Bis aufs Blut

Als ich den Mann in seinem roten Umhang und mit dem langen weißen Bart auf der Straße erblickte, da rutschte mir das Herz doch tatsächlich in die Hose. Trotz seiner Verkleidung hatte ich ihn sofort erkannt. *Also gibt es ihn doch*, der Gedanke traf mich ins Mark. Ein leichter Anflug von Panik stieg in mir auf, doch ich hatte mich sofort wieder im Griff. Um sicher zu gehen dass ich nicht träumte, rieb ich mir die Augen, nicht aus Müdigkeit, wie alle anderen meinten, nein, ich musste mich vergewissern dass das was sich da unaufhaltsam auf mich zubewegte der Realität entsprach. Obwohl es mir fast unmöglich erschien, musste ich mir eingestehen, dass nun das eingetreten war, von dem ich geglaubt hatte, dass es nie soweit kommen würde. Ich hatte alles nur für ein Märchen gehalten, eine Erzählung mit der man kleine Kinder erschreckt und sich gefügig macht, aber da lief er, direkt auf unser Haus zu. Ich überlegte fieberhaft, aber es schien keinen Ausweg zu geben, das drohende Unheil ließ sich nicht aufhalten und kam näher und näher. Ich beobachtete jeden seiner Schritte aufs Genaueste, vielleicht würde mir ja eine plötzliche Eingebung noch einen rettenden Gedanken liefern, doch mir wollte einfach nichts neues einfallen. Während ich ihn so anschaute, erschien er mir ganz harmlos. Irgendwie hatte ich ihn mir ganz anders vorgestellt. Zum Glück hatte ich ihn trotz seiner vorzüglichen Verkleidung sofort durchschaut. * Mich legts Du nicht rein wie alle anderen, MICH nicht*. Während ich dies dachte bemerkte ich ein kleines Mädchen an seiner Seite, das ihn offensichtlich begleitete. Es trug ein langes weißes Kleid und hatte sich große goldene Flügel auf dem Rücken gebunden. Seine vorzügliche Tarnung ließ mich erkennen, dass er vor nichts zurückschreckte, sie war fast perfekt, aber eben nur FAST. Ich musste innerlich lächeln, *Du denkst ich bin genauso bescheuert wie all die anderen, aber da hast Du Dich gewaltig getäuscht*. Durch den schweren Rupfensack, den er lässig in der rechten Hand trug hatte er sich verraten. Der große Sack schlug ihm beim Laufen gleichmäßig gegen die schweren Stiefel. Mein Bruder hatte mir in den letzten Wochen jede Menge über ihn und eben diesen Sack erzählt. Fast täglich hatt er mir von den vielen Geschenken vorgeschwärmt, dir wir von ihm bekommen sollten. Aber die Bedingungen hatten mich sofort stutzig gemacht, * aber nur wenn du lieb bist *, hatte mein Bruder gesagt. Lieb, wenn ich das schon hörte, da sträubten sich mir umgehend die Nackenhaare. Ich bin durchaus bereit Opfer zu bringen, aber das war einfach zu viel, irgendwo gibt es Grenzen und die beginnen bei mir mit dem Wort Lieb. Zu allem Überfluss meinte Mama dann auch noch, *Du kannst doch so schön singen, wie wäre es wenn du ihm was vorsingst ? *. Mein Bruder übte unterdessen wie verrückt um ein Gedicht auswendig zu lernen. * Draus vom Walde kommst Du her .... * oder so was ähnliches. Wie ich ihn so beobachtete fiel mir auf, dass er wie besessen war, und da wusste ich, dass etwas gewaltig Faul war. Dass ich recht hatte, wurde mir in dem Augenblick bewusst, in dem mein Bruder mir erzählte was an diesem Abend wirklich ablaufen würde. Die Erkenntnis über seine wahren Absichten traf mich wie ein Faustschlag, und ich beschloss mich nicht so einfach überrumpeln zu lassen wie mein Bruder. In mir hatte er einen zu allem entschlossenen Gegner der sich nicht so einfach ergeben würde, nein, mit mir hatte er sich den Falschen ausgesucht, ich würde kämpfen, und wenn es sein musste mit allen Mitteln und bis zum letzten Atemzug. Nächtelang hatte ich wachgelegen um meinen Plan auszuarbeiten, ich hatte Verteidungsstrategien entwickelt um sie dann doch wieder als Undurchführbar zu verwerfen. Schließlich sah ich mich außerstande eine 9 mm Pistole mit Schalldämpfer aufzutreiben, auch die Idee mit dem Küchenmesser war nicht durchführbar, da ich keine Ahnung hatte wie die Kindersicherung zu umgehen war. Je näher der Tag rückte desto hektischer arbeitete ich an meinem Plan, und nun war es so weit, er war nur noch wenige Meter von unerer Hautür entfernt. Ich glit leise vom Sofa und machte mich bereit.

