Bessere Zeiten

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anbas

Mitglied
Bessere Zeiten

Früher, als alles besser war, standen wir kurz vor dem Atomkrieg. Die bleierne Zeit schenkte dem deutschen Volk seine eigenen Terroristen, Priester durften sich weitgehend ungestraft durch die Internate vögeln und unerlaubte Grenzübertritte von Ost nach West endeten schon mal im Kugelhagel.

In den guten alten Zeiten waren viele Flüsse unseres Landes stinkende Kloaken. Regen vernichtete den heiligen deutschen Wald, Fahrverbote stoppten wegen des Smogs so manchen Sonntagsausflug und Robbenjäger schlachteten sich ungehindert von einem Blutrausch in den nächsten.

Ja, als es uns damals so gut ging, war die Lebenserwartung niedriger, die Säuglingssterblichkeit höher wie auch die Quote der Verkehrstoten.

Und vor allem wussten wir früher von allen schlimmen Ereignissen gerade mal ein wenig mehr als jene Vorfahren aus dem hundertjährigen Reich, die ja in der Regel von gar nichts gewusst hatten. Erklärungsmodelle, mit denen wir unsere Ausreden für das Nichts-Tun tarnen können, werden knapp. Wie paradiesisch die Zeiten einst doch waren.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14278

Gast
Oh, Andreas, da konnte man aber vieles dagegenhalten …
In den guten alten Zeiten waren viele Flüsse unseres Landes stinkende Kloaken. Regen vernichtete den heiligen deutschen Wald, Fahrverbote stoppten wegen des Smogs so manchen Sonntagsausflug und Robbenjäger schlachteten sich ungehindert von einem Blutrausch in den nächsten.
Viele dieser Flüsse wurden mittlerweile begradigt oder anderweitig vergewaltigt (Elbvertiefung!), Pestizide tragen zum Artensterben bei (Insektentod!), Fahrverbote gibt es immer noch (Diesel!), der Walfang wird von einigen Ländern immer noch betrieben, usw. usf.

Dafür lernten Kinder in der Schule noch Lesen und Schreiben nach der Fibelmethode, sie lernten Disziplin und wurden auch sehr oft in ihre Schranken verwiesen. Paradiesische Zustände, die keinem von uns geschadet haben, auch wenn wir über 40 Kinder in einer Klasse waren. Heute sind Lehrer am Limit und können nicht einmal mehr die Lernziele erreichen, die noch vor zehn Jahren üblich waren.

Und haben wir nicht auch momentan wieder eine andere Art bleierner Zeit? Ach so, wenigstens die unerlaubten Grenzübertritte werden nicht mehr geahndet.
Erklärungsmodelle, mit denen wir unsere Ausreden für das Nichts-Tun tarnen können, werden knapp.
Das stimmt heute mehr denn je.Obwohl wir ja dank des Internets immer über alles informiert sind.

Ich glaube, dieser Text greift etwas zu kurz …

Gruß Ciconia
 

ackermann

Mitglied
@anbas, die Jahre nach dem Ende des kalten Krieges waren doch gar nicht so schlecht, oder? Das Rentenniveau lag 1990 noch bei 55 %, 2018 liegt es bei 48 %. Die Anzahl der Sexualdelikte war stark rückläufig. Und heute? Und, und, und ...

Ich glaube hinter diesem Text eine bestimmte Ideologie zu erkennen.

... Priester durften sich weitgehend ungestraft durch die Internate vögeln ...
Ich habe zwar mit Religionen nichts am Hut, aber trotzdem ist das meiner Meinung nach eine unzulässige Verallgemeinerung. Schwarze Schafe gibt es in jedem Bereich.

Ich überlege gerade, was dieser Text mit Humor & Satire zu tun hat. Vielleicht fällt es mir noch ein :)

Gruß
ackermann
 

ahorn

Mitglied
Wer sagt, dass eine Satire lustig sein muss. Dem Adressaten zum Nachdenken soll sie anregen. In diesem Fall dem ewig Gestrigen in ihrer Seifenblase aufzeigen, dass die Verklärung der Vergangenheit kein Weg in die Zukunft ist. Der senile Rückblick, die Augen verdunkelt, die wahren Probleme nicht erkennt, Ziele und Utopien als Hirngespinste abtut. Ja! anbas hat überzeichnet. Ja! anbas hat die Geschichte durch seine Brille betrachtet. Aber ist es nicht die Aufgabe von frei denkenden Autoren ihre Sicht aufzuzeigen, soweit sie nicht durch Häme oder Fakes die Wahrheit dermaßen verbiegen, dass andere unbeteiligte Personen, Unschuldige darunter Leiden.

