Betteln & Hausieren

Yossarian

Mitglied
Karl blickte sich ratlos um. Hier stand er nun, sein Fahrrad hatte einen Platten und das behagliche Zuhause war kilometerweit entfernt. Am Himmel standen dunkle Wolken, und der dreiundsiebzigjährige Mann befürchtete einen dicken Regenschauer. Mit Handys hatte er sich nie anfreunden können, also blieb nur in einer Wohnung nachzufragen, um von seiner Frau mit dem Auto abgeholt zu werden. >Wir kaufen nichts<, war die knappe Antwort bei seinem ersten Versuch. Ein Missverständnis, das kann mal vorkommen, räumte der alte Herr ein. Mit zurechtgerückter Krawatte und glattgestrichenen Anzug versuchte er es bei den Nachbarsleuten. Er klingelte und zögerlich wurde die Tür von einer Frau mittleren Alters einen kleinen Spalt geöffnet. >Guten Tag gnädige Frau. Ich möchte mich zunächst für diese kurze Störung entschuldigen<, begann Karl und machte dabei eine elegante Verbeugung. >Ich spreche nicht mit Fremden<, kam sogleich die vernichtende Erwiderung. Ein wenig verwirrt betrachtete er sich abschätzend im Türfenster, konnte aber nichts verwerfliches entdecken. Beim nächsten Haus hatte er mehr Glück, es gelang ihm sein Anliegen vorzutragen, doch leider besaß man kein Telefon. Wie sich herausstellen sollte, war auch in allen weiteren Haushalten das Telefon entweder gerade defekt oder nicht vorhanden. Manche behaupteten nicht einmal von einer solchen Einrichtung gehört zu haben. Inzwischen hatte es angefangen zu regnen und die Erscheinung des bemitleidenswerten Rentners lies allmählich zu wünschen übrig. Zunehmend wurde er mit wilden Flüchen, Hundegebell oder Drohungen die Polizei anzurufen verjagt, dabei wäre er für letzteres sogar dankbar gewesen. Bei den meisten Leuten kam er gar nicht zu Wort, viele trugen nur ihren eigenen Kummer vor, beschwerten sich über Hausiere und anderes Gesindel und meinten, dass ja auch immer unheimlichere Gestalten herumlaufen würden. Karl ertrug all dies im strömenden Dauerregen und falls es ihm doch mal gelang sein eigenes Leid kundzutun, wurde ihm zwar Verständnis und Beileid entgegengebracht, aber aufgrund des fehlenden Telefons blieb auch bei diesen hilfsbereiten Leuten jede Hilfe aus. Einige andere waren zufällig gerade viel zu beschäftigt und wieder andere missverstanden den Verzweifelten völlig. Sie rieten zum Kauf eines eigenen Telefons, oder waren der Ansicht sie könnten schließlich nichts für die Lage des Rentners. Ohnehin könnten sie auch nicht jeden Dahergelaufenen die Telefongespräche bezahlen, da sie schließlich schon mehr als genug fürs rote Kreuz spenden würden. Nach Stunden des vergeblichen und entmutigenden Fragens, hatte sich scheinbar Jemand ein Herz gefasst und die Polizei gerufen. Karl wurde wegen Betteln und Hausieren aufs Polizeirevier gebracht und bis tief in die Nacht verhört.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Yossarian,
auch wenn die Formulierung abgedroschen klingt: Mir hat die Geschichte gefallen. Es ist vielleicht ein bisschen viel auf einmal, was dem guten Karl da an Menschenfreundlichkeit begegnet. Aber er vereint in seinem Erlebnis eben halt nur die Summe all der vielen ähnlichen und täglich sich wiederholenden Begebenheiten vergleichbarer Art. Den Schluß fand ich besonders originell. Alles in allem, eine gute Satire.
Schön auch, wie sich das Erzähltempo mit dem Handlungsablauf steigert. Liest sich gut. Nur eine Bitte hätte ich. Füge doch an geeigneter Stelle die entsprechenden Absätze ein. Mal will ja wenigstens mal zwischendurch Luft holen.

Gruß Ralph
 

Yossarian

Mitglied
Es mag zwar ziemlich unglaubwürdig klingen, aber die Geschichte ist an einer wahren Begebenheit orientiert, die mir mein Opa erzählt hat.
Manche Stellen sind natürlich ein "wenig" grotesk geschildert, aber gerade die Sache mit den nicht vorhandenen Telefonen stimmt wirklich.
 



 
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