Bertas Standpauke

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Bertas Standpauke

Die Euphorie über die bestandenen Jägerprüfungen hielt noch en paar Tage an, dann kehrte Gott sei Dank wieder der Alltag bei uns ein.
Dat Familienleben und die Klempnerbude litten in dem Vorbereitungsjahr doch son bissken unter Schwindsucht.
Trotz der einkehrenden Normalität fuchste mich wat. So ganz tief in meinem Innern drin fühlte ich große Unzufriedenheit. Die Nerven lagen mir seit Aufgang der Bockjagd blank. Warum? Dat verrate ich Ihnen gerne.
Weil weder im Mai, noch im Juni irgendein Jagdpächter anrief, um mich auf en kleinet Abschussböckchen einzuladen.
So allmählich wurde ich stinkig. Man kannte mich doch überall. Wat war denn plötzlich los? War ich den Jagdherren nur als Treiber en Begriff? Nur zum Treiben aufe Matschfelder oder inne dornigen Hecken gut genug?

Wir Jungjäger trafen uns alle vierzehn Tage inne Kneipe „Wilddieb“ und tauschten unsere ersten „Erfahrungen“ aus.
Heute strunzten zwei Lackaffen damit rum, dat se schon en braven Abschussbock, der andere sogar en dicken Keiler erlegt hätten. Stundenlang erzählten se jede Kleinigkeit vonne aufregenden Jagd und die erlebten Gefühle. Dat war ja ätzend! So eine Beweihräucherung ihrer Jagderlebnisse, dat war ja echt widerlich!
War ich etwa neidisch?
Ich fragte: „Hört ma, wie seid ihr denn an die Einladung rangekommen?“
Beide erklärten stolz, man hätte sie prompt zur bestandenen Jägerprüfung eingeladen. Beziehungen wären doch heute alles bei der Jagd. Als Anwalt und Zahnarzt hätte man eben gute Verbindungen.
Ich bohrte weiter: „Habt ihr denn ma früher dort als Treiber eure Sporen verdient oder beim Hochsitzbau mitgeholfen?“
„Nöö“, sachte der arroganteste Oberwichtigtuer, der Zahnarzt, „dafür gibt et doch den Jagdaufseher und die Dorfjugend.“
Ich hatte keine weiteren Fragen. So Kerle sollte doch der Deubel holen! „So ein Waidloch!“, dachte ich. „Diese Strunzbeutelei musse dir hier nich länger anhören.“
Ich stand auf, bezahlte und verdrückte mich mit nem brummigen „Waidmannsheil“.
Von Tag zu Tag wurd ich kribbeliger. Bei jedem Anruf zuckte ich zusammen und hoffte, dat sich in Richtung Bockjagd irgendwat tat. Wie dankbar wär ich schon gewesen, wenn mich einer von den Jagdpächtern nur ma mit auf den Hochsitz genommen hätte – auch ohne Püster. Nix, absolut nix, tat sich in der Richtung.
„Berta, hier stimmt wat nich, ich hab immer noch keine Einladung zur Jagd. Ich war doch als Treiber fast jedet Herbstwochenende gefragt, man kennt mich doch hier inne einschlägigen Jagdkreise.“
Berta grinste mich an und hielt mir ne Postkarte unter die Nase:
„Hier, les dat ma, Willi, dat iss die erste Jagdeinladung.“
Ich riss ihr die sehnsüchtig erwartete Karte ausse Hand. Endlich! Mein Herz raste vor Aufregung. Welcher Jagdpächter mochte wohl meine stillen Gebete erhört und gütiget Erbarmen gehabt haben? Herrlich! St. Hubertus und Diana habt tausend Dank!
Ich hockte schon in Gedanken aufm Hochsitz und äugte aufn roten Sechser, der schön breit im Gras stand, daneben sah ich noch en Knoppbock und zwei Ricken. Der Knoppbock, der schlechte Vererber, wäre genau richtig. Berta unterbrach meine freudigen Gedanken:
„Willi,bisse blind? Hasse ma gekuckt, an wen die Karte adressiert iss? Kuck ma genau hin!“
Ich fiel aus allen Jagdwolken und knallte sehr hart aufen Boden vonne Tatsachen. Dat war ne Einladung an Berta. Ich überflog die Karte:
„Als erfolgreiche Teilnehmerin ..., bla, bla, bla ..., kostenloser Bockabschuss, einschließlich Jagd auf Überläufer und Frischlinge, bla, bla, bla ... , zur Blattzeit, 3. August, drei Tage Mecklenburg-Vorpommern. Kost und Logis tragen die Teilnehmer. Lehrrevier der Jagdschule ‚Hubertus’, bla, bla ..., PS: Bitte ohne Anhang.“