Ich bedauere nur, dass die Adressaten des Textes nie seine Zeilen lesen werden, da ihre geistige Größe des Öfteren, aus dem Entwicklungsstand einer – ich entschuldige mich für den Ausdruck – Amöbe nicht hinweg gekommen ist. Nach meiner Meinung ein Umstand, der seinen Ursprung nicht in einem individuellen, sondern eher in einem gesellschaftlichen Defizit gründet.
Die Nadel zum Zerplatzen ihrer Blase weggeschmissen haben, auf ihrem Meer der nörgelnden und unzufriedenen herumdümpeln. In Erwartung des Sturms, der die bestehende erfolgreiche – ja, teilweise Ungenügende - Ordnung, die Rechtsstaatlichkeit - hinwegfegt, um ihren Heil bringenden Guru anzubeten.


Gruß Ahorn
Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ;)
 

anbas

Mitglied
Hallo in die Runde,

ich danke Euch für Eure Rückmeldungen (inklusive der Watschen in Form von Wertungen und Kommentaren, die aber durchaus einkalkuliert waren :D).

Zunächst einmal: Ich habe an keiner Stelle dieses Textes gesagt, dass wir heute in paradisischen Zuständen leben. Nein, davon sind wir weit weg. Allerdings möchte ich mich gegen diese sinnentleerte "Früher-war-alles-besser-Mentalität" wehren, soweit und so lange es mir möglich ist.

Und ja, Satire ist nicht immer komisch. Sie darf und soll auch mal pieksen und einseitig sein. Wer von Satire Ausgewogenheit erwartet, hat von Satire keine Ahnung, würde ich zumindest mal behaupten.

Folgendes "Schmankerl" noch zum Schluss: Die Idee zu diesem Text geisterte schon lange in meinem Kopf herum. Dann sah ich einen Auftritt von Dieter Nuhr und dachte mir: "Scheiße, der hat meine Idee geklaut!" - Hat er natürlich nicht, aber ich war (und bin) bei dieser Nummer hin und weg, weil sie mir so aus dem Herzen spricht. Ich bin jetzt nicht der große Dieter Nuhr Fan, sehe ihn aber hin und wieder ganz gerne, da er auch mir manchmal weh tut und mir so aber die Chance gibt, über eigene, z.T. festgefahrene, Ansichten nachzudenken. Hier der Link zu der Nummer, die ich meine: https://www.youtube.com/watch?v=x4ec-gnXVOc

Liebe Grüße

Andreas


... ach ja, sollten sich die 2-Punkte-Wertungen nicht auf den Inhalt sondern den handwerklichen Teil beziehen, wäre ich für konkrete Hinweise dankbar.
 

anbas

Mitglied
Bessere Zeiten

Früher, als alles besser war, standen wir kurz vor dem Atomkrieg. Die bleierne Zeit schenkte dem deutschen Volk seine eigenen Terroristen, Priester durften sich weitgehend ungestraft durch die Internate vögeln und unerlaubte Grenzübertritte von Ost nach West endeten schon mal im Kugelhagel.

In den guten alten Zeiten waren viele Flüsse unseres Landes stinkende Kloaken. Regen vernichtete den heiligen deutschen Wald, Fahrverbote stoppten wegen der Ölkrise so manchen Sonntagsausflug und Robbenbabyjäger schlachteten sich ungehindert von einem Blutrausch in den nächsten.

Ja, als es uns damals so gut ging, war die Lebenserwartung niedriger, die Säuglingssterblichkeit höher wie auch die Quote der Verkehrstoten.

Und vor allem wussten wir früher von allen schlimmen Ereignissen gerade mal ein wenig mehr als unsere Vorfahren aus dem hundertjährigen Reich, die ja in der Regel von gar nichts gewusst hatten. Erklärungsmodelle, mit denen wir unsere Ausreden für das Nichts-Tun tarnen können, werden knapp.

