Bingo!

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flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Bingo!

Einmal im Monat wird im Seniorenclub Bingo gespielt. Ein alter Wäscheständer wird mit den Beinen nach oben aufgebaut, darauf kommt eine Wäschetrommel aus einer ausgedienten Waschmaschine. Durch die Trommel wird ein Metallstab gesteckt, dann kommt sie in die Mitte des Wäscheständers. Die „Lottokugeln“ sind Tennisbälle, worauf die Zahlen Eins bis Fünfundsiebzig mit Filzstift aufgemalt sind.
Jeder Teilnehmer zahlt zwanzig Cent, nimmt sich eine Karte, auf der wahllos Zahlen zwischen Eins und Fünfundsiebzig aufgedruckt sind und bekommt eine Filmdose mit alten Pfennigen zum Bedecken der aufgerufenen Zahlen. Dann kann es losgehen.
Nicht so gestern. Wir hatten auf dem frisch renovierten Hof zu Mittag gegessen und die Sonne tat ihr bestes. Noch bevor das Essengeld kassiert worden war, bestimmte die hundert Kilo schwere Glücksfee: „Wir spielen drinnen“. Darauf reagierte keiner.
Endlich waren die Gelder kassiert und die Trommel wurde auf den Hof getragen. Die Glücksfee intervenierte: „Wir spielen drinnen!“ Wieder keine Antwort.
Nun wurde der Wäscheständer heraus getragen. Widerwillig ging die Glücksfee daran, den „Spielapparat“ aufzubauen. „Das ist nicht der richtige Ständer. Der, den wir brauchen, hat Löcher. Wie soll denn sonst die Stange befestigt werden?“
Sie trug also den Ständer wieder ins Haus und suchte den richtigen. Sie konnte ihn nicht finden und bat jemanden vom Personal um Hilfe. Dann sagte eine Seniorin: „Die Stange wird doch nur aufgelegt, da ist jeder Wäscheständer richtig!“ Endlich erinnerte sich die dicke Fortuna. Und schon stand der gehabte Ständer auf dem Hof.
Nun fehlte nur noch die Stange, um die Trommel zu halten. Der hilfsbereite Kraftfahrer reichte ein drei Zentimeter dickes Rohr zu. Er wusste nicht, dass eine Stange von einem halben Zentimeter Durchmesser gebraucht wird. Derer existieren zwei, eine mit einem leichten Knick und eine gerade. Leider konnte keine von beiden gefunden werden.
Inzwischen war die Sonne mit ihren Strahlen ein Stück weiter in den Hof gerückt. Eine empfindliche Seniorin sagte: „Wollen wir nicht doch lieber drinnen spielen? Ich habe Kunstlinsen, die halten das Sonnenlicht nicht aus“.
„Nö“, maulte eine andere leise. „Drin dürfen wir ja nicht rauchen“.
„Und die Sonne scheint endlich so schön“, fügte eine andere hinzu.
Die runde Glücksfee ergriff die Gelegenheit: „Ihr wisst doch, dass wir hier draußen nicht mal unser kleines Mittagslied singen dürfen, da dürfen wir bestimmt auch nicht so laut irgendwelche Zahlen rufen“.
„Dann musst du eben leise rufen“, entgegnete die dritte.
„Es ist so schön hier draußen!“, fügte eine vierte hinzu.
Und die fünfte meinte: „Wir sitzen gerade alle ganz angenehm im Schatten“.
Mit gerunzelter Stirn tönte die Fee: „Vorigen Monat haben wir auch draußen gegessen und drinnen gespielt!“ – „Da war es ja auch noch nicht so warm!“, lautete die Entgegnung.
Eine couragierte Seniorin ließ abstimmen: „Wer ist für draußen bleiben?“
Vier von vierzehn Fingern reckten sich in die Höhe. „Na also!“, rief Fortuna. „Einzahl fliegt, Mehrzahl siegt!“ Und sie begann, die unfertige Glücksmaschine abzubauen.
Die agilste Seniorin kam mit einem hölzernen Stab an, der eigentlich dafür gedacht war, den künftigen Tomatenpflanzen Halt zu bieten. „Hier, probier den mal!“, forderte sie. „Nee, du, der geht nicht, der ist aus Holz und die Trommel aus Eisen, der bricht bei den ersten Umdrehungen durch“. – „Probieren geht über studieren, los jetzt!“ – „Mann, weißt du, was so ein Holz heutzutage kostet? Ist doch nicht nötig, dass wir den zerbrechen!“ – „Egal, wir wollen jetzt spielen. Also heb die Trommel hoch, ich steck das Holz durch“.
Das Dickerchen ließ sich überreden und alle sahen gespannt zu. Zum Glück war der Holzstab um zwei Millimeter zu dick. „Und außerdem gehen wir jetzt rein!“, trumpfte die Glücksfee auf. Niemand bewegte sich. Nur eine alte Dame meinte: „Ist vielleicht besser, wenn wir reingehen. Hier wohnen vielleicht Schichtarbeiter, die jetzt schlafen wollen und sich gestört fühlen, wenn wir spielen“. Keine Reaktion.
Da erschien eine Betreuerin mit dem geknickten Metallstab. Rasch war die provisorische Ziehungsmaschine fertig, der Einsatz wurde kassiert und die Kärtchen und Filmdosen verteilt. Da kam der Kraftfahrer mit dem geraden Stahlstab. Er sah, dass er nicht mehr benötigt wurde und brachte ihn dahin zurück, wo er ihn gefunden hatte.
Als erstes sollten alle Zahlen auf der Karte gelten. Die Fee ließ die Trommel rotieren und rief die Zahlen aus. Sie dämpfte ihre Stentorstimme zu einem Säuseln, so dass sie gerade noch zu verstehen war. „Halt, halt!“, rief eine der ältesten. „Ich muss erst meine Brille finden!“ – „Na, die hättest du doch schon längst auf haben können!“ – „Ja, das sagst du!“
Aber es kam nicht zum Streit, wir fassten uns in Geduld.
Mitten im schönsten Spiel erschien die Clubleiterin und sagte: „Eben hat jemand von den Mietern angerufen. Er findet unsere Einrichtung recht gut und nützlich, aber wir sollten doch die Mittagsruhe einhalten“.
Die meisten blickten pikiert drein, die Fee prustete: „Ich hab s doch gleich gesagt!“
Etwas kleinlaut sagte jemand: „Na ja, hier schallt es ja auch ganz schön in dem engen Hof“.
Das Spiel wurde noch rasch zu Ende geführt, dann wanderten einige in die Stube. Die beiden Raucher und ein paar Sonnenverliebte blieben draußen, wo es später auch Kaffee und Kuchen geben sollte.
Fortuna trällerte auf dem Weg: „Und so ziehn wir mit Gesang in das nächste Restaurant!“, eine andere sang „Das Wandern ist des Müllers Lust“. Beide recht leise, man wollte ja keinen Ärger mit den Nachbarn. Obwohl – irgendwer hatte eben noch im Haus auf der Blockflöte geübt.
Aber jetzt gab es kein Halten mehr, jetzt wurde Bingo vom Feinsten gespielt.
Zur festgesetzten Zeit gingen die Spieler nach draußen zum Kaffeetisch und vereinbarten, nach dem Kaffee weiter zu spielen. Sie ließen die Kärtchen und ausgepackten Pfennige an ihren Plätzen liegen.
Die Sonne war wieder ein Stück gewandert, Plätze im Schatten waren nicht mehr zu finden. Eine Betreuerin holte deshalb einen großen Sonnenschirm herbei, der leider zwischen den Backsteinen des Hofes keinen Halt finden konnte. Da wurde er einfach an einen Sessel gebunden. Nun hatten es alle gemütlich.
Es gab Schwarzwälder Kirschtorte. Ganz frisch aus dem Backofen. Lecker!
Als die Spieler ihre Plätze im Saal wieder einnehmen wollten, hatten die Hilfskräfte schon alles weggeräumt . . .
Bingo!
 