Es klingelte im Gang. Irgenwoher erklang dieser einlullende Ton einer kleinen Glocke, der seine Ankunft verkündete. Ich hatte meine Ohren gespitzt und lauschte den gleichmäßigen, schwerten Schritten, die sich die Treppe heraufbewegten und immer näher kamen. Ich presste mich etwas näher an Mama, nicht weil ich Angst hatte, nein, es war Teil meines Planes. Alle sollten glauben, dass ich genauso verängstigt sei wie mein Bruder. Ich ließ die Details meines Planes noch mal vor meinem inneren Auge revue passieren, alles war vorbereitet, er konnte kommen, und da stand er. Er war größer als ich erwartet hatte, viel Größer, fast reichte er bis zur Decke. Ich schluckte heftig. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Einen kleinen dicken Gnom hatte ich erwartet, nicht dieses kraftstrotzende, allein schon durch seine körperliche Erscheinung einschüchternde Wesen, das nun vor mir stand. Wenigstens entsprach seine Stimme meinen Vorstellungen, sie war tief und angenehm. Kein Wunder dass es ihm gelang alle anderen Kinder und auch die Erwachsenen damit um den Finger zu wickeln. Alle, außer mir. Er war das Sinnbild des guten Onkels, angenehmes Äußeres, freundliches Wesen und hinterhältig bis zum Anschlag. Ich konnte einfach nicht verstehen, dass sich Mama so an der Nase herumführen lassen konnt. Mama, die keine Gelegenheit ausließ meinen Bruder davor zu warnen sich auf dem Heimweg vom Kindergarten mit irgendwelchen Fremden einzulassen, es war mir unbegreiflich. Hier stand nun ein völlig fremder Mann, mit den bösesten Absichten die sich mein kindliches Gehirn nur ausmalen konnte und meine Mama begrüßte ihn aufs freundlichste * Hattest Du einen beschwerlichen Weg ? Wo hast Du denn Deine Kutsche mit den Rentieren geparkt ? * Ich hätte am liebsten gesagt * Am besten im Halteverbot, Mama, mach endlich die Augen auf, siehst Du denn nicht wer das ist ?* Aber ich wusste dass es sinnlos gewesen wäre, also versuchte ich es erst gar nicht. Mitlerweile hatte er allen die Hand geschüttelt und es sich auf meinem Lieblingsstuhl bequem gemacht, auf MEINEM Stuhl, es war unfassbar, mit welcher Selbstverständlichkeit er sich hier einschlich. Er musste seiner Sache sehr sicher sein, aber ich würde ihm einen Strich durch die Rechnung machen, ihm eine Lektion erteilen, die er nicht so schnell vergessen würde.

Mein Bruder begann mit seinem Gedicht. Der Fremde brummelte unverständliches Zeug in seinen dichten Bart, während sich mein Bruder mühte die Verse nicht durcheinanderzubriengen. Er wippte dabei von einem Fuß auf den anderen und hatte die Hände beim Sprechen zu Fäusten geballt, ein untrügliches Zeichen, dass er aufgeregt war. Wahrscheinlich überlegte er die ganze Zeit, was für Geschenke in dem Sack sein würden. Ich pfiff auf die Geschenke, sollte er sie doch wieder mitnehmen, Hauptsache ich konnte meine Schätze behalten und dafür würde ich meinen letzten Tropfen Blut geben. Von mir würde er nichts bekommen, keinen einzigen. Zwar hatte Mama alle fein säuberlich auf dem Wohnzimmertisch augereiht, aber ich würde sie schon wieder in meinen Besitz bringen, wenn die Zeit dafür gekommen war. Mein Bruder war fertig mit seinem Gedicht. Erwartungsvoll stand er vor dem Fremden in seinem roten Umhang, er konnte es kaum noch aushalten, das bemerkte ich. Am liebsten hätte er selbst in den Sack gegriffen um nach den Geschenken zu suchen, aber das traute er sich nicht, Feigling. Ich schaute mir unterdessen seinen Umhang etwas genauer an, er stand vor Dreck und an vielen Stellen war er löchrig. Mein Gott, waren sie denn alle Blind ? Es war doch offensichtlich, dass es sich bei dem Mann um einen Gauner handelte der nur Übles im Schilde führte. Ich blickte um mich, überall nur strahlende Gesichter und ich erkannte , dass ich ganz auf mich allein gestellt war, weder von Oma oder Opa, noch von meiner Tante war Hilfe zu erwarten, aber ich hatte auch nichts anderes erwartet. Der Fremde griff in seinen Sack und holte zwei Päckchen heraus, ein kleines und ein ganz schön Großes, mein Bruder bedankte sich artig und begann damit die Geschenke aufzureißen. Meine Neugier war geweckt und ich streckte den Hals um zu sehen was er bekommen hatte. Eine Darth Vader Figur aus Krieg der Sterne und einen Playmobil Drachen. Kurz war ich versucht mich in mein Schicksal zu fügen. Gerade noch rechtzeitig erkannte ich seine List, ich musste wachsam sein, sonst würde er im handumdrehen den Sieg davontragen, das war mir nun klar, aber mich würde er nicht so einfach überrumpeln wie meinen gutmütigen Bruder, daür waren meine Schätze einfach viel zu wertvoll. Während alle anderen meinen Bruder beim auspacken beobachteten las der Mann in einem goldenen Buch. Er nickte fast unmerklich und machte dabei ein zufriedenes Gesicht. Dann drehte er ganz langsam den Kopf in meine Richtung.

