BLIMPER 4 Helden

Michael Kempa

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Helden





Weit entfernt, in der Zitadelle, saß Mansfeld an seinem Schreibtisch und überflog die Reports zur Expedition. Rosen saß ihm gegenüber und studierte die Karte des Nordatlantik.
„Nun, wie ist die Lage?“, fragte Mansfeld.
Simon Rosen zuckte die Schultern. „Wir haben seit zwei Tagen nichts gehört, die Blimps haben sich zuletzt weit vor Island gemeldet, sie sind einem Sturm ausgewichen, sie haben die geplante Route verlassen.“
„Vor Island verschollen...“ Georg Mansfeld lehnte sich zurück und betrachtete den Globus auf seinem Schreibtisch. Zufrieden drehte er die Erdkugel mit Schwung und betrachtete den abgebildeten Atlantik. „Acht Helden und acht Probleme weniger!“
Simon war nicht so optimistisch. „Freue dich nicht zu früh, es sind nur zwei Tage. Die Helden sind noch nicht sicher tot.“
Georg nickte ihm zu. „Du hast Recht, wir warten noch und geben noch nichts bekannt. Keine Nachrichten an die Presse, keine Stellungnahme, alles soll noch normal erscheinen. Wir reden morgen weiter.“
Simon nickte stumm und verließ das Büro. Die täglichen Aufgaben warteten.

„Wie geht es weiter?“, fragte Ricarda über Funk. „Wo sind wir eigentlich genau?“
Alaska gab die Antwort. „Rouen, im Nordwesten von Frankreich!“
Paul nahm das Wort: „Wir haben einen Marschplan. Als erstes sollen wir Paris finden und genau dokumentieren, was übrig ist, möglicherweise Kontakte herstellen. Wir haben eine Liste von Zielen, die wir absuchen sollen.“
Marcel funkte von der „Cairo“. „OK, dann lasst uns nach Paris fahren, das erste Ziel nehmen, ich bin gespannt, was wir finden werden. Los!“

Paris war eine Enttäuschung. Stundenlang zogen die Blimps über das, was von der Stadt übrig war. Endlose Wälder auf Ruinen. Selten war etwas mit dem Auge erkennbar. Marcel fand eine nackte Eisenansammlung, die verwittert am Boden lag. Nach einigen Untersuchungen und Vergleichen, entschieden sich die Blimper, dass sie den Eiffelturm gefunden hatten, jedenfalls die Reste davon. Paris konnten sie nun verlassen, es gab nichts mehr zu sehen. Eine überwucherte Stadt, ein Urwald, unter dem sich Schutt verbarg.
Paul gab das nächste Ziel der Suchliste bekannt:
Ramstein-Air-Base.
Ein weiterer Tag in der Luft. Unendliche Wälder zogen unter den Blimps durch. Gelegentlich konnten die Luftfahrer Straßen erkennen, auf denen weniger Vegetation wuchern konnte. Die Route führte weiter in den Osten. Stunden zogen dahin, das Tempo wurde gedrosselt.
Ramstein war eine Wüste. Die Blimps zogen über sandige Dünen. Es gab keine Vegetation, es gab keine Tiere. Kilometerweit Sand. Dünen. Doch es gab etwas, was messbar war: Radioaktivität und davon eine Menge. Paul gab die Warnung an alle heraus: „Wir messen heftige Radioaktivität! Am Boden könnten wir nicht lange überleben, selbst hier in der Luft sind die Werte hoch! Wir müssen weiter, wir können hier nicht lange bleiben!“
Marcel fragte über Funk, was dass nun war.
Paul wagte eine Antwort: „Das was wir hier sehen, ist die Wirkung der Zar-Bombe. Eine nukleare Waffe, die vor 200 Jahren eingesetzt wurde, im finalen Krieg. Der Krieg, deswegen wir heute hier sind, der Krieg, den das Dorf überlebt hat.“
Paul drehte die „London“ in südliche Richtung, die „Cairo“ und die „Kiew“ folgten. Der Boden lag nur 400 Meter unter ihnen, die Dünen wandelten sich in Steppe und bald erschienen die ersten Bäume, die einen neuen Urwald ankündigten.
Ricarda fragte, ob es nicht Zeit wäre, ein Lager aufzuschlagen. Schließlich seien sie nun fast zwei Wochen in der Luft und es brauchten alle festen Boden unter den Füßen.
Paul widersprach ihr. „Wir haben noch einen wichtigen Zielpunkt und das ist Cern, da müssen wir hin und zu allem: Die Radioaktivität am Boden ist noch da. Wir könnten gefahrlos höchstens eine Nacht bleiben. Die ganze Gegend strahlt! In der Luft sind wir am sichersten. Lasst uns unseren Auftrag rasch erfüllen, dann suchen wir einen sicheren Landeplatz!“

