Mechanisch setzte er einen Fuss vor den anderen. Er sah nichts von den ehrwürdigen Bauten seiner Geburtsstadt, als er durch die winkeligen Gassen der Altstadt schlurfte. In Gedanken war er bei Alexander, seinem Sohn.
“Du hast dich nie um deine Kinder gekümmert” hatte ihm seine geschiedene Frau am Telefon vorgeworfen.
“Versuche wenigstens jetzt einmal eine Katastrofe zu verhindern!”
Wie gewohnt war Helga aggresiv gewesen, überzeugt, dass nur ihr Standpunkt der Richtige sei und dass an allem was schief lief, allein Richard die Schuld trug.
Alexander wollte eine Türkin heiraten. Das heisst, eigentlich war sie Deutsche, Tochter türkischer Eltern, die selbst in Deutschland aufgewachsen waren.
Richard war sofort nach München gekommen, in der Absicht zu retten was noch zu retten war. Paare mit ungleichem kulturellen Hintergrund sind selten glücklich. Das wusste er aus Erfahrung. Er war in Südamerika aufgewachsen; trotz seiner deutschen Eltern und des dazu gehörigen deutschen Passes war er ein typischer Venezolaner. Helga war aus München. Nach den ersten Jahren im Liebestaumel mussten sich beide eingestehen, dass sie nicht zueinander passten. Den Kindern zuliebe versuchten sie immer wieder zu kitten was zum Auseinaderbrechen verdammt war.
So war ihre Ehe nach langen Jahren des täglichen Zanks um Prinzipien und um Kleinigkeiten schliesslich in Brüche gegangen. Nach ihrer Scheidung war Helga mit den Söhnen und der Tochter zurück in ihre Heimat gezogen.
Alexander war nicht bereit gewesen, sich Ratschläge seines entfremdeten Vaters anzuhören. Er hatte ihn darauf hingewiesen, dass er im Hinblick auf seine eigene gescheiterte Ehe, keinesfalls der ideale Berater für junge Menschen sei. Aber als er die tiefe Sorge seines Vaters sah, sie geradezu spürte, schlug er vor, ihm Elina vorzustellen.
Danach konnte Richard keine Argumente mehr gegen Alexanders Wahl finden. Elina war eine Frau, nach der alle jungen Männer lechzen würden und bestimmt auch die nicht ganz jungen und die älteren ebenfalls. Und nicht nur das, sie war sympathisch, wortgewandt, sprach mit ausgeprägtem süddeutschen Tonfall und als sie bemerkte, dass ihr zukünftiger Schwiegervater bayrisch verstand, unterhielten sie sich im Dialekt. Als Richard sich verabschiedete, hatte sie zögernd eine Bitte ausgesprochen.
“Nach türkischem Brauch, muss der Vater des Bräutigams an Stelle seines Sohnes beim Vater der Braut um ihre Hand anhalten. Sie würden mir eine grosse Freude bereiten, wenn Sie das tun könnten.”
Natürlich willigte Richard ein, mit dem klitzekleinen Hintergedanken, dass ihr Vater vielleicht sein Gesuch ablehnen würde.
Daraus wurde nichts. Herr Attila Demir war sichtlich erfreut über das Zugeständnis an seine angestammte Tradition. Offensichtlich hielt er diese Geste für ein Zeichen der Bereitschaft der zukünftigen Familie seiner Tochter auch andere Bräuche zu ehren; ein gutes Omen für ihr Eheglück. Sie verabschiedeten sich herzlich, bereits wie Angehörige desselben Clans.
“Natürlich, ein voller Busen und ein runder Arsch überzeugen dich sofort. Das hätte ich mir doch denken können. Die Mühe dich hierher zu bitten, hätte ich mir ersparen können”, hatte Helga gefaucht, als Richard versuchte sie umzustimmen.
Dann schluchzte sie hilflos. Richard umarmte sie zaghaft. Sie stiess ihn nicht von sich.
Morgen würde er zurückfliegen nach Caracas. In Gedanken versunken suchte er nach passenden Abschiedsworten.
Jäh wurde er aus seinen Grübeleien gerissen. Vor ihm bauten sich zwei junge Männer auf. Einer hielt im eine Pistole vor die Stirn.
“Moneten her, Alter!” zischte er.
Als hätte man ihm einen “Hände hoch” Befehl gegeben, hob Richard langsam beide Hände. In Kopfhöhe schnellte seine linke Handkante gegen die Waffe, die Fingerknöchel seiner Rechten trafen fast gleichzeitig den Kehlkopf des Revolvermannes. Ein trockener, kurzer Schlag, so wie er vor Jahrzehnten gelernt hatte ein Brett zu zertrümmern. Der Angreifer röchelte rang nach Atem, krümmte sich, fiel zu Boden, wand sich wie ein harpunierter Fisch. Sein Kumpan tat nichts um Richard am Weitergehen zu hindern. Passanten sammelten sich um den Mann auf dem Pflaster. Richard verschwand hinter der nächsten Ecke.
Im Flugzeug nach Caracas las er in der Süddeutschen Zeitung:”.... mutmasslicher Rechtsextremist verletzt einen jungen Mann türkischer Abstammung aus Neuperlach schwer. Er ist noch nicht vernehmungsfähig. Die Polizei nimmt an, dass das Opfer von einem Unbekannten bedroht wurde und versuchte den Angreifer mit einer Pistole abzuwehren. Wie sich heraustellte, war die Pistole eine Attrappe aus Plastik. Wegen der Brutalität des Angriffs, ermittelt die Kriminalpolizei in der rechtsextremen Szene. Fahndungsdienliche Hinweise nach dem flüchtigen Täter werden von jeder Polizeidienststelle entgegengenommen …..”