Wie paradiesisch die Zeiten einst doch waren.
 

James Blond

Mitglied
Satire darf alles

Es wäre weder dem Thema noch der literarischen Absicht angemessen, zu dieser Kurzsatire eine Gegenmeinung zu schreiben: War früher alles besser - oder doch schlechter?

Man sollte bei der Lektüre stets im Hinterkopf behalten, dass für solch ein pauschales Urteil nie ausreichend Belege zu finden sind; allein die Frage, was dabei "alles" konkret beinhalten könnte und was als "besser" zu bewerten wäre, sich wohl niemals einhellig und erschöpfend klären ließe.

Nein, wer sich auf das Terrain der Stammtischerörterungen über bessere Zeiten begibt, hat schon etwas anderes im Sinn. Die Satire will hier den Blick schärfen für vergangene Dinge, die längst vergessen oder auch nie richtig gesehen wurden - doch einen Beweis, dass heute alles viel besser ist, will sie damit nicht abliefern.

Aber auch keiner Ideologie huldigen: Im Gegenteil versammelt der Text zunächst Aspekte aus vielen Lebensbereichen, um schließlich auf den zentralen Punkt zu kommen: Wir wussten in den guten alten Zeiten ja viel zu wenig über die gute alte Zeit, von den Umweltsünden der Wirtschaftswunderjahre bis hin zur stillen Rehabilitation der NS-Täter. Es wurde fleißig weggeschaut und verdrängt und so der Boden für einen verklärenden Rückblick bereitet. An diesem Punkt angelangt, expliziert der Text sein Anliegen:
"Erklärungsmodelle, mit denen wir unsere Ausreden für das Nichts-Tun tarnen können, werden knapp."
Dieser Satz bricht ein wenig unvermittelt mit dem ironisch gefärbten Blick in die Vergangenheit und vermittelt ohne Umschweife, worauf das zeittypische Unbehagen mit der Gegenwart beruht: Wir wissen einfach zu gut Bescheid, als dass wir sie noch unbeschwert genießen könnten. Denn ein Paradies, das deutet der letzte Satz an, bedarf unserer Naivität.

Leider kommt der Schwenk zu dieser wertvollen Einsicht, die ein gutes Licht auf die alte Frage nach den besseren Zeiten werfen könnte, hier etwas zu unvermittelt, um vom flüchtigen Leser wahrgenommen zu werden. Da besteht meiner Meinung noch etwas Bearbeitungsbedarf, ansonsten eine gelungene Satire.

Kleine Anmerkungen: saurer Regen vernichtete ..., dem tausendjährigen Reich

Grüße
JB
 

anbas

Mitglied
Bessere Zeiten

Früher, als alles besser war, standen wir kurz vor dem Atomkrieg. Die bleierne Zeit schenkte dem deutschen Volk seine eigenen Terroristen, Priester durften sich weitgehend ungestraft durch die Internate vögeln und unerlaubte Grenzübertritte von Ost nach West endeten schon mal im Kugelhagel.

In den guten alten Zeiten waren viele Flüsse unseres Landes stinkende Kloaken. Saurer Regen vernichtete den heiligen deutschen Wald, Fahrverbote stoppten wegen der Ölkrise so manchen Sonntagsausflug und Robbenbabyjäger schlachteten sich von einem Blutrausch in den nächsten.

Ja, als es uns damals so gut ging, war die Lebenserwartung niedriger, die Säuglingssterblichkeit höher wie auch die Quote der Verkehrstoten.

Und vor allem wussten wir früher von allen schlimmen Ereignissen gerade mal ein wenig mehr als unsere Vorfahren aus dem tausendjährigen Reich, die ja in der Regel von gar nichts gewusst hatten. So war das schwer widerlegbare Halb- oder Nichtwissen ein guter Schutz vor dem Vorwurf irgendeiner Form der Verantwortungslosigkeit. Doch heute werden die Erklärungsmodelle knapp, mit denen wir Ausreden für unser Nichts-Tun untermauern können.

Wie paradiesisch die Zeiten einst doch waren.
 

anbas

Mitglied
Hallo James,

das ist ja mal Textarbeit vom Feinsten. Vielen Dank dafür!

Ich habe Deine Hinweise aufgegriffen, und hoffe, dass der Schluss jetzt besser daherkommt.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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