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Vera-Lena

Mitglied
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Lehne deinen Kopf gegen den Baum
und lächle mir ins Herz, sagst du.

Das Wurzelwerk zwingt dich zur Achtsamkeit.

Der schmale Weg erlaubt uns
gerade noch ein Nebeneinander.

Das Wortgeklingel gleitet hin und her
zwischen uns,
aber ich höre den Grundton,
der jede Silbe durchwärmt.

Bei Sonnenaufgang kann man den
Jubelakkord hören, sagst du.
Beständig eilt er um die Erde
und cirka jede vierundzwanzigste Stunde
erreicht er auch dich.

Er keltert dein Blut zu Wein.
Lass uns voneinander kosten,
sagst du.
Lächle mir ins Herz.
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Vera-Lena,

Dein Gedicht schlägt eine sehr schöne Brücke zwischen der Sprache als solche und dem eigentlich Un-sagbaren.
Auch wenn Du hier teilweise Vokabular benutzt, das an Religion erinnert ("Achtsamkeit", "Blut zu Wein") - wird durch die Bilder etwas transportiert, das nur aus einem tieferen spirituellen Empfinden kommen kann. Dein Text spricht in jedem Fall mehr als nur den Verstand an. Bin beeindruckt.

Schöne Grüße, NDK
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Prosaiker,

wahrscheinlich hast Du Recht, aber es fällt mir schwer, dieses "zwischen uns" etwas später zu stellen, weil dadurch für mein Gefühl, diese Nähe, welche diese Beiden zueinander haben, ein bisschen entfernter wird.
Vielleicht findest Du das übertrieben, aber ich fühle es nun einmal so.

Aber, wenn ich mir das formal genau ansehe, dann ist Dein Vorschlag wirklich schlüssiger. Deswegen werde ich ihn jetzt übernehmen.

Danke für Deine Antwort, Deinen Hinweis und auch das Lob!

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo NDK,

es freut mich, wenn ich etwas finden konnte, dass Dir durch die Bildhaftigkeit etwas mitzuteilen vermag.
Ich danke Dir sehr für Deinen Kommentar!

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

rosste

Mitglied
dein text ist reif, ehrlich und konkret.
"Blut zu Wein" - das hat noch keiner geschafft.
johannisbeeren, sauerkirschen, äpfel und schlehen - daraus lässt sich wein machen.
was mir viel besser gefällt: "Lehne deinen Kopf gegen den Baum" - da trifft natur gegen natur, pflanzliche gegen tierische zellen :)
"herz, lächeln und wurzelwerk" sind so fundamentalistisch, dass ich mich frage: spricht hier nur der intellektuelle dichter oder lieber die "wahre lene"
Das Wortgeklingel gleitet hin und her
zwischen uns,
aber ich höre den Grundton,
der jede Silbe durchwärmt.
- hier besser ... und ich höre den Grundton...
die große liebe fehlt wahrscheinlich, weil "sagst du" so viele zweifel aufwirft
lg
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Stephan,

Du hast ja wirklich immer ein sehr feines Gespür für meine Texte. "sagt du" wirft vielleicht keine Zweifel auf, sondern hier wird geschildert, wie zwei einander ganz neu und zum ersten Mal wahrnehmen und es ist gleich so viel Vertrautheit und Nähe da und so viel aneinander Staunen, und der Wunsch, immer näher aufeinander zu zu gehen.

Und wenn mir jemand sagt, dass der Jubelakkord des Sonnenaufgangs einen Menschen verändern kann, wenn er täglich aufmerksam darauf lauscht, dann trifft er mit einer solchen Aussage bei "Lena" auf wirklich offene Ohren, weil sie genau solche Erfahrungen auch schon gemacht hat.

Und warum sollte ich meinen Antwortjubel an die Sonne nicht im Laufe der Jahre als eine Veränderung meines Seins beschreiben, wobei "Wasser zu Wein" zwar wirklich hoch gegriffen ist, aber am ehesten ausdrückt, was ich meine, nämlich, dass nicht nur das Leid, sondern gerade auch die Freude zu Gott führt und dass Himmelreich aufzuschließen vermag.

Und wenn ich dann jemanden treffe, der das auch so erlebt hat über viele Jahre, dann wünsche ich mir durchaus, dass wir "voneinander kosten".

Danke für deinen Kommentar, aus dem mir deutlich wird, wie genau Du immer meine Texte liest. Das ist mir wirklich eine Freude.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Perry

Mitglied
Hallo Vera Lena,
dein Text spiegelt sehr gelungen inneres Empfinden an Natürlichem (Lehne deinen Kopf gegen den Baum
und lächle mir ins Herz oder Bei Sonnenaufgang kann man den
Jubelakkord hören ...). Was mir weniger gefällt, ist der Ausdruck "Wortgeklingel", weil er gegen den Jubelakkord doch stark abfällt (wie wäre es eventuell mit Worttöne). Unlyrisch empfinde ich die Formulierung "... kann man den ..." und das "circa." Beides ließe sich sicher leicht vermeiden.
LG
Manfred
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Manfred,

das "cirka" habe ich auch lange hin und her bewegt, bis ich mich dann doch dafür entschieden habe. Ich finde, dieses Wort ist derart geläufig in unserem Sprachgebrauch, dass es auch in lyrischen Texten unauffällig bleibt, vor allem aber hat es einen schönen Klang.

Auch bei dem "kann man den" habe ich es mir nicht leicht gemacht. Ich wollte aber darauf hinaus, dass hier eine allgemeine Feststellung getroffen wird, das war mir wichtig, so als ob jemand sagen würde ein Meter hat 100 Zentimeter. Für ihn, der das hier in diesem Text ausspricht, ist es eben eine so selbsterkannte und daher fast selbstverständliche Wahrheit.

Das "Wortgeklingel" stellt ganz absichtlich einen Kontrast dar. Die Beiden sprechen miteinander und es könnte ja so sein, dass die Worte verhallen, nicht ankommen, inhaltlich sich nicht enthüllen. Aber dann erfährt man im Verlauf des Textes, dass die Zuhörerin den eigentlichen Schlüssel zu den Worten durchaus findet, und erst noch später wird ja mitgeteilt, in welche Tiefen das Gespräch schließlich vorgedrungen ist.

Dies ist ein Text, in dem sich die Nähe zwischen den beiden Personen erst allmählich entfaltet.

Ich verstehe deine Einwände durchaus, und ich danke Dir für Deinen Kommentar und Deine Kritik.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 



 
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