BLIMPER (14) Os

Michael Kempa

Mitglied
Os





Blimper nickte stumm.
Jan sammelte sich und legte die Fingerspitzen aufeinander, er betrachtete das entstandene Dreieck.
„Unwichtiges zuerst,“ begann er. „Das Zodiac ist vernichtet, es ist nicht mehr da.“
Blimper trank vorsichtig den heißen Kaffee. Jan versuchte einen neuen Anlauf: „Sie waren noch nie in Netarts Bay?“
„Noch nie in Oregon.“
„Verstehe.“ Jan konzentrierte sich.
„Es wird ihnen gefallen, hier ist es ruhig, nur wenige Menschen leben hier, bis zur nächsten Stadt ist es weit. Nach dem Krieg hat sich diese Gegend nur langsam erholt, die Technik ist völlig veraltet, hat aber ihren besonderen Charme. In der Garage steht ein Wagen, damit sind sie mobil, wenn sie auf dem Gelände sind, wird automatisch geladen. Da gibt es auch ein Bike. Telefoniert wird hier noch wie früher, es gibt ein Phone und sie können das Ohrteil nutzen, es reagiert auf ihre Sprache, Karl wird ihnen helfen, er ist die künstliche Intelligenz hier im Haus, wir nannten ihn Karl, weil das ziemlich eindeutig zu verstehen ist. Sie müssen ihn nur rufen, er ist immer für sie da. Karl ist auch im Auto installiert, eigentlich immer für sie da.“
„Ich kann nicht Auto fahren, ich hatte nie eines.“ Blimper zuckte mit den Schultern.
„Oh, entschuldigen sie, das wusste ich nicht. Hm, das macht einiges komplizierter...“
Jan verabschiedete sich, ließ seine Telefonnummer da und versprach, in ein paar Tagen nochmals vorbeizuschauen.

Blimper war sprachlos, sie untersuchte zunächst das Haus und den Hof. Sie sortierte ihre Sachen und schaute, was es zu essen gab. Bald hatte sie ihren Lieblingsplatz im Garten gefunden. Ein Ort an dem sie sich geschützt fühlte. Karl beantwortete tatsächlich alle Fragen, die sie zunächst hatte. Das Fahrrad in der Garage beäugte sie kritisch. Am nächsten Morgen wollte sie sich näher damit befassen. Zunächst nahm sie Bestand auf und stellte fest, dass es an nichts Wichtigem fehlte. Die Television funktionierte und fassungslos nahm sie die Gegebenheiten der neuen Umgebung auf. Der Tag verging wie im Flug. Eine weitere Nacht auf der Couch.

Karl wurde ihr neuer Freund. Geduldig erklärte er alle Fragen und wiederholte seine Erklärungen so oft sie wollte. Ein paar Meter vor das Haus traute sie sich, gelegentlich rauschte ein Auto vorbei, ohne Notiz von ihr zu nehmen. „So viele Menschen!“, dachte Blimper für sich. Biken wurde ihre neue Leidenschaft. Oft fuhr sie hinaus an das Meer und ließ sich ihre schweren Gedanken vom Seewind davonblasen, dann nahm sie sich das Auto vor. Karl erklärte wie das ging und Hannah kam mit der Schaltung und den Bremsen zurecht. Beim Einparken in die Garage versetzte sie dem Wagen eine lange Schramme. Jan begutachtete den Schaden und entschied, dass Fahrtraining nötig war. Mit Karl ackerte Blimper die Fahrregeln durch. Jan brachte ein Schild mit, das magnetisch am Wagen haftete. Ein großes „L“. Eine Woche später ging es mit dem Wagen in den Ort und eine weitere Woche später an verschiedene Strände in der Umgebung. Hannah hatte sich eingelebt und spürte mehr und mehr ihre Einsamkeit.

Jan stellte Fragen, er stellte Fragen zu den Blimps, er wollte wissen, wie eine automatische Ankopplung an den Fixpoint funktionierte. Hannah erklärte ihm das. „Kannst du mir das aufschreiben?“, fragte er.
Hannah war damit einige Tage beschäftigt. Sie gab Jan die Papiere und Jan ließ Dollars da. „Geld, damit kannst du einkaufen, Sachen die du brauchst, du kannst mit deinem Auto in die nächste Mall fahren und einkaufen!“

Hannah lebte sich ein, mit dem Rad unternahm sie immer weitere Touren und mit dem Auto kam sie immer besser zurecht. Mit Jan unternahm sie eine Tour im Auto und er ließ auf dem Tisch in der Küche ihren Führerschein liegen. Sie packte das Papier zu ihrem Pass und war zufrieden. Kleine Stücke Freiheit.

