blind, taub und stumm

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Renee Hawk

Mitglied
Blind kann ich nicht durch meine Straße laufen. Auch nicht taub oder stumm.
Blind nicht, weil ich meine Straße zu weinig kenne, taub nicht, weil es viel zu laut an dieser endlos scheinenden Hauptstrasse ist und stumm nicht, weil ich immer irgendwas zu sagen habe.
Gern würde ich blind durch meine Straße gehen können.
Gern würde ich jedes Haus an seiner Fassade erfühlen, jede Haustür an ihren quietschenden Scharnieren erhören und jedem Nachbar ein fröhliches „Hallo“ entgegen rufen wollen.
Gern würde ich sagen, dies und jenes hat sich im vergangenen Jahr verändert oder jener Nachbar ist ausgezogen und diese Familie eingezogen.
Das Lokal an der Ecke hat einen neuen Besitzer, gesehen habe ich ihn noch nicht, gehört von den Nachbarn auch nicht, doch ich konnte die neue Leuchtreklame über der Kneipentür erkennen.
Der Blumenladen an der gegenüberliegenden Ecke hat sich nicht verändert – noch immer die selbe Besitzerin, noch immer blühende Orchideen im Schaufenster und Gestecke auf einem Blumengestell vor der offenen Ladentür.
Auch im Nachbarhaus ist noch immer der Zahnarzt, der Rechtsanwalt und die Fahrschule. Ob sich da was geändert hat? Äußerlich nicht sichtbar für mich und doch sind auch dort Veränderungen im Laufe der Zeit geschehen.
Gern würde ich eines Tages blind, stumm und taub durch meine Straße ziehen.
Eines Tages werde ich meiner Stadt blind vertrauen.
 
Guten Morgen Renee,

Du hast da einige interessante Gedankengänge rübergebracht. Wer blind ist, der sieht mehr. Wer taub ist, der hört mehr. Wer stumm ist, kann mehr sagen. Wer sich auf seine Sinne nicht verlassen kann, der kann endlich Vertrauen empfinden.

Erinnert mich ein kleines bisschen an die berühmten drei Affen(nichts hören, nichts sagen, nichts sehen)und trotzdem - oder gerade deswegen, alles wissen.

Grüße
Marlene
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Marlene,

irgendwie kamen mir die drei Affen in den Kopf als ich das Thema der Schreibaufgabe las.
Es ist die Anonymität der Großstadt, die mich noch nicht vertrauen lässt.

liebe Grüße
Reneè
 
V

vicell

Gast
Hallo Reneè,

Ich denke,nein, ich weiß, irgendwann wirst Du durch die Straßen Deiner Stadt laufen, wo auch immer sie sich befindet, und ein vertrautes Gefühl der Geborgenheit wird sich einstellen.
Ich bin sicher.

Lieben Gruß,
Deine vicell
 

Renee Hawk

Mitglied
Hallo Vicell,

weißt du, ich habe eine cellospielende Freundin in diese Großstadt und ein Jazzsängerin kann ich auch meine Freundin nennen, dann wäre da noch mein Mann, der sich in so manchen Konzerten wundert, wie intelligent doch ein Musikmäzen sein kann - und diese Menschen sind meine Ohren, meine Augen und meine Sprache - dank ihnen kann ich blind, taub und stumm durch die Stadt gehen.

liebe Grüße
deine Reneè
 
V

vicell

Gast
na sowas!

Cellistin, Nachtclubsängerin, Musikmäzen...wen Du so alles kennst..*lach*

Aber im Ernst, ich fand Deine kleine Kurzgeschichte wirklich einfallsreich. Aber kann man eigentlich einer Stadt irgendwann wirklich blind vertrauen? Oder ist es das Vertrauen zu uns selber, die uns die Stadt geben soll?
Ich mag den Ton Deiner Geschichte sehr.
Sie hat etwas "Vertrautes"..
Freu mich schon auf morgen und wünsch Dir und Deiner Familie noch eine gute Nacht!!

lieben Gruß,
deine vicell
 



 
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