Bei den Antiquitäten

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Es war Mittagszeit und auf dem Flohmarkt demzufolge nicht viel los. Besucher wie Aussteller zog es an die Würstchenbude. Nur der Mann am Antiquitätenstand blieb beharrlich auf seinem Platz; er blickte erhobenen Hauptes geradeaus und schien auf Kundschaft zu warten. Willi trat näher und betrachtete seine Auslage. Eine alte Ausgabe der "Buddenbrooks" von Thomas Mann. Ein angeschlagenes Schaukelpferd.
Mehrere Porzellantassen, manche mit Sprung, manche ohne. Ein kleiner Beistelltisch, rund, aus weißem Mahagoniholz, gut erhalten, der etwas her machte. Er las den Preis und schnappte nach Luft.
„Ist er Ihnen zu teuer?" fragte der Händler freundlich.
„Ein wenig."
Der Verkäufer wies einladend auf die anderen Sachen. „Schauen Sie sich nur um, ich habe in jeder Preislage etwas."
Willis Blick fiel auf ein gerahmtes Bild. Es stellte eine Landschaft dar, eine Wiese, weiße Wolken im blauen Himmel. Mitten im Bild prangte ein Baum mit abgebrochenen Ästen. Er sah aus wie hingekleckst, aber Willi gefiel genau das.
„Von wem ist das Bild?"
„Steht kein Name drauf?"
Wili beugte sich vor und suchte nach einer Signatur, fand aber keine.
„Sie können es für 25 Euro haben", bot der Händler an. Willi schüttelte den Kopf. „Das ist mir für ein Bild ohne Signatur zu teuer."
„20."
„10."
„15. Weiter runter gehe ich nicht."
„Und ich nicht weiter rauf." Willi setzte ein entschlossenes Gesicht auf.
„Wie Sie wollen."

Andere potentielle Kunden waren herangekommen.
„Das gefällt mir", sagte eine Frau mit schwarzen Haaren und im hellbeigen Mantel zum Verkäufer. „Passt zu meinen anderen Bildern. Ich kaufe es."
„25 Euro, die Dame."
„Moment. Ich wollte das Bild gerade kaufen. Für 15 Euro." Willi trat einen Schritt vor.
„Ihnen war es zu teuer, obwohl ich Ihnen ein Extra-Angebot gemacht habe. Weil Sie mir sympathisch waren. Sie wollten nicht. Jetzt ist es zum Normalpreis zu haben." Der Händler wandte sich an die Schwarzhaarige. „Macht 25 Euro, die Dame."
Die Frau nickte und begann, in der Handtasche nach dem Portemonnaie zu kramen.
„Ich bezahle auch 25 Euro", sagte Willi hastig. Die Frau warf ihm einen bösen Blick zu.
„30", sagte sie zum Verkäufer, der ihr ein strahlendes Lächeln schenkte.
„Selbstverständlich, die Dame", er griff nach dem Bild. Willi juckte es in den Fingern, es ihm aus den Händen zu reißen.
„40", rutschte es ihm heraus.
„50." Die Frau schien genau so entschlossen zu sein wie er. Ein paar Schaulustige hatten sich eingefunden und verfolgten den Disput interessiert. Willi räusperte sich. „60. Aber das ist mein letztes Angebot."
Die Frau im beigen Mantel sah ihn verärgert an. „So viel habe ich nicht dabei. Da muss ich passen."
Willi atmete auf. „Packen Sie mir das Bild ein", verlangte er.
„Aber gerne". Der Verkäufer schlug Papier um das begehrte Objekt. „60 Euro, der Herr."
Willi nahm mit großspurerischer Geste seine Brieftasche aus der Jacke und blätterte drei 20-Euro-Scheine hin. Der Händler nahm sie und bedankte sich. „Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dem Bild!"
„Danke." Mit sich und der Welt äußerst zufrieden und dem Bild unter dem Arm verließ Willi den Flohmarkt.

