Bei Anruf Wut

„Nein, hier ist nicht die Erotik-Bar, wirklich nicht.“ Ich konnte die Enttäuschung aus dem Schweigen am anderen Ende der Leitung heraushören. Für ihn war es ein harter Schlag, dass jener lauschige Lustort seine Pforten für immer geschlossen hatte. Ich war Anrufe dieser Art schon gewohnt. Meine Hamburger Telefonnummer hatte früher einem beliebten Nachtlokal gehört. Es war nur eine vorübergehende Nachwirkung, über die Jahre gesehen waren Fehlanrufe dort eher selten.
Anders hier im Kurort, wo viele alte Leute leben. Nicht wenige haben Probleme beim Telefonieren. Entweder schreiben sie sich eine falsche Nummer auf oder sie tippen die richtige falsch ein. Jeder dritte oder vierte Anruf bei mir ist ein Fehlalarm. Ich unterscheide je nach Reaktion drei Hauptgruppen. Da sind zum einen die Schweigsamen. Nachdem ich mich mit meinem Namen gemeldet habe, legen sie nach kurzem verdutztem Innehalten wortlos auf. Natürlich könnte es auch ein Einbrecher sein, der wissen will, ob ich daheim bin.
Dann gibt es die leicht Beleidigten. Angriff ist ihre beste Verteidigung. „Da ist nicht Frau Butterfass? Wie ist das möglich? Das kann doch nicht sein …“ Diese Sorte bürste ich kurz ab. Und dann haben wir noch die Schuldbewussten. Sie sehen ihren Fehler gleich ein, können ihn aber nicht recht verarbeiten. Sollte man ihnen dabei helfen? Besser nicht. Manche von ihnen entwickeln ähnlich fatale Tendenzen, wie sie Tschechow in „Der Tod des Beamten“ geschildert hat. Sie rufen wieder und wieder an, um sich erst freundlich beraten und am Ende zum Teufel wünschen zu lassen: „Bitte rufen Sie jetzt nicht mehr hier an. Das ist meine, MEINE Nummer!“ brülle ich nach ihrem fünften Fehlversuch ins Telefon.
Wie kann man nur so unbeherrscht sein … Ich mache doch auch Fehler. Wollte einmal in Österreich die HOSI sprechen, das ist ein spezieller Verein in Wien. Am Apparat war stattdessen ein gemütlich grantelnder Wiener Kleinbürger: „Naa, do is kaa Hosi und a kaa Rosi und kaa Resi …“ So ein Pech. – Beruflich wollte ich einmal eine Leiche obduzieren lassen, verwählte mich, ohne es zu bemerken, und haspelte mein Begehren herunter – bis man mich amüsiert darauf hinwies, sie hätten ein Fotolabor und seien für Leichensektionen weniger gut ausgerüstet.
Neulich wurde ich um zwei Uhr nachts geweckt. Eine empörte ältere Frauenstimme blaffte mich an: „Barbara, stell den Rappelkasten ab!“ – „Hier ist keine Barbara!“ (Meine Stimmlage kann kaum für weiblich gehalten werden.) – „Barbara, mach sofort den Rappelkasten aus, sonst ruf ich die Polizei an!“ Sie blieb unbelehrbar. Schlaftrunken gelang es mir nicht, sie, ebenfalls schlaftrunken, davon zu überzeugen, ich sei nicht Barbara, ihre Feindin, die ihr die Nachtruhe raubte. Ich gab es auf, legte auf und ging wieder schlafen. Angenehme Nachtruhe, wünschte ich mir selbst.

(Geschrieben 2007)
 



 
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