Berliner Zahngeschichte

Gue

Mitglied
Aus dem Leben eines Weisheitszahnes, oder passt jut uff euch uff

Een paar Jahre hab ick schon uffen Buggel, janz hinten links im Schatten meena Kamaraden. Ick bin Berlina, wie man vielleicht erahnen kann. Die Jahre sin an mir nich spurlos vorbeijejangen. Schritt für Schritt hat sich dit Leben in mir rinnjefressen.Och dit ständ'je rumjeputze konnte dit nich vahindan. Ick bin eene echte Feife und hab'n Zahnklempner nur vom Hörensagen jekannt.
Eenes Tares aber schluch det Schicksal abamungslos zu, denn et jing janischt mehr. Men Kumpel im Erdjeschoss in Numma 36 hatte Schmerzen, die nich uffhören wollten. Der hat allet vasucht den Jang uffen Stuhl des Grauens zu vahindan – wirklich allet. Dit jing von Nelken ufflegen bis hin zu Beschwöhrung, nischt hat jeholfen och nisch die Antibiotika von na netten Dockterche auzem Schwarzwald. Is nehmlich im Urlaub passiert müsta wissen. Ick wa mit den Andan in de Toscana. Schöne Jejend da wat man so sieht, wenn man wat sieht. Die Pillen auzem Schwarzwald hab'n nur Schlimmeret vahindat und wa sind noch janz jut nach Hause jekommen. Aber dann nahm det Schicksal senen unnuffhaltsamen Anfang. Nummer 36 jammerte Tach für Tach weter rumm, kene Pillen mehr und anjeschwollen, ick kann ihnen saren. Jünta, so heißt unser Kopp, blieb nischt weiter übrisch nach Rat zu fraren. Wo, natürlich im Intanet. En Spezie musste her, schmerzfrei lojisch. Janze Seiten volla Spezies ohne Ende, globt man kaum, ehner schmerzfreija als der andre, soja mit Jarantie und Hüppnose obendruff. Wat tun? De Qual der Wahl. Aba wie so offte im Leben kam Vata Zufall in't Spiel. Grejor, so heeßt der Kumpel von Jünter, hatte och Probleme mitt'n Jebiss und enen Tipp, der für mene Wenischkeit schicksalhafte Bedeutung hab'n sollte. Praxis Doktor Semrau, glech um de Ecke, sachte Grejor. Also wieda rin int Intanet. Seite Zahnarzt Doktor Semrau. Dolle Sete kann ick euch saren, allet schick und lauta jut aussehende Menschen. Im Anjebot allet wat de Bransche so herjibt von Profilaxe bis hin zu allet raus und allet neu rin, schmerzfrei vasteht sich.
Der erste Schritt wa jemacht, Jünta wusste wohin. Der zweete war schwera, los zu jehn. Aba Nummer 36 jab enfach kene Ruhe, et wa nich mehr zu vahindan. Ick kann euch saren, det war'n de schwersten fünfhundat Meta menes Seins, obwohl et janisch direkt um mir jing. Ehn paar Stufen hoch, klena Flur und da wa se, de Bimmel. Drück nich ruff schrieh Nummer 36 von unten, doch Jünta hatte den Akt schon vollzoren. Anmeldung, jesacht watt iss und schon wan wa im Watezimmer. Klen aber jemüdlich und allet in Leda. Anne Wände Urkunden vonne Leistungsfähigkeit der Cheffin und Bilda von unsa pikobello aussehenden Vawantschaft. Als Jünter sein Name uffjerufen wurde, jing allen een Schauer dursch'n Körpa. Ne Wendeltreppe ruff, rin int Behandlungszimma und ruff uffen Stuhl. Tuch ummen Hals, en bischen waten und dann jet de Türe uff und se tritt in den Raum - Frau Doktor Semrau. Guten Tag, was gibt es, Nummer 36, alles klar Angstpatient. Machen wir schon, kein Grund zur Panik, Wurzelbehandlung, macht meine Tochter, bis demnächst mal. Dolla Ufftrit und allet janz entspannt. Nette junge Frau de Tochter, och Zahnärztin, trit ran, jibt Jünta die Hand und sprich von Anestesie damittet nich so weh tut, wenn se anfängt dem Übel uffen Zahn zu fühlen. Als ick de Nadel kommen sah wurde mir blümerant. Ehn Stich, zwee Sekunden Luft anhalten und jut. Kurz waten und schon is allet taub um Nummer 36. Möchten sie Kopfhörer mit netter Musik? Nee danke, ick will dabei sen beim ersten Mal, kikken wie allet loft und entscheiden ob ick wiedakomm. Los jetz. Großa Bohra, klener Bohra, ranntasten durschen Wurzelkanal. Eng det Ding sacht se, erklärt und bohrt weita. Jünta klammat sich annen Stuhl und versucht irgendwie de Spannung außen Körpa rauszukriejen. Vajeblich und de Zeit vajeht und vajeht nich. Dann hör ick wat von gleich jeschafft und ick entkramfe janz janz langsam, Zentimeta für Zentimeta. Da gibt es noch einiges zu tun, sagt Tochter Doktor Semrau als der Stuhl langsam wieder in die Normalstellung hochfährt. Ick vanehme de Worte und men ersta klara Jedanke is – so schlimm wie in menen dunkelsten Vorstellungen wa et nich. Nummer 36 schläft noch tief und Jünta steht mit senen doschjeschwitzten Hemne uff, bedankt sich bei Frau Doktor, vaspricht wiedazukommen und is endlich froh, den Saal verlassen zu können. Ick globe, sowat nennt man Schlüsselalebnis.
Jünta macht Tamine, redet mit Frau Mutta Doktor über unsere Zukunft und is wild entschlossen, sene Zahnlücke inne Mitte vom Oberjeschoss beseitijen zu lassen. Frau Doktor aklärt dat allet jet, aba vorher der Jaten sauber jemacht werden muss, uff deutsch Profilaxe, Quadrant für Quadrant. Wann ick als Nummer 38 dran seit sollte wa noch nich bekannt.
Ed war an enem Donnerstach. Anestesie janz in mener Nähe. Mir vielen schon de Ogen zu, als ick wat von wackelt schon und Karies vanehme. Dann wa ett sowet. Frau Doktor setzt an und will mir tatsächlich anne Wäsche. Ick hellwach, alle Kräfte jebündelt und jejenjehalten. Kampf uff Leben und Tod. Ick hab Frau Doktor det letzte abvalangt. Zwee Stunden hab ick den Kampf offenjehalten, dann hab'n de Afahrung von Frau Doktor und de fürschterlichen Kampfwerschzeuje jesiescht. Ick wa Vajanjenheit und hab'n großet Loch hintalassen und mene uffen Weg der Besserung befindliche Familie.
Ick kann euch nur saren und jetz och aus schmerzlicha Eijenafahrung: Passt bloß jut uff euch uff.
 