„Das ging ja fix", sagte der Verkäufer zu seiner Frau, als Willi außer Reichweite war. „Das hast du gut gemacht." Er fuhr ihr über das Haar. „Heute Mittag solltest du die blonde Perücke aufziehen, Schatz. Und den schwarzen Mantel."
 

ahorn

Mitglied
Hallo SilberneDelfine,
schön Geschicht'l.

„Ist er Ihnen zu teuer?" KOMMA fragte der Händler freundlich.

„Das ging ja fix", sagte der Verkäufer zu seiner Frau, als Willi außer Reichweite war. „Das hast du gut gemacht." Er fuhr ihr über das Haar. „Heute Mittag solltest du die blonde Perücke aufziehen, Schatz. Und den schwarzen Mantel."
Den Schluss würde ich überarbeiten. Zu platt, zu abgedroschen. Passt nicht recht zum Rest des Textes.
Frage: Soll es wahrhaftig sei Gattin sein?
„Das hast du gut gemacht."
Der Satz passt eher zu einem Hunde, vielleicht zu einem Kinde. ;)

Liebe Grüße
Ahorn
 
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Braten nicht vor dem Schluss gerochen, mir dann allerdings gesagt habe: Kommt dir das im Kern nicht irgendwie bekannt vor? Es scheint also zuzutreffen und zu funktionieren, was Ahorn bemerkt hat: neues Gewand und so kleidsam, dass argloser Leser mit dem Kunden darauf hereinfällt.

Ahorns Kritik am letzten Absatz teile ich ausdrücklich nicht. Das würde ich alles so lassen, geschätzte Delfine. Auch vorher ist alles stilistisch passend und ökonomisch erzählt.

Falls jemand Spaß an solchen Geschichten hat: Sehr gut und lustig ist Heimito von Doderers "Bischof - tollgeworden". Auch da findet eine Verkleidung statt und einer wird reingelegt, aber nicht der Käufer.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 
„Ist er Ihnen zu teuer?" KOMMA fragte der Händler freundlich.
Lieber ahorn,

ich wollte es nicht glauben, aber das ist tatsächlich richtig - ich habe recherchiert - nach einem Fragezeichen in wörtlicher Rede steht ein Komma (auch wenn das früher mal nicht so war, wenn ich mich recht erinnere und es meiner - natürlich unmaßgeblichen Meinung nach - überhaupt keinen Sinn macht. Aber ich werde es ändern.)

Aber es ist so, wer die Regeln nachlesen möchte:


Den Schluss würde ich überarbeiten. Zu platt, zu abgedroschen. Passt nicht recht zum Rest des Textes.
Frage: Soll es wahrhaftig sei Gattin sein?
Was würde es für einen Unterschied machen, wenn es nicht die Gattin, sondern die Freundin oder jemand extra dafür Beauftragter wäre, der in keiner Beziehung zu dem Händler steht? Für die Geschichte eigentlich gar keinen.

Dass du den Schluss für abgedroschen hältst, erstaunt mich. Mir fiel er nämlich erst beim Schreiben ein :) auch wenn eine solche Wendung wohl nichts Neues ist. Aber kann man ständig das Rad neu erfinden? Ich lese z. B. gerne Grusel- und Horrorgeschichten. Auch da kommen Elemente immer wieder vor, beispielsweise wenn das Böse, das man vom Helden erledigt wähnte, in Gestalt eines anderen Protagonisten wiederkehrt und die Geschichte quasi von vorne beginnt. Trotzdem würde ich einen solch bekannten Schluss nicht abgedroschen nennen.

Danke für die "schön' Geschicht!" Und die Bewertung natürlich. Freut mich, dass dir die Geschichte gefallen gefallen hat.