Wat sollte dat denn heißen, „ohne Anhang“? Dat hieß doch: ohne Blagen? Oder vielleicht auch ohne den jagenden Ehemann? Genauso war et. Die wollten da im Osten die angetrauten Hähne nich dabei haben, allenfalls noch en Jagdhund. Ich bin fast ausgerastet.
Ich drückte Berta mit nem kargen „Waidmannsheil“ die Karte inne Hand und musste mich erst ma mit nem Doppelwacholder abreagieren. Et war zum Bebaumölen!
Nich, dat Se jetz denken, ich gönnte dat meiner Berta nich, nein. In mir machte sich nur ein abgrundtiefet Gefühl von Enttäuschung breit. Gleichzeitig fragte ich mich natürlich:
„Warum hat dich immer noch niemand eingeladen? Willi, wat hasse falsch gemacht?“ Ich zermarterte mir die Birne. Ich fand keine Antwort. Mein lieber Scholli, ich hätte vor Wut platzen können.
Berta rief in ihrer großen Freude sofort ihre Mitstreiterinnen vom Lehrgang an und fragte, ob sie auch alle sonne herrliche Einladung bekommen hätten.
Klar, alle Weiber hatten eine. Dat war ja allerhand. Ich konnte mich gar nich mehr beruhigen.

Gut, dat heute mein Skatabend war. Hier konnte ich mich immer noch am besten ablenken.
Ich zog Leine und verdrückte mich in meine Stammkneipe „Glück auf“.
Die Skatbrüder trudelten nach und nach ein, et konnte rund gehen.
Die Kerle bemerkten sofort, dat mit mir wat nich stimmen tat. Ich war voll daneben. Unkonzentriert spielte ich und musste immerzu an Bertas Einladung denken. Jagdneid war dat nich, nee, bestimmt nich.
Dem "Tauben Jupp" wurde mein mieset Spiel zu bunt. Er fragte mich ärgerlich:
„Willi, wat iss los mit dir, iss dir ne Laus über die Leber gelaufen, merkse nich, dat du nur Mist spielen tus. Wat iss mit dir? Sach et schon.“
Ich erzählte den Skatbrüdern von Bertas Jagdeinladung, na ja, und dat ich eben noch keine Einladung gekriegt hätte.
Hätte ich doch bloß mein Maul gehalten. Die Blödmänner stichelten den ganzen Abend.
Kalle Kieselowski frotzelte: „Vielleicht hat Berta sogar doppeltet Jagdglück und schießt bei den Ossis noch en jungen Förster ab.“ Metzgermeister Marx flötete unaufhörlich und unüberhörbar den Schlager:
„Et war einmal ein Jäger...“. Den Schlager kennen Se sicher noch. „Im Leben, im Leben, geht mancher Schuss daneben...“.
Dat ging mir echt aufn Senkel, dat war einfach zuviel. Meine Nerven versagten. Ich schmiss die Karten aufen Tisch und verließ grußlos diese elenden Stänkerbrüder und stiefelte zerknirscht nach Hause.
Stinksauer setzte ich mich vor die Glotze. Und raten se ma, wat ich da als Erstet geboten bekam. Ne uralte dämliche Heimatschnulze mit oberschmalzigem Herz- Schmerzgewimmer vonne Sennerin mit dicken Ottos und son halbbescheuerten Wilderer, der im Gebirge die kapitalsten Hirsche abknallte.
Mir kam dabei doch tatsächlich, ganz hinten, in som verwinkelten Gehirnstrang, ohne dat ich meine Gedanken beeinflussen konnte, der schreckliche Wunsch nach Wilderei. Ich hatte son Dreck schon ma geträumt. Heute war dat aber kein Traum.
Ich erschrak über meine abartigen Gedanken und hab schnell mit dem Piloten gezappt und gezappt und letztendlich – „Columbo“ gekuckt.
Berta kam zu mir ins Wohnzimmer und fragte erstaunt:
„Willi, wieso bisse schon zurück, dat wird doch sonst immer drei Uhr bisse nach’m Skat nach Hause findest.“
Sie ahnte wat, streichelte mir zärtlich über die Birne und drängte mich heute, also mehr als sonst, inne Kiste zu gehen und en bisken zu kuscheln. Gedankenvoll schlief ich erst gegen zwei Uhr ein.
Kurz darauf begannen wieder meine verdammten Albträume:
Berta schleppte auf der rechten Schulter en kapitalen Bock und auf der linken en Stück Schwarzwild. Sie marschierte mit dieser Beute und aufgeknöpfter Bluse in eine Jagdhütte, in der junge, flotte Burschen schmachtend und johlend auf sie lauerten.
Ich erzählte nix von dem Traum, fiel mir gar nich ein. Nachher glaubte Berta noch, ich wär eifersüchtig oder so wat. Ich grübelte den ganzen Tag. Dabei stellte ich besorgt fest, dat ich mich ständig belog.
Jaaa! Ich bin eifersüchtig! Ich könnte auch vor Neid ausrasten, wenn ich nur an Bertas Bockjagd denke!
Zwei Tage später saß ich mit Berta beim Frühstück und las die Tageszeitung. Da stieß ich im Lokalteil auf ne dick umrandete Anzeige, so zehnmal zehn Zentimeter:

