Nichts wird vom Menschen bleiben als seine Widersprüchlichkeit.
– F. Nietzsche -
Bevor sie zu ihm fuhr, lackierte sie sich die Nägel, ging zum Friseur, kaufte sich neue Unterwäsche, gab viel mehr Geld aus als sie gedurft hätte. Aber er hatte gesagt, er freue sich auf sie; das rechtfertigte jede Ausgabe. Um sechs Uhr früh ging der Zug. Sie war seit vier Uhr wach, fühlte sich ein bisschen wie unter Glas vor Müdigkeit. Sie hatte ein Abteil ganz für sich alleine, in dem sie sich ungestört ausbreiten konnte und vor sich hin grinsen durfte, wann immer sie wollte. Sie bekam das Grinsen gar nicht mehr aus ihrem Gesicht, so froh war sie.
Um sieben Uhr kam die erste Nachricht von ihm: Er war besorgt, dass sie vielleicht den Wecker überhört oder sich in den falschen Zug gesetzt haben könnte – schusslig, wie sie manchmal war. Um acht Uhr rief er sie zum ersten Mal an. Die Sonne brach durch die Wolken; es würde ein wunderschöner Tag werden.
Nach fünf Stunden lief der Zug in der Hauptstadt ein. Jetzt noch einmal umsteigen, noch vierzig Minuten Fahrt. Um elf Uhr fünfundvierzig rief er sie zum letzten Mal an. Wo bist du jetzt, fragte er.
Um zwölf Uhr zwölf stieg sie aus dem Zug. Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er umarmte sie auch, machte sich aber gleich wieder von ihr los, wie das eben seine Art war. Sie versuchte, die in ihr aufsteigende Unsicherheit zu ignorieren. Ihre neue Frisur erwähnte er mit keinem Wort.
Sie machten Zwischenstation in einem Gartenlokal. Viel hatten sie sich nicht zu sagen; alles war bereits besprochen worden, in Telefonaten, die oft bis zu vier Stunden gedauert hatten. Sie erzählte ihm, was sie unterwegs auf einem Plakat gelesen hatte: „Wenn wir uns sehen, reden wir nicht viel. Das machen wir, wenn wir uns nicht sehen“. Irgendwie fand sie das lustig und auf sie beide zutreffend. Er stimmte ihr zu.
Um dreizehn Uhr zehn waren sie in seiner Wohnung. Um dreizehn Uhr zwanzig führte er sie in sein Schlafzimmer. Um vierzehn Uhr dreißig saßen sie zusammen in seiner Küche, redeten, lachten, aßen. Gegen siebzehn Uhr verließen sie das Haus Hand in Hand. Er zeigte ihr eine der schönsten Städte der Welt, und sie war glücklich.
Um zweiundzwanzig Uhr lernte sie seinen besten Freund kennen. Dem Freund gefiel sie nicht, trotz neuer Frisur; das machte er vom ersten Augenblick an deutlich. Sie trank zwei Gläser Wein gegen die in ihr aufsteigende Unsicherheit. Um null Uhr zehn fragte ihn ein Bekannter: Ist das deine Frau? Er antwortete nicht, wie üblich, sie sei nur eine gute Freundin. Ja, sagte er und nahm ihre Hand. Zum ersten Mal fühlte sie sich wirklich geborgen.
Um zwei Uhr dreißig waren sie bei ihm zu hause. Er schlief mit ihr, als sei das eine lästige Pflicht. Wortlos, emotionslos. Im Schlaf legte er dann den Arm um sie; sie drehte sich weg.
Um zehn Uhr wachte sie auf, kochte sich einen Kaffee, duschte, schwieg. Um zwölf Uhr wachte er auf, kochte sich einen Kaffee, duschte, schwieg. Um vierzehn Uhr gingen sie aus dem Haus. Auf der Straße achtete er peinlich genau darauf, dass zwischen ihnen immer mindestens ein Meter Abstand blieb. Sie fühlte sich allein.
Die nächsten Stunden vergingen irgendwie. Um zwei Uhr saßen sie wieder in seiner Küche. Als er ihr endlich beigebracht hatte, dass er sie nicht wollte, wurde es draußen schon hell, und die Vögel begannen zu zwitschern. Sie weinte. Und er weinte auch.
Um siebzehn Uhr stieg sie in den Zug. Um dreiundzwanzig Uhr rief sie ihn noch einmal an. Um null Uhr fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Heute ist der erste von vielen Tagen, an denen sie sich nicht sehen werden. Heute ist der erste von vielen Tagen, an denen sie trotzdem nicht reden werden.
