Lieber Scal,
mit den üblichen Versatzstücken und den üblichen Sprüchen kommst Du jetzt nicht mehr recht weiter - wir sind hier ja nicht bei RTL oder in einem Wiener Beisel, und es geht geht - eigentlich doch recht klar erkennbar - weder um Kriminologisches oder um Kindesmissbrauch, sondern wir stehen gemeinsam am Flussufer und rätseln über das Woher und Wohin.
Vielleicht wird Dir die "Sache" klarer, wenn Du Dir in der Folge das da zu Gemüte führst:
"Das Vergraben von Müll oder dessen Verbrennung sind nur Verdrängungen. Einem System, dem nichts verloren geht und in dem auch die allerkleinste Sünde ihr Äquivalent im Fegefeuer oder in ewiger Verdammnis findet, ist es egal, ob die Ausscheidungen einer Gesellschaft nur sortiert und aufbewahrt oder ob sie transformiert werden. Sie würden gewiss auch von allein sublimieren: Entropie, die Umstände nur Beiwerk, Kosmetik, Euphemismus.
Ich lass mich nicht blenden von den Fassaden der Stadt, dem polierten Stahl und den verspiegelten Scheiben. Ich sehe den Fluss, der durch die Mitte geht, sehe, was man ihm anvertraut oder verschweigt, erkenne an der Differenz zwischen dem Vorher und dem Danach dich und deine Gefühle.
„Wie schön, nicht allein sein zu müssen!“, sag ich zu ihr, als wir in den staubigen Hafenstraßen nach der Wirklichkeit suchen: Scherbengebirge; Braunglas, Grünglas, Weißglas; blecherne Deckel, Plastikflaschen, zersplittertes Holz; Geruch wie in einer Abdeckerei. Ich seh die hellen Augenwinkel des Mädchens und sag ihm, dass der Tod gleichwertig sei mit der Geburt. Dass er nur jene schrecken könnte, die nie wirklich zur Welt kamen. „Es gibt unterschiedlich schöne Formen des Scheiterns“, sag ich, während ich mit der Nikon festhalte, wie aus dem fernen Grau des Unschlitts Farben und Formen treten, je näher wir kommen. Das Mädchen bleibt stumm, aber es lächelt, als ich rufe: „Ist es nicht herrlich? Und wir: mittendrin!“
Wie auf Bestellung donnert ein riesiger Caterpillar durch die Einfahrt und wirft sich mit aller Gewalt in die Haufen, zermalmt sie, nimmt neuen Anlauf, wütet gegen die Halden, ein sich aufbäumendes Tier, das mit weit aufgerissenem Maul einem übermächtigen Gegner droht, sein Diesel ein grollender Schrei. Jagdfiebrig verfolge ich es, erst vom grünen zum weißen Glas, dann zu den staubenden Holzresten. Wie bedauerlich, nicht wirklich fotografieren zu können, dass dieses Tier einem Menschen folgt, der es mit nur ein paar Fingern und einem Fußpedal wie nebenbei lenkt.
Ich gebe dem Vieh ein Zeichen, und es hält inne. Die Zelle öffnet sich, dahinter ein kleines, struppiges Gesicht, gebrochenes Deutsch. Ich steck ihm einen Zehner zu, und es will wissen, wofür. „Ablass“, sag ich. „Es ist für den Ablass.“ Es grinst und bedankt sich, aber ich bin froh, dass es mich nicht verstanden hat.
Ihre Augen sind wieder offenes Blau."
Was anfangs nur sanft skizziert war (Kurzprosa), ist jetzt deutlicher und vor allem viel lauter, aber immer noch Kurzprosa und folglich so komprimiert, dass man ein bisschen Zeit zum Lesen braucht: Kein Tatort-Krimi, keine Klischees. Vielleicht liest es sich deshalb schwieriger?
lg
Ixo