Inu

Mitglied
Hallo Old Icke

so etwas kommt also auf einen zu, wenn man sich offiziell zum Senioren-Dasein bekennt. Na ja ... könnte schlimmer sein. Du gibst einen guten Einblick in die Atmosphäre ;)

Liebe Grüße
Inu
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank für s lesen und kommentieren.
ja, war n bißchen hektisch an dem tag. wahrscheinlich wegen der plötzlich hereingebrochenen hitze.
lg
 
Solche Schicksalsschläge, liebe Christa,

passiert nicht nur auf 'm Seniorentreffen, lebendig, nachvollziebar erzählt.
Bingo!
Das Spiel wurde noch rasch zu Ende gemacht([blue]gespielt[/blue]), dann wanderten einige in die Stube. Die beiden Raucher und ein paar Sonnenverliebte blieben draußen, wo es später auch Kaffee und
Es gab Schwarzwälder Kirschtorte. Ganz frisch aus dem Backofen. Lecker!
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Old Icke

Es gab Schwarzwälder Kirschtorte. ist das Rezept dafür noch ein anderes als bei der bekannten Schwarzwälder Kirschtorte mit Sahne usw.?
Neugierig fragt heike

grüßle nach Berlin
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
yep,

die tun immer zur hälfte preißelbeeren dazu.
das spiel zu ende spielen - da hat man 2mal spielen drin, daher entschied ich mich für das unschöne machen. werde es in geführt ändern.
lg
 

Doska

Mitglied
Köstlich
dein hintergründiger Humor und ich hatte dabei das Gefühl, als würde ich ebenfalls auf diesem Hof sitzen und auf mein Tortenstück warten.( Wenn etwas vorgelesen wird, bekommt man die Details leider nicht so genau mit, als wenn man alles in Ruhe selber lesen kann)
L. G.
 



 
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