Bagdad reloaded: Tarek

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Mimi

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Der Asphalt der Straße war vom Hagel der Streumunitionen an vielen Stellen aufgeplatzt.
Immer wieder lenkte ich den alten Pick-up um die größeren Löcher herum, um nicht ständig die Geschwindigkeit zu drosseln.
Die ganze Stadt war ein Minenfeld. Alles verdorrte unter einer glühend heißen Sonne, die unbarmherzig über den hässlichen Spuren der Detonationen schien.
Im Krieg waren alle Menschen Verlierer. Sie wurden zu Zielobjekten im Fadenkreuz eines implodierenden Landes, das dem ständigen Druck nicht standhielt.
Ich sehnte mich zurück in mein karges Zimmer, das ich am Stadtrand angemietet hatte, sehnte mich zurück zu dieser jungen Frau, die eigentlich fast noch ein Mädchen war. Ich wollte zurück zu ihr, obwohl sie mir wie ein einziges Rätsel erschien. Nichts an ihr verstand ich.
Sie ging mir die ganze Zeit auf der Rückfahrt von der Frontlinie in Richtung der Vororte, nicht aus dem Kopf. Ihr durchbohrender Blick jagte jedes Mal tausend kleine Stromschläge durch mein Knochenmark hindurch. Dabei hatte ich stets das merkwürdige Gefühl, dass sie nicht wirklich mich wahrnahm, sondern stattdessen versunken in eine andere Welt starrte.
Am letzten Checkpoint, der das Sperrgebiet von der Verbindungsstraße trennte, stoppte ich den Pick-up und kurbelte das Autofenster runter.
Der Wachmann trug die Uniform der Widerstandsmujahedin. Um seine Schulter hing eine alte AK-47.
Wir nickten uns zu, ich kannte ihn bereits von meinen Nachschubfahrten zum Stützpunkt. Er hieß Bilal und kam ursprünglich aus Falludscha. Auf seinem Gesicht verlief eine gezackte Narbe von der Unterlippe bist zu seinem linken Auge.
Er betrachtete kurz den Passierschein in meiner Hand, inspizierte dann den Innenraum des Pick-ups, bis er mich schließlich durchwinkte.
Vom Checkpoint bis zum Stadtrand waren es dreißig Minuten Fahrzeit. Dreißig Minuten bis zu der jungen Frau, die sich nachts, eingerollt wie ein Embryo, dicht an meinen Körper drückte. So dicht, dass ihr Atem mit meinem verschmolz.
Dreißig Minuten lagen zwischen mir und diesem Mädchen, das ich, vor nicht einmal fünf Tagen, mit verbundenen Händen auf der Ladenfläche eines Pritschenwagens kauernd auffand.
In all der Zeit glaubte ich, sie würde bei der nächstbesten Gelegenheit aus dem stickigen Mietzimmer fliehen. Doch sie blieb.

Am ersten Tag saß sie einfach nur regungslos auf dem Boden in der Ecke des Zimmers. Ich kaufte uns frittierte Kibbeh und bot ihr ein Stück an, doch sie aß nicht einen Bissen davon. Immer wieder fragte ich sie woher sie kam, sprach dabei auf Kurdisch, zählte ihr alle Städte auf, die mir in den Sinn kamen. Aber sie antwortete nicht. Ich wurde immer ungeduldiger und lauter, bis ich die Kontrolle verlor und sie mit der flachen Hand ins Gesicht schlug. Eine feine Linie aus Blut tropfte von ihrer Nase über das Kinn.
Fluchend zerrte ich sie unter die Dusche des winzigen Badezimmers, dabei rutschte ihr Schal von ihrem Kopf. Manchmal gab es im ganzen Viertel tagelang kein Wasser zum Waschen. Doch an diesem Abend floss es durch die alten Leitungen.
Sie zuckte nicht einmal zusammen, als sich das kalte Wasser aus der Duschbrause über ihren Körper ergoss.
Unter den nackten Füßen lösten sich Staub und Dreck zu einer dunklen Pfütze am Fliesenboden auf.
Sie schloss die Augen. Ich zog und riss an ihrer nassen Kleidung, schrie sie an, sich auszuziehen, aber sie rührte sich nicht. Selbst als ich mit beiden Händen ihren Hals umgriff, ließ sie die Augen geschlossen.
In meinen Ohren rauschte das Blut, meine Uniform war mittlerweile klatschnass.
Unter meinen Händen spürte ich ihren pochenden Pulsschlag. Und endlich öffnete sie die Augen und sah mich an. Ich löste meinen Griff, schluckte die Wut hinunter, die mich atemlos machte, trat dann einen kleinen Schritt zurück.
Langsam, fast wie in Zeitlupe, zog sie ihre durchnässte Kleidung aus. Teil für Teil fiel mit einem schmatzenden Geräusch zu Boden, bis sie nackt unter dem fließenden Wasser der Dusche stand.
Ich schluckte abermals, strich ihr das dunkle Haar aus dem Gesicht, spürte wie mein Körper instinktiv reagierte, schälte mich unbeholfen aus der nassen Uniform, die ich wie eine alte Haut abstreifte.
In diesem Moment lauschte ich der Stille ihrer ungesagten Worte. Ich drückte meine Lippen auf ihre, glitt mit meinen Fingern über die Rundungen ihrer Brust, suchte wie ein Ertrinkender Halt im Schoss dieser jungen Frau.
Für einen Augenblick verblassten die grellen Farben des Krieges. Ein Krieg, in dem ein Mensch nur eine Nummer unter vielen Nummern in den endlosen Reihen der Massengräber war. Ein Krieg, der aus allen Menschen Verlierer machte.

Ich trat das Gaspedal durch, während vor mir die Silhouette der Vorstadt wie ein graues Skelett in den Himmel ragte.
 



 
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