Barfuß im Sand

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Aufschreiber

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Lena saß vor dem Bungalow, unter dem Vordach, das die Terrasse überschattete. Sie hielt einen Plastikbecher in der Hand, so vorsichtig, als sei er aus feinstem und zerbrechlichstem Glas. Und er war auch etwas Besonderes, denn er enthielt einen echten und vollwertigen Piña Colada. Einen mit Alkohol! Den würde sich Lena jetzt einverleiben und wenn Fred gut gelaunt war und sie ihn ganz lieb bat, bekam sie ja vielleicht ... einen zweiten?
Fred, das war ihre große Liebe, obwohl er gut fünf Jahre älter war und trotzdem er - möglicherweise - ihre Zuneigung nicht erwiderte. Er war ... einfach toll, genau die Art Mann, von dem jedes junge Mädchen träumen musste. Ja! Musste ...
Sie war gerade dabei, in ihrer Schwärmerei zu versinken, da kam er auch schon gelaufen. In der knappen Badehose, die er immer beim Schwimmen trug, groß, muskulös, mit wildem Haarschopf, der zusammen mit dem wuchernden Vollbart das braungebrannte, wettergegerbte Gesicht umrahmte, als sei Gott Zeus ...
Oder vielleicht doch Poseidon?
"Na, Prinzessin", rief er schon, als er noch zehn Meter oder mehr entfernt war. "Wie schmeckt Euer Trunk, holde Dame?" Er betrat die Terrasse und schnappte sich eins der großen Strandtücher. Darin wickelte er sich ein und ließ die Badehose fallen.
Wenn doch das Tuch einmal ... ! - Lena starrte erwartungsvoll hinüber. Der Stoff war störrisch - oder ihre telekinetischen Kräfte einfach zu schwach, wie eben so manches an ihr. In diesen Gedanken versunken, war sie unaufmerksam gewesen. Fred kam herüber geschritten, eine luftige kurze Hose über dem wertesten Allerwertesten. Hach! - Vielleicht hatte sie mit ihrer Träumerei ja den Moment verpasst? Sie ärgerte sich und schlürfte Piña Colada.

Fred setzte sich zu ihr, reichte ihr einen Sonnenhut. "Eure Krone, Eure Hoheit!", dienerte er.
Lena war nicht sicher, ob sie diese scherzhafte Art mochte. Einerseits war es schön, wenn er sie wie eine Prinzessin behandelte, andererseits befürchtete sie, es könne einfach nur lustiges Geplänkel sein und er empfände nichts von der hochachtungsvollen Hingabe, die er zur Schau stellte. Manchmal konnte sie diese Unsicherheit so sehr nerven, dass sie beinahe zornig wurde, auf ihn. Dann wurde sie traurig und das war doof. Fred, der war ein Engel - oder zumindest der Mensch, der einem Engel am nächsten kam.
Einige Augenblicke lang schwiegen beide, schauten durch den kleinen Palmenhain zum Meer, das zwischen den Stämmen rauschend und blau hindurch schimmerte.
Das Meer! Das war ihr nächster großer Wunsch. Aber noch wagte sie nicht, ihn zu äußern. Das wäre ... der Höhepunkt ihres Urlaubs!
Fred schaute sie an. "Was möchtest du nun tun? Heute erfülle ich Dir beinahe jeden Wunsch!" Er lachte knabenhaft übermütig, wie er es immer tat, als wäre ihm gerade ein ganz ganz toller Streich geglückt.
Ach, wie sie das liebte!
"Im Ernst?", fragte sie erstaunt. "Beinahe jeden Wunsch?" Ihr Herz klopfte bis zum Hals, gleich musste es aus der Brust treten, zumindest eine dicke Beule heraus drücken, vielleicht so, als hätte sie drei Brüste. Das musste er doch merken! - Oder?
"Ja. Aber eben nur beinahe. Einhörner und sowas gibt's auch heute nicht."
Sie lachte. "Du Spinner! Ich bin schon erwachsen! - Vielleicht bin ich ja selbst ein Einhorn, aber du als Mann kannst das nicht sehen. - Oder bist du noch Jung ..."
Ihre Stimme verebbte, verklang im warmen Wind.
Seine Augen blitzten lustig, als er sie musterte und dann laut lachte.
"Oh oh! Der Piña Colada macht die Prinzessin keck!"
Unvermittelt wurde er wieder ernst, obwohl die Augen noch wohlwollend glommen. Er stand auf und nahm ihren Kopf in seine Hände. Wollte er sie küssen?
Statt die Augen zu schließen, riss Lena sie weit auf. Sie wollte ihn sehen, wenn er es tat.
Er tat es nicht, hielt ihr Gesicht nur in seinen riesigen, heißen Händen.
"Also noch einmal", sagte er. "Was möchtest du tun?"