* soooooo *, sagte er mit seiner tiefen brummigen Stimme, * Du bist also Gregor ? *. Ich beschloss erst mal gar nichts zu sagen. Meine Tante rief aus dem Hintergrund * Ja * herüber. Ich hätte Ihr am Liebsten * Halt die Klappe oder heißt DU vielleicht Gregor entgegnet, ließ es dann aber doch. Mama hielt meine Hand fest umklammert, hab keine Angst flüsterte ich ihr ins Ohr um sie zu beruhigen, doch sie hatte mich falsch verstanden, denn sie antwortete * schön wenn DU keine Angst hast *. Ich und Angst, vor dem da ? Ich schnaufte verächtlich und dachte *Typ, Du kannst Dich warm anziehen, wenn ich mit Dir fertig bin, dann bleibt nicht mehr allzuviel von Dir übrig *. Der Fremde sprach weiter. * Nun, in meinem Buch steht geschrieben, Du isst wie ein Ferkel und Du sagst immer so schlimme Sachen, stimmt das denn ? *, er schaute mich fragend an, die Augenbrauen dabei nach oben gezogen. * Arschloch*, aber ich hatte so leise gesprochen, dass er es nicht gehört hatte. Nur Mama, und die drückte meine Hand noch fester und rief mit vorwurfsvollem Ton * GREGORRRR*. Ich durchschaute seine Taktik und wusste im selben Moment, dass ich mich nicht aus der Ruhe bringen lassen durfte. Ansonsten würde er meine Schwäche kurzentschlossen ausnutzen und meine Schätze wären verloren. Er las weiter. * Hier steht auch noch, dass Du schön singen kannst. Kannst Du mir denn ein kleines Liedchen vorsingen. Naaaaaa ? * Und wieder schaute er mich mit seinen kalten, stechenden Augen an. Er war so was von berechnend und wieder konnte ich nicht glauben, dass ich der einzige war, der ihn durchschaute. Von mir würdest er nichts hören keine Silbe, kein Laut würde über meine Lippen kommen. Alle starrten mich an. Oma, die die Lippen bewegte um mir vorzusagen, Opa der bis zu den Ohren grinste und meine Tante die sich aufplusterte * Du bist unmöglich Gregor *. Mama rettete die Situation in dem sie kurzentschlossen selbst zu singen begann. * Oh Tannenbaum, Oh Tannenbaum * und alle stimmten mit ein. Einer sang falscher als der Andere. Das Gekreische war grausam und kam einer Folter gleich und richtig für einen kurzen Augenblick hatte ich das Gefühl er würde aufspringen und fluchtartig das weite suchen, dann hatte er sich aber wieder im Griff. Die Aussicht meine Schätz in seinen Besitz zu bekommen, war ihm offensichtlich Motivation genug um selbst diese Qual zu ertragen. Dann war das Lied zu Ende. Der Fremde spielte den Gutmütigen.* Schön habt ihr gesungen * und seine kleine Begleiterin nickte zustimmend. Wieder schaute er in seinem Buch nach, er überlegte lange und ich erkannte, dass der Augenblick der Entscheidung gekommen war. * Gregor * begann er , *Gregor hier steht dass Du mir Deine * weiter ließ ich ihn nicht kommen. Ich riss mich von Mamas Hand los, rannte blitzschnell die wenigen Schritte zum Tisch. Ich nahm 4 Schnuller in meine kleinen Hände, einen steckte ich in den Mund, dann drehte ich mich auf der Stelle um, noch ehe die anderen richtig bemerkten was ich vorhatte. Auch der Fremde schien verwirrt, zumindest machte er keinerlei Anstallten mir meine Schätze zu entreißen. Ich rannte zum Sofa, dort steckte ich meinen blauen Schnuller unter das große Kissen, den grünen warf ich in die leere Blumenvase die dahinter auf dem Fenstersims stand. Ich hatte alles x-fach geübt, so dass jede Bewegung einstudiert war, alles klappte vorzüglich. Den roten Schnuller packte ich in das Wader Müllauto, wo er vor dem Fremden sicher war. Mit seinen großen Pranken würde er nicht in der Lage sein, durch die kleine Öffnung in der Rückwand des Müllautos zu greifen, um den Schnuller wieder herauszuziehen. Blieb noch der Weiße. Wie vorgesehen warf ich ihn aus dem halb geöffneten Fenster in den Garten. Jetz bei Dunkelheit würde er ihn dort nie finden, außerdem würde ihm Mama die Leviten lesen, wenn er mit seinen rießigen Schuhen durch ihr Blumenbeet laufen würde. Ich atmete tief durch. Mein Plan hatte funktioniert. Ich lief aufreizend langsam zu Mama zurück die mit weit aufgerissenem Mund noch immer am Boden saß. * Ja, da schaust Du, Dein Schatz ist ganz schön clever* dachte ich bei mir und ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich stellte mich neben sie, nahm ihre Hand und blickte dem Fremden in die Augen, der offensichtlich nicht glauben konnte was so eben geschehen war. * Kein Schnulli mehr* rief ich und sofort erkannte ich meinen Fehler. Ich hatte den rosa Schnuller vergessen, den ich mir in den Mund gesteckt hatte. Wie in Zeitlupe konnte ich beobachten wie er zu Boden fiel, hart Auschlug und ein paar mal hin und her hüpfte, dann blieb er liegen. Es war totenstill und man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Ich war vor entsetzen wie gelähmt, starrte in die triumphierenden Augen meines Gegner und wusste, dass ich verloren hatte. Als von allen Seiten schallendes Gelächter über mich hereinbrach, erkannte ich, dass der Schnullerdieb auch mich besiegt hatte.