– F. Nietzsche -
Bevor sie zu ihm fuhr, lackierte sie sich die Nägel, ging zum Friseur, kaufte sich neue Unterwäsche, gab viel mehr Geld aus als sie gedurft hätte. Aber er hatte gesagt, er freue sich auf sie; das rechtfertigte jede Ausgabe. Um sechs Uhr früh ging der Zug. Sie war seit vier Uhr wach, fühlte sich ein bisschen wie unter Glas vor Müdigkeit. Sie hatte ein Abteil ganz für sich alleine, in dem sie sich ungestört ausbreiten konnte und vor sich hin grinsen durfte, wann immer sie wollte. Sie bekam das Grinsen gar nicht mehr aus ihrem Gesicht, so froh war sie.
Um sieben Uhr kam die erste Nachricht von ihm: Er war besorgt, dass sie vielleicht den Wecker überhört oder sich in den falschen Zug gesetzt haben könnte – schusslig, wie sie manchmal war. Um acht Uhr rief er sie zum ersten Mal an. Die Sonne brach durch die Wolken; es würde ein wunderschöner Tag werden.
Nach fünf Stunden lief der Zug in der Hauptstadt ein. Jetzt noch einmal umsteigen, noch vierzig Minuten Fahrt. Um elf Uhr fünfundvierzig rief er sie zum letzten Mal an. Wo bist du jetzt, fragte er.
Um zwölf Uhr zwölf stieg sie aus dem Zug. Sie ging auf ihn zu und umarmte ihn. Er umarmte sie auch, machte sich aber gleich wieder von ihr los, wie das eben seine Art war. Sie versuchte, die in ihr aufsteigende Unsicherheit zu ignorieren. Ihre neue Frisur erwähnte er mit keinem Wort.
Sie machten Zwischenstation in einem Gartenlokal. Viel hatten sie sich nicht zu sagen; alles war bereits besprochen worden, in Telefonaten, die oft bis zu vier Stunden gedauert hatten. Sie erzählte ihm, was sie unterwegs auf einem Plakat gelesen hatte: „Wenn wir uns sehen, reden wir nicht viel. Das machen wir, wenn wir uns nicht sehen“. Irgendwie fand sie das lustig und auf sie beide zutreffend. Er stimmte ihr zu.
Um dreizehn Uhr zehn waren sie in seiner Wohnung. Um dreizehn Uhr zwanzig führte er sie in sein Schlafzimmer. Um vierzehn Uhr dreißig saßen sie zusammen in seiner Küche, redeten, lachten, aßen. Gegen siebzehn Uhr verließen sie das Haus Hand in Hand. Er zeigte ihr eine der schönsten Städte der Welt, und sie war glücklich.
Um zweiundzwanzig Uhr lernte sie seinen besten Freund kennen. Dem Freund gefiel sie nicht, trotz neuer Frisur; das machte er vom ersten Augenblick an deutlich. Sie trank zwei Gläser Wein gegen die in ihr aufsteigende Unsicherheit. Um null Uhr zehn fragte ihn ein Bekannter: Ist das deine Frau? Er antwortete nicht, wie üblich, sie sei nur eine gute Freundin. Ja, sagte er und nahm ihre Hand. Zum ersten Mal fühlte sie sich wirklich geborgen.
Um zwei Uhr dreißig waren sie bei ihm zu hause. Er schlief mit ihr, als sei das eine lästige Pflicht. Wortlos, emotionslos. Im Schlaf legte er dann den Arm um sie; sie drehte sich weg.
Um zehn Uhr wachte sie auf, kochte sich einen Kaffee, duschte, schwieg. Um zwölf Uhr wachte er auf, kochte sich einen Kaffee, duschte, schwieg. Um vierzehn Uhr gingen sie aus dem Haus. Auf der Straße achtete er peinlich genau darauf, dass zwischen ihnen immer mindestens ein Meter Abstand blieb. Sie fühlte sich allein.
Die nächsten Stunden vergingen irgendwie. Um zwei Uhr saßen sie wieder in seiner Küche. Als er ihr endlich beigebracht hatte, dass er sie nicht wollte, wurde es draußen schon hell, und die Vögel begannen zu zwitschern. Sie weinte. Und er weinte auch.
Um siebzehn Uhr stieg sie in den Zug. Um dreiundzwanzig Uhr rief sie ihn noch einmal an. Um null Uhr fiel sie in einen tiefen Schlaf.
Heute ist der erste von vielen Tagen, an denen sie sich nicht sehen werden. Heute ist der erste von vielen Tagen, an denen sie trotzdem nicht reden werden.