G

Gelöschtes Mitglied 20513

Gast
Man muss als Autor unbedingt beachten, dass nicht alle deutschsprachigen Leser den Berliner Dialekt beherrschen bzw. verstehen. Gehört bringt man ja einiges noch zusammen, aber schwierig wird es beim Lesen. Die Literaturwissenschaft steht in diesem Fall auf dem Standpunkt, dass lediglich typische regionale Redewendungen und höchstens noch typische Veränderungen von Konsonanten zum Beispiel eingesetzt werden sollten. Auf der anderen Seite ist es für den Autor aber auch wie bei jeder Personengestaltung wichtig, zu beachten, dass unterschiedliche literarische Figuren selbst im Dialekt sich unterschiedlich äußern, dass jede literarische Figur ihn auf ihre Weise einsetzt, abhängig von der sozialen Stellung, der beruflichen oder sogar des Ortes und der historischen Zeit. Das gehört generell zur Charakterisierung einer Person.

Ich muss dir ganz ehrlich sagen, ich als Berlinerin habe nach der dritten Zeile aufgegeben. Was du nämlich hineingebracht hast, ist nicht Berliner Dialekt, sondern im Grunde einfach nur schludriges Sprechen. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Denn der Berliner Dialekt kennt eine Menge Witz, er lebt geradezu vom Witz, auch von einer ziemlichen Portion Überheblichkeit, nebenbeigesagt, und das ist kein Klischee, übrigens ohne dass der Berliner dies selbst bemerkt, dies bemerken meist nur Leute aus anderen Sprachregionen, heißt, dem Berliner passieren die Witze, ohne dass er darüber überhaupt nachdenken muss. Im übrigen, da ich selbst Berlinerin seit mehr als 70 Jahren bin, kann ich sehr gut einschätzen, was in deinem Text wirklich Berlinisch und was aufgesetzt ist und nur berlinerisch tut. Welcher Berliner, und sei er noch so alt, sagt zum Beispiel "Jaten" zu Garten? Der Berliner spricht das "r", also: Jarten. Mit dem "r" deutet er sein höchstpersönliches Hochdeutsch an. Denn der Berliner ist in der Klemme: Er weiß, mit den Kumpels und in der Familie kann er berlinern auf Deibel komm raus, aber sowie er einem Fremden gegenübersteht, versucht er sich auf Hochdeutsch. Und das geht meistens schief. Und auch das macht den Witz des Berlinischen aus. Dein Text wendet sich ja an alle Leser, nicht nur an Berliner. Da würde ich wirklich vorschlagen, du nimmst diese Variante für die Sprache und ermöglichst so dem Leser ein barrierefreies Verständnis deines Textes. Das Berlinische hat eben den Vorteil, dass es in vielen Variationen existiert, und ich würde schon aus Höflichkeit gegenüber dem Leser ihm das Lesen etwas erleichtern.

Gruß, blackout
 

Gue

Mitglied
Danke blackout,
ich freue mich über Deine sehr konstruktive Antwort. Mein "schludriger Berliner Dialekt" kommt bei Lesungen ganz gut an. Ich gebe Dir trotzdem Recht und werde, sollte ich noch einmal diesen Pfad betreten, mich tiefer in Jan Eiks "Der Berliner Jardon" einlesen.
Gruß Gue
 



 
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