Der nächste Nachtflug kündigte sich an, nun in südlicher Richtung, mit langsamer Geschwindigkeit und voller Aufmerksamkeit, denn die Umgebung wurde gründlich gescannt und die Ergebnisse gespeichert.
Den Zugang zum Cern-Komplex fand der Computer, die Daten waren gespeichert. Auch hier gab es hohe radioaktive Werte, eine Landung war unmöglich. Vorsorglich war die Flotte mit einem Landeroboter ausgestattet, der an Bord der
London verstaut war. Der Roboter wurde abgeseilt und startete automatisch seine Mission. Der Weg und alle Koordinaten waren gespeichert, das Dorf wusste viel über Cern. Es war fast soetwas wie eine Heimkehr. Cern und die Zidadelle hatten die gleichen Erbauer, die Ziele lagen zwar 200 Jahre zurück, doch wurzelten auf dem gleichen Boden. Wissenschaft.

Die ersten Bilder wurden vom Landeroboter gesendet und konnten in allen drei Blimps gleichzeitig ausgewertet werden. Der Roboter war vollgepackt mit Sensoren und Codes. Praktisch ein Heimspiel.
Die „London“, „Kiew“ und die „Cairo“ lagen wie ein Stern um den Einstiegspunkt des Roboters. Die Bilder und Messwerte waren auf den Blimps simultan zu sehen.
Blimper platzte der Kragen. „Was wollen wir hier?“ Sie schob ihr Gesicht vor die Kamera, so, dass alle sie sehen konnten. Dann tippte sie sich an die Stirn. „Wir seilen diesen seltsamen Roboter in die Tiefe und schauen Löcher in die Bildschirme, landen können wir nicht, nach Wochen hängen wir in der Luft! Wir haben doch unsere eigenen Probleme. Was soll das, mit diesem bekloppten Cern?“
Paul versuchte Blimper zu beruhigen. „Es ist ein zentrales Ziel unserer Mission, wir sollen nachsehen, was aus Cern geworden ist.“
„Was ist Cern überhaupt? Was weißt Du, was ich nicht weiß?“, brauste Blimper auf.
Paul versuchte eine Erklärung zu geben. „Cern ist so etwas wie die Schwester vom Dorf, auch eine Zitadelle – aber halt hier in Europa. Hier wurde geforscht, an Energie und Kommunikation. Hier unter uns liegt ein großer Teilchenbeschleuniger und viele Wissenschaftler haben daran gearbeitet, weil das so wichtig war, vermuten wir, dass es auch hier eine Zitadelle geben könnte, mit Überlebenden oder zumindest Spuren davon.“
Blimper war nicht überzeugt. Mit einem Ausdruck der Verachtung ließ sie sich in den Pilotensessel fallen und kreuzte die Hände über ihrer Brust. Die Unterhaltung war für sie beendet.
Marcel mischte sich ein. „Lasst uns die Bilder sehen und dann entscheiden wie es weiter gehen soll!“

