Betriebskostenabrechnung

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Sie hatte die Papiere
fein säuberlich geheftet und gelöscht das Licht.
Im Dunkel liegt sie grüblerisch

War da noch etwas, was noch nicht in Ordnung ist.
Der Schlaf kommt einfach nicht.

Die Pfandflasche, die dieser nicht defekte Automat
einfach nicht angenommen hat. Die Alte, die um einen
Pfandbon bat. Der abgelaufene Pfandbon in der Tasche.
Der dunkle Rauch über der Stadt von dem Chemieunfall.

Das Wasser hat sie abgestellt. Sie hat den Herd auch
ausgemacht. Heut morgen gab es einen Knall. Der alte
Mann von unten ist gefallen. Der Rettungsdienst hat ihn im
Krankenhaus behalten. Am Grab der Mutter ist doch alles noch beim alten.
Nur die Blumen dort sind alle eingegangen. Sie hatte heute
keine Kraft. Sie hat nicht einmal angefangen, das Grab
in Schuss zu halten. Die Mutter ist längst tot, doch schweigt
sie nicht. Sie spricht ihr überall dazwischen. Und sie mag
ihr Grab so nicht. Das Grab ist sehr unordentlich. Sie kann
sie einfach nicht
vergessen.

Es ist schon früh. Es ist schon spät. Sie
hat den Stromverbrauch gemessen. Das Gas hat sie
nicht angefasst. Sie fürchtet sich nicht vor der Nacht,
nur vor der Stille nach dem Abendessen, wenn nichts
mehr abzuheften ist. Wenn ihr die Mutter schmatzend
aus dem Schädelknochen frisst und dabei gröhlt und lacht

Wer hat denn dieses Grab so trist und würdelos gemacht.
Wer hat denn einen abgelaufenen Pfandbon in den Getränkemarkt
gebracht. Ich muss doch wirklich einmal sagen, wer bringt
denn solche Sachen mit in einen Einkaufsladen. Der muss doch
wahnsinnig geworden
sein.


Sie wird morgen zur Kirche gehen. Sie nimmt sehr starke
Mittel ein. Der Pfarrer wird sie schon verstehen. Der kennt
auch den Chemieunfall. Muss in dem Briefkasten
nachsehen. Will nicht beim Abendessen sein. Der Nachbar fiel mit einem furchtbar lauten
Knall. Was schreibt die Hausverwaltung nur für Briefe.
Wenn sie bloß endlich müde würd und schliefe.

Endabrechnung Mieterleben. Aufrechnungsmöglichkeit
vergeben.
 
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Mitglied
Toll, die Dichte der Sprache und was die Binnenreime hier und da (so lässig hin-gerappt irgendwie) und der Rhythmus für eine Dynamik erzeugen! Das "zieht" und "arbeitet" beim Lesen und reißt mit. Da spür ich die Zahnräder im Text und zugleich in meinem Kopf, wie sie herrlich in Bewegung gebracht werden!

Ein starkes Stück, Dio! Große Klasse!

LG,
Claudia
 

sufnus

Mitglied
Hi Dio!
Ja - das ist ganz wunderbar!!! Nur die allerletzte Zeile hätt ich weggelassen. Wahrscheinlich magst Du die gerade besonders, deshalb will ich Dich keinesfalls überreden, hier mit der Schere dran rumzuschnibbeln... ist nur für meinen Geschmack etwas zu viel. :)
Und was ziemlich konkret klingt, ist übrigens der Chemieunfall. Denkst Du da tatsächlich an einen ganz bestimmten?
Von dem abgesehen liest es sich ja (vor allem wg. des "Der alte Mann von unten ist gefallen") auch ein bisschen kriegsbezüglich, die normale (hier: schlechtere) Wendung wäre ja "gestürzt" gewesen.
Übrigens muss ich mal wieder an ein berühmtes Gedicht denken (auch wenn es mit Deinem coolen Text nicht soooo viel zu tun hat): "Aboriginal Landscape" von Louise Glück. Da gibts auch eine vorlaute tote Mutter - deshalb die Assoziation. :)
LG!
S.
 
Hi @sufnus

zunächst einmal besten Dank an den Gesandten vom Haus- und Grundbesitzerverein e.V. für die Rückmeldung zur diesjährigen Betriebskostenabrechnung.

Sodann: Der letzte Absatz ist tatsächlich etwas profan UND überflüssig; aber er hat es in sich: Eine echte Ausstiegsklausel in der Art einer "Wertung aus der Laiensphäre" und zwar im Gewand eines sehr verklausulierten Nebenkostenerhöhungsverlangens ;-)

Der Chemieunfall bezieht sich auf die ganzen Schlaftabletten und Beruhigungspillen, die unsere Schlaflose so schluckt, ist aber auch ein Regressionsbild. Der alte Mann, der gefallen ist bezieht sich einerseits auf das Problem des Schwindels an der (fehlenden) Spiritualität, andererseits auf den Vater, der im Krieg im Kopf unserer Schlaflosen gefallen ist (bravo!).

Ja, ich denke die vorlaute, tote Mutter war vermutlich die Assoziation, denn hier ist unsere (ungewünschte) Untermieterin ja die Mutter im Kopf der Tochter , dort die Tochter auf dem Grab der Eltern, wobei in beiden Fällen die Welten nicht mehr richtig abgrenzbar sind (Aboriginal: im Sinne von Traumzeit)

Im Namen der Hausverwaltung danke ich allen Mieterinnen und Mietern, die sich zur diesjährigen Betriebskostenabrechnung zu Wort gemeldet haben und wünsche allseits behütetes Schlafen, einschlafen, durch- und beischlafen.

compliments

für die Geschäftsführung

i.A. von Enno
(Sachbearbeiter/in)
 
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