Sie musste ganz tief einatmen, ehe sie antworten konnte. Und das nicht nur, weil ihr von Freds Geste die Luft weggeblieben war, sondern besonders deshalb, weil ihr das Zeit verschaffte, ihre durcheinander rasenden Gedanken halbwegs in den Griff zu bekommen.
"Ich möchte mit Dir an den Strand und ... und ..."
Der Gedanke war schon da, musste aber noch auf die Worte warten. Die kamen endlich: " ... barfuß in den Sand!"
Jetzt war es raus! Sie holte erneut tief Luft. Der zweite Wunsch ließ nicht so lange auf sich warten. "Dann möchte ich einen zweiten Piña Colada."
Er wollte schon zu einer Entgegnung ansetzen, aber sie kam ihm zuvor:
"Und dann ... überlege ich mir noch was. Was ganz supertolles. Aber dafür brauche ich den Drink, glaube ich ..."
Er ließ sie los und schaute sie forschend und ziemlich ernst an. Dann zwinkerte er ihr lustig zu und schnarrte wie ein Papagei: "Natürrrrlich, Eurrre Hoheit!"
Sie konnte es kaum fassen. Er nahm sie auf seine starken Arme und trug sie hinunter zum Strand. Dort setzte er sie vorsichtig im Sand ab und hielt ihre Hände.
Sie fühlte sich, als drehe sich die ganze Welt nur um sie ... und Fred. Sie wurde ganz schwindlig, fiel nach vorn und landete genau in seinen Armen.
"Nana, nicht so stürmisch, Prinzessin! Sonst gibt es keinen weiteren Alkohol!"
"Egal!", schnaufte sie in sein Ohr und schmiegte ihren Kopf an den seinen.
"Wie sieht's aus, wollen wir ein kleines Stückchen gehen?"
"Aber nur ein paar Schritte!" - Das war ein pinzessliches Dekret!

Er umfasste ihre Taille, sie schlang ihren Arm um seine Schulter, ganz wie eins der Pärchen, die in der Fernsehwerbung immer am Strand stehen und den Sonnenuntergang genießen. Fehlte nur noch der filmreife Kuss! - Ob sie es wagen sollte? Vielleicht nur auf die Wange?
Doch die Gelegenheit kam nicht, stattdessen schnappte Fred die Prinzessin Lena und warf sie sich über die Schulter. Er wieherte laut, schnaubte und galoppierte zum Bungalow zurück.
Nun war es um ihren Gleichgewichtssin (auch mental) komplett geschehen.
Sie lachte und kreischte: "Fred! Nicht so wild, bitte! Fred!"
Er setzte sie ab und hob den Hut auf, der schon beim Aufbruch Richtung Strand heruntergesegelt war. Dann kniete er vor ihr nieder und überreichte ihn gesenkten Hauptes.
"Eure Krone, Prinzessin..."
Sie nahm sie mit Contenance entgegen und lobte: "Sehr umsichtig, Ritter Fred!"
Er sprang auf und kam nach ein paar Augenblicken mit einem neuen, extragroßen Piña Colada zurück.
"Aber nicht petzen!", bat er, als er ihn ihr servierte.
"Ich bin erwachsen!", schimpfte sie. "Ich werde bald neunzehn und könnte sogar eine Familie ..." Sie verschluckte sich und Fred musste ihr kräftig auf den Rücken schlagen, bis sie wieder zu Atem kam.
Sie stellte den Piña Colada beiseite und schaute ihm ins Gesicht.
"Komm mal her!", forderte sie.
Er hockte sich vor ihr hin. "Was ist?"
"Komm mal näher! Bitte!"
Er rutschte heran und streckte sich, sodass sein Gesicht vor ihrem landete.
Sie ergriff seinen Kopf, genauso, wie er es vorhin getan hatte.
Das war schön. So schön, dass ihr Tränen in die Augen traten.
"Hier ist mein nächster Wunsch. Einen anderen gibt's nicht ..."
"Sprecht, oh holde Prinzessin!" - Das klang ... ernster als sonst.
"Küss mich!"

Er tat es.

Sie war so überrascht von ihrer eigenen Courage, dass sie beinahe zurückgezuckt wäre.
Aber sie fing sich und küsste ihn wieder, genau so, wie sie es schon tausendmal in ihren Träumen getan hatte.
Es dauerte fünf Millionen Jahre. Doch irgendwann wich er zurück und lächelte verlegen.
"Ich liebe Dich!" Sie schlug die Hand vor den Mund, aber zu spät, die Worte waren schon entfleucht.
Schockiert und verängstigt saß sie da, starrte ihm in die Augen, sah das kleine Zucken, das ihr alles verriet.

