Blashinski oder der Tod kann warten

wowa

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Blashinski oder der Tod kann warten


Er schaute aus dem Fenster und sah die Blätter fallen. „Mr. Blashinski,“ hatte der junge, schlanke, sportliche Personalmanager von O`Leary International gesagt, „ihr Qualifikationsprofil ist gut, nicht außergewöhnlich gut, doch es entspricht den Anforderungen an den von uns gesuchten Mitarbeiter. Ihre Gehaltsvorstellungen bewegen sich im üblichen Rahmen. Einige gleichqualifizierte Mitbewerber allerdings passen deutlich besser in die Altersstruktur unseres Unternehmens. Ich wünsche Ihnen alles Gute, es tut mir leid.“
Man erhob sich, Blashinski spürte die gelangweilte Routine seines Gegenübers und sagte: „Sie haben schöne Knie, geben Sie gut auf sie acht.“
Er nickte in das verdutzte Gesicht des jungen Mannes, der die Bedeutung seiner Worte jedoch überraschend schnell zu begreifen schien. Ein Hauch von Angstschweiß wehte herüber, Blashinski sog ihn gierig auf, riechen war ihm von jeher eine Obsession, er vertraute seiner Nase mehr als jedem anderen Sinnesorgan. Leise lächelnd verließ er das Büro.
Zurück in seinem Appartement betrachtete er den herbstlich bunten Baum vor dem Fenster und überdachte seine Situation.
Seit er vor zwei Wochen Belfast überstürzt verlassen musste und mit einem neuen Namen in New York landete, wurden die normalen, erwartbaren Anfangsschwierigkeiten in einem fremden Land nicht kleiner, im Gegenteil. Wobei die objektiven Umstände die Ankunft eher erleichterten, er fiel nicht auf, kommunizierte ohne Probleme und hatte eine Organisation im Hintergrund, die innerhalb von Stunden einen Pass und ein echtes Touristenvisum organisieren konnte und demnächst eine echte unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung, alles auf seinen neuen Namen.
An diesem Punkt der Reflexion, die Rahmenbedingungen waren positiv abgeklärt, rückte die eigene Wahrnehmung in den Fokus. Blashinski hielt sich für einen rationalen Menschen und glaubte, sein Gefühlsleben folge einer nachvollziehbaren Logik. Warum also empfand er keine Freude über seine geglückte Flucht ?
Schließlich stand er in Belfast nach einer absurden Verkettung unglücklicher Umstände kurz vor der Verhaftung und die Polizei übergab politische Gefangene gewohnheitsmäßig dem britischen Geheimdienst. Das hätte sein Verschwinden bedeutet. Hier war er frei und bei guter Gesundheit und trotzdem fühlte er sich schlecht, war häufig depressiv, manchmal musste er sogar weinen. Blashinski kannte den Grund und an diesem Nachmittag gestand er es sich ein, - er vermisste Irland, er hatte banales, sentimentales Heimweh.
US – America, das gelobte Land für so viele seiner Landsleute, ließ die Menschen nach einer anderen Melodie tanzen als drüben in Europa. Selbst die Iren, die er hier in dieser kurzen Zeit kennengelernt hatte, waren bis zur Unkenntlichkeit angepasst. Als erstes verlor man offenbar seinen Akzent und sprach amerikanisch, sodann übernahm man die Werte der neuen Welt und beteiligte sich an der Jagd nach dem Dollar. Der Daseinskampf dominierte früher oder später jedes Gespräch. Auf den ersten Blick schienen die Leute freundlich und zugewandt, doch jenseits der Oberfläche war die existentielle Vereinzelung offenbar ein Grundbaustein dieser Gesellschaft.
Blashinski war schon wieder zum Heulen zumute, da klingelte das Telefon. Er nahm ab, sagte „Ja?“ und der Mann am anderen Ende war erfreut, ihn direkt zu erreichen.
„Mr. Blashinski, hier spricht der Personalchef von O`Leary International. Mein Mitarbeiter hat bei ihrem Vorstellungsgespräch heute Morgen einen Fehler gemacht. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Er ging nach dem üblichen Schema vor, aber das ist in ihrem Fall nicht angesagt. Verfolgte Landsleute brauchen natürlich unsere Unterstützung. Haben Sie noch Interesse an dem Job?“
Blashinski bejahte und sie vereinbarten einen neuen Termin für den folgenden Tag. Nach einer weiteren Entschuldigung des Personalchefs trennte man sich.
Der Abend war gerettet, Blashinski in Hochstimmung. Die unbegrenzte Aufenthaltsgenehmigung verlangte obligatorisch einen Jobnachweis, den kann sie haben, ab morgen ist er in Lohn und Brot, das Problem wäre damit gelöst.
Doch woher wusste der Personalchef von seiner Verfolgungsgeschichte? Unangenehm, besorgniserregend, die durfte auf keinen Fall bekannt werden und schon gar nicht der Name, unter dem er in Belfast aktiv war. Die Einwanderungsbehörde schob bei gefälschten Identitätspapieren gnadenlos ab, auch noch nach Jahren und eine Abschiebung nach England wäre sein Todesurteil. Der Tod kann warten, aber nur, wenn er vorsichtig bliebe ein Leben lang.
Der Wetterbericht prophezeite auch für die kommenden Tage eine stabile, sonnige Hochdrucklage, vielleicht ein, zwei Grad zu warm für die Jahreszeit. Egal. Es war ein phantastischer Herbst. In Belfast sei es kühl und regnerisch, einfach ungemütlich, hatte ein Freund am Telefon gesagt.


Blashinski fand das gut.

 



 
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