“Du hast dich nie um deine Kinder gekümmert” hatte ihm seine geschiedene Frau am Telefon vorgeworfen.
“Versuche wenigstens jetzt einmal eine Katastrofe zu verhindern!”
Wie gewohnt war Helga aggresiv gewesen, überzeugt, dass nur ihr Standpunkt der Richtige sei und dass an allem was schief lief, allein Richard die Schuld trug.
Alexander wollte eine Türkin heiraten. Das heisst, eigentlich war sie Deutsche, Tochter türkischer Eltern, die selbst in Deutschland aufgewachsen waren.
Richard war sofort nach München gekommen, in der Absicht zu retten was noch zu retten war. Paare mit ungleichem kulturellen Hintergrund sind selten glücklich. Das wusste er aus Erfahrung. Er war in Südamerika aufgewachsen; trotz seiner deutschen Eltern und des dazu gehörigen deutschen Passes war er ein typischer Venezolaner. Helga war aus München. Nach den ersten Jahren im Liebestaumel mussten sich beide eingestehen, dass sie nicht zueinander passten. Den Kindern zuliebe versuchten sie immer wieder zu kitten was zum Auseinaderbrechen verdammt war.
So war ihre Ehe nach langen Jahren des täglichen Zanks um Prinzipien und um Kleinigkeiten schliesslich in Brüche gegangen. Nach ihrer Scheidung war Helga mit den Söhnen und der Tochter zurück in ihre Heimat gezogen.
Alexander war nicht bereit gewesen, sich Ratschläge seines entfremdeten Vaters anzuhören. Er hatte ihn darauf hingewiesen, dass er im Hinblick auf seine eigene gescheiterte Ehe, keinesfalls der ideale Berater für junge Menschen sei. Aber als er die tiefe Sorge seines Vaters sah, sie geradezu spürte, schlug er vor, ihm Elina vorzustellen.
Danach konnte Richard keine Argumente mehr gegen Alexanders Wahl finden. Elina war eine Frau, nach der alle jungen Männer lechzen würden und bestimmt auch die nicht ganz jungen und die älteren ebenfalls. Und nicht nur das, sie war sympathisch, wortgewandt, sprach mit ausgeprägtem süddeutschen Tonfall und als sie bemerkte, dass ihr zukünftiger Schwiegervater bayrisch verstand, unterhielten sie sich im Dialekt. Als Richard sich verabschiedete, hatte sie zögernd eine Bitte ausgesprochen.
“Nach türkischem Brauch, muss der Vater des Bräutigams an Stelle seines Sohnes beim Vater der Braut um ihre Hand anhalten. Sie würden mir eine grosse Freude bereiten, wenn Sie das tun könnten.”
Natürlich willigte Richard ein, mit dem klitzekleinen Hintergedanken, dass ihr Vater vielleicht sein Gesuch ablehnen würde.
Daraus wurde nichts. Herr Attila Demir war sichtlich erfreut über das Zugeständnis an seine angestammte Tradition. Offensichtlich hielt er diese Geste für ein Zeichen der Bereitschaft der zukünftigen Familie seiner Tochter auch andere Bräuche zu ehren; ein gutes Omen für ihr Eheglück. Sie verabschiedeten sich herzlich, bereits wie Angehörige desselben Clans.
“Natürlich, ein voller Busen und ein runder Arsch überzeugen dich sofort. Das hätte ich mir doch denken können. Die Mühe dich hierher zu bitten, hätte ich mir ersparen können”, hatte Helga gefaucht, als Richard versuchte sie umzustimmen.
Dann schluchzte sie hilflos. Richard umarmte sie zaghaft. Sie stiess ihn nicht von sich.
Morgen würde er zurückfliegen nach Caracas. In Gedanken versunken suchte er nach passenden Abschiedsworten.
Jäh wurde er aus seinen Grübeleien gerissen. Vor ihm bauten sich zwei junge Männer auf. Einer hielt im eine Pistole vor die Stirn.
“Moneten her, Alter!” zischte er.
Als hätte man ihm einen “Hände hoch” Befehl gegeben, hob Richard langsam beide Hände. In Kopfhöhe schnellte seine linke Handkante gegen die Waffe, die Fingerknöchel seiner Rechten trafen fast gleichzeitig den Kehlkopf des Revolvermannes. Ein trockener, kurzer Schlag, so wie er vor Jahrzehnten gelernt hatte ein Brett zu zertrümmern. Der Angreifer röchelte rang nach Atem, krümmte sich, fiel zu Boden, wand sich wie ein harpunierter Fisch. Sein Kumpan tat nichts um Richard am Weitergehen zu hindern. Passanten sammelten sich um den Mann auf dem Pflaster. Richard verschwand hinter der nächsten Ecke.
Im Flugzeug nach Caracas las er in der Süddeutschen Zeitung:”.... mutmasslicher Rechtsextremist verletzt einen jungen Mann türkischer Abstammung aus Neuperlach schwer. Er ist noch nicht vernehmungsfähig. Die Polizei nimmt an, dass das Opfer von einem Unbekannten bedroht wurde und versuchte den Angreifer mit einer Pistole abzuwehren. Wie sich heraustellte, war die Pistole eine Attrappe aus Plastik. Wegen der Brutalität des Angriffs, ermittelt die Kriminalpolizei in der rechtsextremen Szene. Fahndungsdienliche Hinweise nach dem flüchtigen Täter werden von jeder Polizeidienststelle entgegengenommen …..”