Begeisterung im Aquarium

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steyrer

Mitglied
Einer ruft an:

„ … mein Kumpel war in einem Vortrag einer ‚wahnsinnig wichtigen Persönlichkeit‘, das konnte er nicht oft genug betonen, und die sprach über irgendwas extrem Umstrittenes, dabei zuerst sehr würdig und bedächtig, bis es zur Katastrophe kam: Alles endete mit entsetzlichem Krach, Deckenplatten, Lampen und Rohre fielen runter und irgendetwas setzte sämtliche Smartphones matt. Er rief mich gleich danach aus einer Telefonzelle an, aber die Verbindung war noch mieser als jetzt.

Bei diesem Vortrag muss es zugegangen sein, wie im Bermudadreieck, dabei hätte das wohl ein Top-Event werden sollen, denn wegen irgendwem wird auch eine uralte Mehrzweckhalle am Land nicht einfach so umbenannt. Geworden ist es nichts, sonst wüsste ich wenigstens, wie diese Persönlichkeit heißt. Mein Kumpel hatte ein paar Deckenplatten auf den Kopf bekommen und war völlig verwirrt, mit Ohrensausen und sehr undeutlicher Aussprache. Heute gehts ihm wieder gut, aber er kann, oder will, sich an nichts mehr erinnern und der Rest der Zuhörer auch. Dabei soll alles so positiv begonnen haben. Diese Persönlichkeit war fast fertig und alles wartete auf die feierliche Umbenennung, als es geschah: ‚Als hätt sich die Luft geweigert Schall zu leiten – wenigstens weiter als ’n Meter‘, ja, das sagte mein Kumpel damals. Nein, an der Akustik lag es nicht, denn wenigstens die ist noch in Ordnung, aber stell dir vor: Da spricht so jemand, alles scheint unter Dach und Fach, und dann plötzlich: Ton weg. Das Ganze soll wie im Aquarium gewirkt haben: oben ein großer Karpfen und unten nichts als lauter Sardinen und Sardellen. Zuerst glaubte ja jeder, die Verstärkeranlage wär abgesoffen, dann die eigenen Ohren hin und schließlich improvisierte man. Ja, wenn so was öfter passieren würde, gäb’s wahnsinnig ausgefeilte Methoden, um das auszugleichen, aber so kam‘s halt zum Nächstliegenden: Jeder sagte dem gerade Nächststehenden das Wichtigste ein, und der dann wieder, bis es durch war, denn der Eintritt war nicht gerade billig. Zuerst soll auch hier alles erwartbar gewesen sein: Die ersten nickten, die nächsten zuckten mit den Schultern und danach wurden Köpfe geschüttelt, Augen verdreht und Vögel gezeigt, aber gleich danach kam’s: frenetischer Jubel wie bei einem Filmstar mit hochgereckten Armen, Händen in Klatschbewegung und lautlos auf- und zuklappenden Mündern. Es dauerte eine Weile, bis jemand dem Redner steckte, was da unten ankam, und der soll ein beeindruckendes Farbenspiel gezeigt haben: vom totenbleichen Höhlenkrebs, bis hin zur blutroten Koralle. Dann sagte er sehr laut seine Meinung, aber genau in diesem Augenblick setzte der Ton mit vielfacher Stärke ein und davon fiel die abgehängte Decke runter.

Daran erinnert sich keiner mehr. Die Zuhörer stünden ja sonst da wie die Deppen und dieser Mensch könnte nie wieder würdig und bedächtig über irgendwas extrem Umstrittenes sprechen. Dabei ist doch gerade heute so was wichtig wie nie.“
 



 
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