copyright 2001 Peter Büchele
 

Charima

Mitglied
Hallo, Paradise_Lost!

Als ich angefangen habe zu lesen (vielleicht die ersten zwei, drei Sätze), dachte ich: Ach, wieder so eine Nikolausgeschichte... Dann aber ließ mich Dein packender Stil nicht mehr los, und ich mußte feststellen: So ist es möglich, sich zu täuschen...

Der Text ist in meinen Augen mehr als gelungen! Eine einzige Kleinigkeit würde ich vielleicht ändern, und zwar den Satz mit den "Details" und dem "Revue passieren"; das ist meiner Ansicht nach von der Sprache her nicht ganz stimmig und auch nicht unbedingt nötig. Aber wie immer ist es nur meine Meinung, vielleicht siehst Du das ja vollkommen anders.

Liebe Grüße,

Charima
 

anemone

Mitglied
sehr spannend

Diese Geschichte ist einmalig schön und macht wahnsinnig neugierig.

Die wahren Lebenskünstler sind bereits glücklich, wenn sie nicht unglücklich sind. (Jean Anouilh)
 
Hallo Charima,


erst mal vielen Dank für die Kritik. Ein wenig Lob adelt, hab ich mal gelesen, *lächelt*. Aber mal im ernst, Deine Kritik hilft mir eine Ganze Menge für das Schreiben, denn was Du entdeckt hast stimmt auf den Punkt, nur ist es mir eben nicht aufgefallen. Wäre schön wenn von dieser Art von Stellungnahme mehr käme, da es mir bei der Entwicklung meiner Geschichten ungemein hilft.

Viele liebe Grüße

Sir Peter *lacht*
 
Ars vivendi

Hallo Anemone,


merci für Diese wunderbare Weisheit, ich hoffe übrigends, dass mich meine Lateinkenntnisse beim Titel dieses Postings nicht völlig im Stich gelassen haben *lacht*, aber es ist wirklich eine Kunst zu Leben, zumindest wenn man ein erfülltes, glückliches Leben anstrebt. Wenig ist oft mehr und ein kurzer Gedanke wie der von Jean Anouilh rückt vieles ins rechte Licht.

Hat er denn noch mehr solche Dinge gschrieben und wenn ja, kann man das irgendwo nachlesen oder kaufen ?


Lieben Grüß

Peter

P.S. Sollte er eine Berühmtheit sein, so entschuldige meine Unkenntnis, aber ich bin vom Land *lacht*
 

anemone

Mitglied
hallo Peter,

wenn es um Sprüche geht, die kannst du in einem Duden
finden (Zitate und Aussprüche). Diesen fand. ich sehr passend. Mehr weiß ich über den Sprücheklopfer allerdings auch nicht.
 



 
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