Fred entzog ihr sein Gesicht und stand langsam auf. Er blieb stehen und man sah, dass er ratlos war.
"Du musst nicht gleich antworten, es sei denn, ..."
Fred trat neben sie und streichelte über ihr Haar.
Eine winzige Hoffnung keimte. Vielleicht hatte sie sich ja geirrt und er ... liebte sie auch?
"Lena", hob er an. "Habe ich Dir nicht schon zu Anfang des Urlaubs gesagt, was los ist?"
Die Erinnerung traf sie wie ein Vorschlaghammer.
Sie schluchzte: "Aber, aber, das hat doch nichts mit uns zu tun, nicht wahr?"
Er schnaufte: "Leider doch, Prinzessin. Mein Vertrag endet übermorgen. Das wusstest Du. Und es tut mir schrecklich leid, aber ich werde dann weiter studieren, in Berkeley, viertausend Meilen weit weg ..."

Lena brach zusammen. Hatte sie sich wirklich alles nur eingebildet? War alles, was Fred getan hatte, einfach "business as usual" gewesen, gehörte zum Service? Das wäre ... grausam.
"Und der Kuss?", flüsterte sie, so leise, dass er es kaum vernahm.
"War mein Abschied, Prinzessin!"

Ein unbändiger Zorn stieg in ihr auf. Sie sah, wie er zurückwich, griff das große Glas und warf es nach ihm.
Es streifte seinen Kopf und hinterließ eine stark blutende Wunde. Er rannte ins Haus, um Verbandszeug zu finden.
Sie tobte: "Du Lügner! Hast mir nur was vorgemacht! Ich hasse Dich! Hau ab, hau ab und komme niemals wieder!"
Er hatte gefunden, was er gesucht hatte, kam mit einem rotgesprenkelten Turban aus dem Bungalow und blieb einige Meter entfernt stehen.
"Es tut mir so, so leid, Lena. Ich habe es nicht böse gemeint. Ich habe geglaubt, du könntest mit diesem lockeren, spielerischen Stil umgehen.
Es tut mir schrecklich leid.
Leb wohl, Prinzessin!"
Er nahm die Tasche, die er aus dem Haus mitgebracht hatte und wandte sich um.
"Ich schicke Dir jemanden.", sagte er noch, bevor er ging, ohne sich noch einmal umzudrehen.

Sie blieb zurück, weinend, todunglücklich, verlassen, in ihrem Rollstuhl, auf der Terrasse des Bungalows.
Und hinter dem Palmenhain rauschte das Meer und wusch alles fort, auch die Abdrücke ihrer nackten Füße im Sand.
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo Aufschreiber,

das ist eine unglaublich gute Geschichte. Eine richtige Perle unter den Geschichten.

Seltsamerweise musste ich an Klara, Heidis Freundin, denken (noch ehe ich wusste, was los ist). Und dann an einen Film, den ich mal gesehen habe, der ähnlich aufgebaut ist, nur dass die junge Frau im Rollstuhl sich aus unerfüllter Liebe aus dem Fenster stürzt. Ich finde es gut, dass deine Geschichte nicht so dramatisch endet - trotzdem dramatisch genug.

LG SilberneDelfine
 

Matula

Mitglied
Guten Abend Steffen,
es ist eine hübsche Geschichte, aber Deine Protagonistin ist zu alt. Ihr Denken und Fühlen erinnert an eine 14- bis 16jahrige, die sich beispielsweise in einem Sommercamp in einen Betreuer verliebt. Eine junge Frau von 22, die sich im Rollstuhl bewegen muss, weiß um ihre vergleichsweise schlechten Chancen, einen Partner zu finden. Sie ist vorsichtiger und hält ihre Gefühle mehr im Zaum. Umgekehrt wäre ein Mann von 27 schon mehr als blauäugig, wenn er einer behinderten Frau, mit der er keine Beziehung will, so nahe kommt.

Beste Grüße,
Matula
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,

freut mich, dass du die Geschichte magst. Sie beruht teilweise auf eigener Anschauung (also nur "Miterleben"), wahrscheinlich hält sich auch deshalb das Drama in Grenzen.

Hallo Matula,

ich verstehe Deine Ansicht, aber die Geschichte hat sich tatsächlich ähnlich zugetragen. Ich denke jedoch, dass Dein Einwand berechtigt ist und die Authentizität hier nicht im Vordergrund stehen muss. Ich werde die Altersangaben anpassen.

