefällt.

Die Weltende-Rubrik kenne ich - immerhin entstand sie mal aufgrund eines Kalauers aus meiner Feder. Bei diesem Gedicht hatte ich auch überlegt, ihn dort einzustellen. Doch war ich der Meinung, dass er hier besser aufgehoben ist. Aber ich werde wohl dort einen Link hierher setzen.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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