Erst vor einigen Tagen wurde mir in einem Gespräch gesagt: "Na ja, du hattest ja alle Möglichkeiten und hast dein Leben so gelebt, wie du es dir selbst vorgestellt hast. Über dich hat niemand bestimmt." Das hat mich sehr traurig gemacht und für diese Gruppe ist mein Gedicht.
Verstehe, lieber
Manfred.
Ich hatte dir den boshaften Stachel auch gar nicht zugetraut und das war es auch, was mich irritiert hat in erster Linie, denn das ist ja nicht wirklich ein Inhalt für ein ernstzunehmendes Gedicht.
Dennoch finde ich den Titel nach wie vor nicht optimal gewählt (auch, wenn ich verstehe, dass der deinem persönlichen Erlebnisumfeld entspringt) - denn das, was du schilderst, trifft ja auf so gut wie alle Familienbetriebe zu. Da wird eine/r der Nachkommen hoffnungsfroh darauf getrimmt und ein wenig (oder auch energisch) in die Richtung geschubbst, einmal den Familienbetrieb weiterzuführen. Sich da als junger Mensch gegen den Wunsch der Eltern - und es ist noch dazu kein kleiner, eben mal so geäußerter Wunsch - zu stellen und sich zu lösen, stelle ich mir sehr schwer vor und in vielen Fällen auch sehr konfliktbehaftet. Und in nicht wenigen Fällen treibt eine solche Entscheidung auch einen Keil in die Familie, wie ich fürchte. Von der persönlichen Gefestigtheit und Reife, die das erfordert, will ich erst gar nicht sprechen...
Dass über einen bestimmt wird, kommt aber genauso auch in Familien vor, die keinen Betrieb weitergeführt sehen wollen. Ein "Familientraditions-Erbe" (im Sinne von "so geht Leben von Schule bis Pension und so haben wir das schon seit Generationen gelebt" kann in
jedem Setting sehr bestimmend sein - bei uns war es das "du machst Matura und dann wird studiert", das auch von mir in jungen Jahren nicht in Frage gestellt wurde (erst ein Burn Out später habe ich angefangen, das zu hinterfragen). Bei unserem Sohn haben wir auch sehr bewusst gesagt, dass Matura und Studium nicht "alles" sind, sondern wir uns für ihn wünschen, dass er den Beruf für sich findet, der ihn erfüllt, weil er seine Stärken und Leidenschaften dort ausleben kann. Und wir stellen fest, dass er sich mit dieser "Freiheit" auch nicht nur leicht tut. (aber das nur so am Rande).
Fremd- und Selbstbestimmung...das ist gar keine so einfache Sache und ist nicht nur schwarz-weiß zu sehen. Und man darf das Konzept des Leidensgewinns auch nicht vergessen (aber das führte hier jetzt zu weit, das näher zu erörtern).
Und damit zurück zum Text an sich:
ich glaube, du hast in für dich und deine eigene Betroffenheit geschrieben und daher wusstest du auch, was gemeint ist und wo der Text hin will. Für den unvorbereiteten Leser ist er m.E. aber nicht deutlich genug positioniert. Er bietet keinen Anhaltspunkt, der richtig auf das eigentlich Gemeinte "einstimmt", wenn du verstehst, was ich meine. Normalerweise kann ein Titel das ja schon leisten - hier aber führt dieser eher in die Irre oder zumindest auf einen sehr eng gesteckten Gedanken-Acker.
Ein spannendes und berührendes Thema jedenfalls, das du dir da vorgenommen hast. Dein Problem ist, dass das "tumbe Bauernkind" da mit reinrutscht - auch, wenn du das gar nicht im Sinn hast. Das sitzt einfach zu tief als allgemeines Vorurteil, das man zu oft gehört hat und leider immer noch hört.
Liebe Grüße,
Claudia