Die Bilder vom Roboter wurden empfangen. Nebenher gab es eine Flut von Messwerten: Temperatur, Druck, Strahlung, Radioaktivität. Das Gerät stand nun vor einem Tor, auf dem ein Text zu lesen war. Es waren nur Fragmente, nicht durchgehend zu lesen. Paul sah näher hin und sah, dass der Text in altem Englisch verfasst war, er begann laut zu übersetzen: „ Halte die Menschheit un...mehr kann ich nicht sehen... Ich senke die Kamera, ah! Da kommt mehr! … weise Tauglich... und dann: verbessern... Sprache... gemäßigter Ver..., kaum was zu erkennen! Aber da! Weltgericht bei... Ich sehe da unten was, knapp über dem Schlamm! Wahrheit – Schön... das war es auch, mehr ist nicht zu erkennen.“
Der Roboter hatte das Tor weit genug geöffnet und konnte seine Fahrt fortsetzen. Es zeigte sich eine spiegelnde Oberfläche. Wasser! Ohne zu zögern tauchte das Gerät ein und setzte die Erkundung fort. Bald zeigten sich Röhren, Kabelstränge und Abzweigungen weiterer Tunnelgänge. Unbeirrt setzte der Roboter seine Fahrt fort und tauchte in den Fluten unter. Scheinbar kannte das Gerät seinen Weg und leuchtete die Umgebung für die Kameras aus. Die Mikrofaserspule drehte sich weiter und hielt den Kontakt zu den Blimps. Schließlich erschien eine Tür mit der Aufschrift Control... der Erkundungs-Roboter hatte auch andere Möglichkeiten und nutzte sie, ohne zu zögern. Es gab eine kleine Detonation und danach viele Luftblasen und aufgewirbelten Schlamm. Meter weiter wurde die Sicht wieder klar. Monitore und Schaltpulte waren zu sehen, einige Embleme und Symbole, sogar Drehstühle und in einer Nahaufnahme einen Kugelschreiber und etwas wie einen Taschenrechner und viel Schlamm und dann eine weitere Tür, die verschlossen war. Offenbar hatte der Roboter keine weitere Möglichkeit, als mit plumper Gewalt gegen die Tür anzustürmen. Er tat das immer wieder und wieder, in einer Endlosschleife.
„Geht das nun so weiter?“, fragte Ricarda besorgt.
„Ich kann das nicht stoppen, wir können nur beobachten...“ Paul versuchte verzweifelt die Aktionen zu unterbrechen. „Noch etwa zwei Stunden halten die Akkus, dann ist Schluss!“
Die Akkus hielten drei Stunden. Die Verbindung zur Sonde brach endgültig ab.
Die Blimps standen über Cern.
Der wichtigste Auftrag war erfüllt. Das was mit Cern geschehen war, aufgeklärt. Das Ergebnis war enttäuschend. Die kleine Flotte stand in der Luft.
„Landen können wir nicht.“ Paul klang enttäuscht und erschöpft.
Marcel stimmte ihm zu. „Selbst hier ist die Radioaktivität hoch, freiwillig würde ich hier nicht bleiben. Europa scheint kein Ort zum Ausruhen zu sein. Kontakt mit dem Dorf haben wir auch nicht – einen Befehl zur Rückkehr auch nicht. Was machen wir nun?“
Ricarda meldete sich von der „Kiew“. „Lasst uns zuerst eine Gegend finden, in der wir landen können, wir brauchen Ruhe und sollten uns sortieren. Wir haben Zeit.“
Alaska schlug das Meer vor, hier waren die Werte bisher immer erträglich gewesen.
Marcel stimmte eine Melodie an: „Lasst uns auf die Reise gehen, neues Land zu suchen...“
Niemand verstand das Lied, doch die Sonne ging unter, der Vollmond beleuchtete die Landschaft.
Nach einigem Hin und Her starteten die Blimps in den Nachthimmel. Die Route führte direkt nach Süden. Gemeinsames Ziel: Das Mittelmeer. Nach einigen Stunden wollten sie Marseille überqueren und das Mittelmeer erreichen.

Marseille war ein Schock. Gegen fünf Uhr am Morgen überflogen sie das Gebiet. Die Strahlung am Boden war derart hoch, dass sie schleunigst das Gebiet in Richtung Osten verließen.
Nach drei Stunden Flug streiften sie den Norden von Korsika. Hier waren die Werte erträglich. Für eine Landung konnte sich das Team nicht entschließen, der Tag war zu jung, die Aussichten nicht klar genug. Gegen Mittag überflogen sie Napoli und die Grundwerte waren nicht schön. Also ging es über den Stiefel, so wie es Marcel nannte, weiter nach Osten.
„Wir brauchen eine kleine, unbedeutende Insel!“ rief Ricarda, „Wir brauchen die bald!“
Die Sonne ging unter und die Flotte reduzierte das Tempo.
Eine weitere Nacht in den Blimps und eine weitere Nacht schlecht gelaunter Kommentare.

Der nächste Morgen entschädigte mit wunderbaren Ausblicken. Das Meer war ruhig,die Werte akzeptabel. Weiter ging die Reise entlang der Albanischen Küste. Die Werte wurden besser und vielversprechend. Dann kam die Insel Korfu.
Mittlerweile war es wieder Mittag und Paul traf für sich eine Entscheidung. „Wir haben es, wir bleiben hier!“, rief er. „Die Werte sind gut! Wenig Radioaktivität! Auch das Wasser scheint klar zu sein. Unter uns liegt der Norden von Korfu, wir könnten hier landen!“
Nach einer kurzen Besprechung waren sich alle einig, im Norden der Insel Korfu sollte der erste Bodenkontakt der Mission stattfinden. Dicht am Meer suchten sie eine ruhige Bucht und warfen die Anker. Die Blimps sanken zu Boden, die Anker wurden gesichert, die Landeluken geöffnet. Schließlich standen die Rotoren still und es war allen klar, dass ein wichtiger Teil der Reise geschafft war.
 



 
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