Vielen Dank Euch Beiden, für das Feedback!

Beste Grüße,
Steffen
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es dauerte fünf Millionen Jahre. Doch irgendwann wich er zurück und lächelte verlegen
Hallo Aufschreiber,

mein Lieblingssatz! :)

Die Geschichte ist okay, aber nicht gut genug. Wieso hat eine junge Dame von 19 Jahren im Rollstuhl ausgerechnet einen Betreuer von 24 Jahren? Der zudem natürlich noch unverschämt gut aussieht.

Ich vermute, dass die Geschichte sonst nicht funktioniert.

Vielleicht wäre es überzeugender, wenn die beiden sich zufällig (am Strand) begegnen würden.

Gruß DS
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo DocSchneider,

Vielleicht wäre es überzeugender, wenn die beiden sich zufällig (am Strand) begegnen würden.
Vielen Dank für deine Idee. Sicher hast Du Recht, dass das Setting mangelhaft ist. Mein Ansatz war eher, dass die Erscheinung des Betreuers ihrem Blick entspricht. Das scheint nicht gelungen zu sein.
Bei „Fremden am Strand“ denke ich, es würde eine komplett andere Story herauskommen.

Beste Grüße,
 
Wieso hat eine junge Dame von 19 Jahren im Rollstuhl ausgerechnet einen Betreuer von 24 Jahren? Der zudem natürlich noch unverschämt gut aussieht.
Warum nicht? Es könnte ja auch, wenn er als „richtiger" Betreuer noch zu jung erscheint, ein Praktikant im Beruf sein, der mal wissen will, ob er sich in dem Beruf wohlfühlt.
Und warum darf er nicht gut aussehen?

Ich finde die Geschichte, so wie sie ist, nicht zu weit hergeholt.
 
Hallo Aufschreiber,

hat mir gut gefallen.

Das wusstest Du. Und es tut mir schrecklich leid, aber ich werde dann weiter studieren, in Berkeley, viertausend Meilen weit weg..."
wusstest du.
weit weg ...

weg..."

Lena brach
Die meisten Absätze können raus.

gehörte zum Service? das wäre ... grausam.
Service? Das

Ich habe geglaubt, Du könntest
du könntest

"Ich schicke Dir jemanden.", sagte er noch,
dir jemanden", sagte
Generell: Anführungszeichen erst unten, dann oben

Und hinter dem Palmenhain rauschte das Meer und wusch alles fort, auch die Abdrücke ihrer nackten Füße im Sand.
Ein schöner, letzter Satz.

Schönen Samstag und liebe Grüße,
Franklyn
 

Heinrich VII

Mitglied
Hallo A,

gut beschrieben, diese doch sehr einseitige Liebe. Dass irgend etwas mit Lena sein muss, schimmerte von Anfang an durch (zumindest für mein Empfinden) Eine tragische Sache, die du da schilderst. Vermutlich ist es nicht nur der Umstand, dass Fred studieren gehen will (muss) Er hatte vermutlich von Anfang an keine Lust sich mit einem Mädchen im Rollstuhl einzulassen. Hat ein bisschen rum gespielt und ist dann abgehauen. Lena zumindest, hat es nach meinem Dafürhalten, genau so erlebt. Wie gesagt: Gut erzählt.

Gruß, Heinrich VII
 

Aufschreiber

Mitglied
Hallo Franklyn,

auch hier: Vielen Dank für Deine Anmerkungen!
Ich werde den Text gleich noch einmal überarbeiten.

Hallo Heinrich VII,
eigentlich war es nicht meine Idee, Fred "herumspielen" zu lassen. In meinem Kopf ist er ein netter junger Mann, der sich bemüht, in seiner Semesterferien-Tätigkeit, dem Mädchen eine tolle Zeit zu schenken. Vielleicht müsste ich das noch besser herausarbeiten?
Diese flapsige Art und der "Prinzessin"-Kram, das sind Versuche, sie sich besonders fühlen zu lassen, eigentlich eher unschuldig, aber eben auch fatal.

Und nein, abgehauen ist er nicht wirklich. Sein Job war beendet, die Rückreise war nicht Bestandteil des Vertrages. Er war nur für die Betreuung vor Ort zuständig. Dass der beschriebene Tag der letzte sein würde, war Lena einfach entfallen (vielleicht verständlicherweise).

Ich freue mich, dass Dich der Text bewegt, schon das allein "belohnt" den Schreiber.

Beste Grüße,
Steffen
 



 
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