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:
Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich den Braten nicht vor dem Schluss gerochen, mir dann allerdings gesagt habe: Kommt dir das im Kern nicht irgendwie bekannt vor? Es scheint also zuzutreffen und zu funktionieren, was Ahorn bemerkt hat: neues Gewand und so kleidsam, dass argloser Leser mit dem Kunden darauf hereinfällt.
Lieber Arno,

vielen Dank! Vielleicht liegt es daran, wie ich auch gerade an ahorn schrieb, dass mir der Schluss erst während des Schreibens einfiel. Zunächst wollte ich einfach nur eine Geschichte auf dem Flohmarkt erzählen, wo jemand ein Bild kauft. Dann dachte ich, da fehlt eine Pointe und so kam ich zu dem Schluss.
Ich sehe es genauso wie du, ich werde den Schluss nicht umändern.

Auch vorher ist alles stilistisch passend und ökonomisch erzählt.
Das Kompliment freut mich wirklich sehr!

Danke für die Bewertung und deinen Kommentar!

LG SilberneDelfine
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke auch von mir an ahorn, und zwar für den Zeichensetzungs-Hinweis. Mir war das ebenso unbekannt und ich sehe jetzt die Notwendigkeit, unendlich viele Seiten, die gespeichert sind, daraufhin durchzusehen. Ich glaube, ich brauche allein des Rest des Tages, um mich von diesem Schock zu erholen. Keine Ironie! Gerade in dieser Beziehung bin ich recht penibel. Warum hat mir das bisher keiner vorgehalten? Beispiele für falschen Gebrauch finden sich bestimmt in größerer Zahl in meinen Texten. Vielleicht ist die neue Regel nicht wirklich ins allgemeine Bewusstsein eingedrungen und wird nicht regelmäßig beachtet? Sinnvoll finde ich sie übrigens auch nicht. Dennoch immer dankbar für solche Hinweise:

Arno Abendschön
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das Beste wäre noch, der Verkäufer hätte das Bild selbst gemalt ... :)

Ich kann Ahorns Kritik am Schluss nachvollziehen. Vielleicht kannst Du die Wertschätzung der Frau gegenüber anders ausdrücken: Er nimmt sie kurz in den Arm, küsst oder/und drückt sie.

Ansonsten witzig und eine gute Geschäftsidee!

Viele Grüße

DS
 
Ansonsten witzig und eine gute Geschäftsidee
Hallo Doc Schneider,

dankeschön! :)

Ich kann Ahorns Kritik am Schluss nachvollziehen. Vielleicht kannst Du die Wertschätzung der Frau gegenüber anders ausdrücken: Er nimmt sie kurz in den Arm, küsst oder/und drückt sie.
Wie du ihn geschrieben hast, die Wortwahl, die Formulierung, mitnichten den Inhalt, fand ich unpassend. :rolleyes:
Ich möchte den Schluss aus einem ganz bestimmten Grund nicht umändern: "Er fährt seiner Frau über das Haar" muss sein, damit der Leser weiß, warum vorher darauf hingewiesen wird, dass die Frau schwarzhaarig ist und der Übergang zur blonden Perücke passt ;) Deswegen übers Haar streichen. Es war zwar nicht hier, aber in einem anderen Forum hielt man mir schon mal einen Vortrag darüber, dass man nicht "langes Haar" schreiben sollte (in Bezug auf lang als Adjektiv).
Schwarzhaarig ist auch ein Adjektiv, was in dieser Geschichte aber eine Funktion erfüllt. Dadurch, dass der Verkäufer seine Frau in den Arm nimmt, kann ich, würde ich den Schluss so forrmulieren wie von DocSchneider vorgeschlagen, nicht von schwarzhaarig auf blond springen - es muss auf die Haare zielen (meiner Meinung nach). Um Wertschätzung der Frau gegenüber geht es hier eigentlich nicht. Obwohl ich ein "Hast du gut gemacht" nun auch nicht als nicht wertschätzend einschätzen würde.

Hallo Susifahni,

danke für deine Bewertung und den Kommentar dazu. Das war übrigens der Hauptgrund für mich, die Geschichte zu schreiben: Warum wird etwas wertvoller, wenn ein anderer es auch haben will? Das war für mich die eigentliche „Botschaft" bei der Geschichte.

LG SilberneDelfine
 
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