da ist kein sarkasmus, Heidrun. man liest häufig viel verschwurbeltere, langatmigere texte, die sich erschöpfen im bemühen, etwas nachzuahmen, nachzuäffen, was sie für "lyrisch" oder "modern" oder was auch immer halten, oder die so offensichtlich belehren wollen, dass es schier peinlich ist. dieses hier finde ich originell und "eigen" (im sinne von: eigene sprache finden) im ausdruck.
einen zughang zu diesem text bzw. einen interpretationsansatz versuchte ich und entdeckte dabei, dass der kurze text vielschichtiger ist als es im ersten moment den anschein haben mag, denn:
dies ein kurzer ausriss aus einem inneren monolog - mit wenigen worten einen moment festgehalten, eine stimmung, eine befindlichkeit eines sprechers (es könnte auch eine sprecherin sein), und die worte, so unprätentiös und scheinbar obszön sie daherkommen, sind doch so geschickt gewählt, dass eine szenerie im leser entstehen kann.
der titel "sommer" trägt dazu bei und erzeugt zusammen mit der information "über dem hof" assoziationen an helle abende, wo die fenster sehnsüchtig offen sind und die geräusche aus den wohnungen eines mietshauses sich vermischen: ein sinnenhaftes bild. so spürt einer, der allein im gehäus sitzt (vielleicht weil er ein büchermensch ist, ein "denker" / querdenker, dem die körperlich-sinnliche welt der anderen verschlossen bleibt?) seine einsamkeit, sein anders-sein und die ungestillte sehnsucht desto stärker.
interessant ist die polarität, die du aufbaust zwischen dem wort "beischlaf" und dem wort "ficken". die beiden worte bezeichnen nur vordergründig ein- und dasselbe, denn es schwingen in ihnen jeweils sehr unterschiedliche konnotationen. "beischlaf" klingt automatenhaft, fühllos, mechanisch, verwaltet: ein beinahe bürokratischer akt. "ficken" hingegen ist tatsächlich ein wort, das in alten büchern steht, ein sehr altes wort, welches ursprünglich die bedeutung von "reiben" hatte. sich aneinander reiben: das ist lebendiger kontakt, das ist sich selbst spüren und den anderen menschen, sich intensiv berühren, nicht nur gegenseitig sich benutzen. dies ist die sehnsucht des sprechers, die womöglich unerfüllbar ist, weil er in einer zeit lebt, die das alte vitale, heiße, pralle, lust- und lebensvolle ficken zum kühl vollzogenen, mit coolem, postmodern wohlkalkuliertem stöhnen garnierten beischlaf veraktet hat. man tut zwar so "als ob", ist aber eigentlich in einem tiefen sinne impotent, beziehungsimpotent nämlich.
insofern, ja, finde ich in diesem komprimierten gedicht durchaus auch einen über das bloße stimmungsbild hinausweisenden zeit- und gesellschaftskritischen gestus, der präzise geführt ist.
was mir auch gefällt: es ist nicht verschwurbelt, verliert sich nicht im zitieren sogenannter großer gefühle, zielt nicht mit abgegriffenen oder schlicht misslungenen metaphern auf den leser und winkt auch nicht belehrend mit dem zaunpfahl. es ist authentisch und bleibt ganz bei sich, öffnet dadurch interpretations-spiel-raum.
OM