Mit den Ingenieuren der Blimps blieb Hannah über Jan in Kontakt. Hannah war für eine strikte Trennung der Elektronik und der Mechanik eines Blimps. Sie war der Meinung, dass ein Blimp auch nur rein mechanisch geflogen werden sollte. Im Notfall. Die Automatik war für sie für den Regelfall gedacht.
Hannah erklärte Jan die Ankopplung an einen Fixpoint und was ein Fixpoint ist. Jan nahm die Aufzeichnungen und ließ Dollars da. Jan sprach das Problem der Energieversorgung an. Elektrischen Antrieb konnte er sich nicht vorstellen. Hannah war erstaunt über seine Unwissenheit.
Blimper hatte genug Dollars, es fehlte an nichts. Sie fuhr weiter mit ihrem Rad an die See. Am Abend versuchte sie ihre Freunde zu finden.
Das war ein langwieriges Unternehmen. Karl, das elektronische Gehirn, konnte zwar helfen aber nicht zaubern. Stück für Stück kamen neue Informationen und es kam der erste Winter. Stürme zogen vom nahen Meer über das Land. Es wurde früh dunkel und Hannah hatte manchmal das Gefühl, dass es an manchen Tagen einfach nicht hell werden wollte, bevor es wieder dunkel wurde. Ihr fehlte das Hallenbad, die Tage im Wasser, das Schwimmen und natürlich ihre Freunde. Dann natürlich die Blimps und das Fahren in der Luft, fremde Länder, Strände bei schönem Wetter und ihre Freunde. Am meisten fehlte ihr Alaska, von der sie keine Spur fand. Sie wusste noch nicht einmal, ob Alaska überhaupt noch lebte. Karl suchte für sie und fand Adressen von Alaska. Hannah grenzte die Suchergebnisse ein, es blieben noch über 200 Ergebnisse übrig.

Hannah begann zu telefonieren. Die Gespräche waren meist kurz, manchmal unangenehm. Frustrierend. Es riss die Wunde wieder und wieder auf. Schlechte Laune und durchweinte Nächte, das war das einzige Ergebnis.
Dann, in einer verschneiten Winternacht, der Durchbruch!
Am Telefon meldete sich Denise. „Schätzchen, du bist es? Schäääääätzchen!“ Das war Denise, eindeutig! Denise lebte auf Hawaii, auf dem Land. Sie arbeitete wieder in einer Mall, verkaufte und lebte und verkaufte. Begeistert berichtete sie von der Vorliebe der Hawaiianer für Zimtstangen. Hannah liefen die Tränen auf den Hörer, sie begann zu schniefen. „Schnupfen...“, log sie Denise an. Das Gespräch zog sich über zwei Stunden und Hannah und Denise blieben in Kontakt. Denise lud sie nach Hawaii ein. „Wie soll ich da hin kommen?“, fragte Hannah. „Na, so wie ich her gekommen bin! Mit einem Jet! Schäääääätzchen! Die sind schnell die Dinger. Viel schneller wie diese verstaubten Dinger!“
„Blimps?“, fragte Hannah.

„Ja, man muss mit der Zeit gehen, die Blimps sind Geschichte, Jets sind heute aktuell! Ich gehe mit der Zeit und ich sitze nicht mehr gerne in einem Bunker. Du solltest mal sehen wie ich lebe! Nicht weit weg vom Strand und Surfen kann ich auch! Das machen fast alle hier, das macht Spaß. Komm einfach her und schau dir das an!“
Hannah fragte nach ihren Freunden, nach Marcel, nach Paul, Ricarda und Sabrina. Natürlich auch nach Alaska.
„Ja, ich kann mich erinnern, das waren spaßige Zeiten, doch ich habe von denen nichts mehr gehört. Das ist doch Vergangenheit, lass uns das Leben genießen, Schäääätzchen!“
Das war für Blimper ein Schätzchen zuviel, sie beendete das Gespräch und fiel in eine abgrundtiefe Traurigkeit.

Jan holte sie wieder zurück in das Leben. Es gab zwei Blimps in der Erprobung und das Entwickler-Team lud Hannah zu einer Besichtigung ein. Es wurde eine kleine Reise mit Jan. In einem Campingwagen reisten sie an.
 



 
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