Betriebspoker

runword

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Sein gut gemeintes Lächeln lässt ihn müder aussehen, als die konzentrierte Anspannung, mit der er noch vor wenigen Stunden live aus dem On blickte. Meine Perspektiven glaubt er zu erinnern. Er hält mich ganz klar für einen Idealisten. Die müde Bestätigung, die er mir würdigt, verrät die Enttäuschung seines eigenen Lebens. Nein, er würde es mir niemals gönnen, das Leben, das ihm verwehrt blieb. Schon jetzt spüre ich seinen künftigen Blick im Nacken, die Art, wie er darauf wartet, den Zeitpunkt meines Erlöschens minutiös vorherzubestimmen.
Die anfänglich harmlose Annäherung ist zu einem unfreiwilligen Poker verkommen: Jeder glaubt, die Karten des Anderen besser zu kennen als sein Gegenüber, und einmal mehr ertappe ich mich bei dem Selbstvorwurf, am falschen Ort zur falschen Zeit das Falsche gesagt haben zu können. Das Schlimme daran: jeder hat auf seine Weise recht. Genau deshalb wird es keinen Sieger geben.
Den Warnungen des Daedalus folgen, hieße sein Leben zu akzeptieren. Aber kann ich ihm Recht geben, ihm, dessen einziger Funke aus dem Neid auf meine Träume gespeist wird? Also wird er auf sein Recht warten müssen. Die Zeit wird es ihm irgendwann schon geben, als kleine Gegenleistung für das Leben, das er mit Warten zugebracht hat. Nichts, was ich besser könnte: Warten. Einen Sieger wird es nicht geben.
Und so halten wir uns wach, jeder durch sein Mitleid für den Anderen. Woche für Woche werden wir uns beim Bier die Karten über den Stand der Dinge aufdecken, notfalls den Einsatz erhöhen. Das Spiel wird härter werden, aber ehrlich bleiben; wir haben keinen Einfluss auf die Karten, die das Leben uns zuschiebt.
Mit den Jahren werden wir vielleicht Geschäftsfreunde bleiben. Das inwändige Zucken der ängstlich um Raum ringenden Seelen wird sich auf die Außenwände übertragen, dorthin, wo die Ellbogen, gespannt und zum Sprung bereit, auf ihre Legitimation lauern.
 



 
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