„Hiermit geben wir Kund und zu Wissen, dass Berta und Willi Püttmann die Jägerprüfung bestanden haben. Sie haben noch Termine für Jagdeinladungen frei.“

Herrschaften, jetz sah ich rot – obwohl ich vor Wut kreidebleich wurde. Dat war zuviel!
Berta wollte mich beim Bock tun! Ich schrie sie an:
„Biss du eigentlich total übergeschnappt, wat soll der Scheiß da inne Zeitung? Wat soll man denn bei die Jäger von uns denken? Wir sind doch keine Bettler! Berta, wir sind überall unten durch, blamiert bis aufe Knochen! Warum tusse mir so wat an?“
Ich war verzweifelt.
Berta sagte erst ma gar nix. Dat war auch gut so. Dann aber äugte sie mir mit ihren Rehaugen, die sich jetz allerdings zu fiesen kleinen Sehschlitzen formten, tief inne Pupille rein und brüllte:
„Willi, leidest du neuerdings an som Porzellansyndrom? Du hass doch wirklich nich mehr alle Tassen im Schrank! Für wie dösig hältst du eigentlich deine Frau? Frag lieber ma deine Skatbrüder. Glaubst du Blödmann wirklich, dat ich so wat machen tu? Weisse, wat du biss? Du biss ein ganz neidischer alter Kümmerer. Du biss ja nich mehr auszuhalten seitdem ich die Einladung auf den Bock im Rucksack hab! Ich weiß, warum dich kein Mensch einladen tut, ich will dir dat ma in aller Deutlichkeit sagen, sperr deine Lauscher gut auf:
Du tuss nix dafür! Du hilfst niemandem im Revier, bläst kein Jagdhorn, hass keinen Jagdhund, abbonierst keine Jagdzeitung und hass dich nich ma um ne vernünftige Jagdwaffe bemüht. Mit dem ollen Püster von deinem Opa aussem Ersten Weltkrieg kannze ja ma bei den Jagdpächtern ankloppen. Die husten dir wat! Du willz Jagdgene im Blut haben? Da lachen ja die Böcke! Hasse überhaupt schon den Jagdschein gelöst? Nee, hasse nich. Du biss nich ma Mitglied im Deutschen Jagdverband. Wat erwartesse eigentlich von den anderen? Du biss überhaupt kein richtiger Jäger, ne grüne Witzfigur biss du ..., du ...!
Sie überschlug sich mit Vorwürfen und brannte sie mir eiskalt auf meine dünne Schwarte.
Ich will Sie hier mit Bertas Arsenal von Ausdrücken und Unverschämtheiten verschonen.
Auf jeden Fall hat sie mir ganz schön laut und eindringlich die Leviten gelesen. Dat musste ich erst ma wegstecken!
Beleidigt verzog ich mich inne Werkstatt, verprellte da noch den Lehrling und zwei Gesellen und trabte in Richtung, nee, nich wie Sie jetz denken, inne nächste Kneipe. Nee, ich schnürte mit eingezogener Lunte in den Wald, um erst ma bei mir selbst einzukehren.
 



 
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