Blumen für die Polizei

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In einer Kleinstadt zeigten sie damals von Mai bis Oktober eine Gartenschau, ich wollte sie mir auch ansehen. Ich stehe also an einer Kasse an und löse eine Tageskarte. Dabei fallen mir die vielen Männer auf, die gerade den Zugang neben mir benutzen. Sie wirken lässig, einige verschlafen. Sie gehören zusammen, es ist eine Gruppe. Ich vermute schon, es handelt sich um einen Betriebsausflug. Da höre ich, sie sind von der Kriminalpolizei. Ich habe noch nie so viele von ihnen zusammen gesehen. In ihrem Schlepptau gehe ich dann hinein in den Park und sehe beinahe alles, was es zu sehen gibt, mit ihnen gleichzeitig. Oder genauer: Ich sehe die Objekte und zugleich Kriminalbeamte, die auch von ihnen Notiz nehmen. Da entsteht eine Verknüpfung in meinem Kopf, mit der ich nicht gerechnet habe. Das wird kein gewöhnlicher Gartenschaubesuch.

Gleich hinter dem Eingang bewundern meine Polizisten – so nenne ich sie schon – die ersten Rabatten, wo vanillegelbe Tulpen mit solchen von tiefem Blauschwarz abwechseln. Hübscher Kontrast. Gründlich, wie sie nun einmal sind, lesen die Polizisten alle Namenstafeln. Die dunklen Tulpen heißen „Queen of the Night“. Da hat ein ahnungsloser Züchter die Begriffe verwechselt. Eine schwarze Tulpe wird in dunkler Nacht alles andere als königlich wirken. Im Übrigen hat der Name bereits seine spezielle Bedeutung von leicht anzüglichem Charakter. Man hätte es dem Züchter sagen sollen: Als Königinnen der Nacht werden gewisse nächtlich-erotische Gestalten bezeichnet, deren Regiment samt ihren Reizen mit dem Erlöschen dezenter Beleuchtung und zunehmender Tageshelligkeit endet. Wenn die leeren Flaschen abgeräumt sind, wird das grelle Kunstlicht angedreht und eine (oder einer) kreischt: „So seht ihr also wirklich aus!“ Woraufhin sich alle schnell davonmachen und draußen, im Frühlicht eines viel versprechenden Sommertages, mit den bloßen Händen ihre vom Zigarettenrauch entzündeten Augen bedecken – schuldbewusst. Wissen die Kriminalbeamten das alles? Sie wissen es wohl.

Auf ihrem weiteren Rundgang entdecken die Beamten immer wieder Kollegen aus den übrigen Polizeisparten. Man gibt sich zu erkennen, nickt sich zu. Die bayrischen Polizisten lieben die Gartenschau, sie tragen zu ihrem Gelingen bei, wozu immer sie imstande sind. Die bayrische Bevölkerung ihrerseits liebt ihre Polizei und umlagert die vielen Einrichtungen, die diese im weitläufigen Park aufgebaut hat. Mannschaftswagen stehen auf den breiten Wegen herum, ein Boot der Wasserschutzpolizei liegt auf dem Trockenen. Ein junger Kollege in schwarz schimmerndem Taucheranzug – Modell „Königin der Nacht“? – steht neben dem von Schlinggewächsen überwucherten Teich und spielt verlegen mit Schnorchel und Taucherbrille in seinen Händen. Womit denn sonst. Die Polizei hat also auch eine Tauchergruppe? Aber gewiss, die bayrischen Wasserleichen wollen geborgen werden. Ob der junge Mann sich wirklich gleich ins Biotop stürzen wird, mitten in den Morast?

In der Ferne hört man zu allem entschlossenes Hundegebell. Das Publikum freut sich schon auf die Vorführung der Schäferhundestaffel. Nicht ausgeschlossen, dass man sich auch den Blutalkoholspiegel untersuchen lassen kann. Für den einen oder anderen Test kann freilich das Gesundheitsamt zuständig sein. Unter Umständen würde die Polizei dann Amtshilfe leisten. Freilich. Das ist eines der beliebtesten Wörter in Bayern, hat stark affirmativen Charakter, ebenso wie diese Blasmusik. Am Nachmittag spielt hier eine Polizeikapelle auf, Plakate weisen mich darauf hin. Marschmusik macht mich so sentimental, rührt mich oft zu Tränen. Will ich mir das heute zumuten?

Weiter geht es zu den Nutzgärten, zu Rainen und Spalieren, zu Wildkräutern, die früher Unkräuter geheißen haben, und zu Nützlingen. Diese fressen Schädlinge, die immer noch so heißen. Zu Zwecken der Demonstration ist ein Hochbeet angelegt worden, es sieht aus wie ein mit Gurken und Tomaten bepflanztes Hügelgrab. Mir scheint, ich habe inzwischen die Spur meiner Polizisten verloren. Dann gehe ich eben allein weiter.

Ein Salatkopf, dessen gekräuselte grüne Blätter ins Rötliche spielen, erregt das Interesse einer grauhaarigen Endfünfzigerin. Was für ein Farbenspiel, Mensch und Natur wirken hier zusammen. Sie fragt den jungen Gärtner nach dem Namen des appetitlichen Gemüses. – „Lollo rossa.“ Er schaut kaum auf und arbeitet im Beet daneben weiter. Sie hat es nicht verstanden und fragt noch einmal. – „Lollo rossa – `s steht eh draaf.“ Unmutig weist er nach dem Täfelchen, dessen Schrift sie mit ihrer Fernbrille vielleicht nicht lesen kann. Sie gibt sich zufrieden – man weiß nicht, ob sie es wirklich ist – und geht weiter.

Nun verwandelt sich die Szene rasch. Zwei junge Damen treten auf, beide sind gewiss noch keine zwanzig. Es sind grazile Wesen in sehr engen röhrenförmigen Shorts von knallig gelbgrüner Farbe. Sie stellen keine Fragen, sie zeigen sich nur selbst, indem sie ein wenig zwischen den Gemüsebeeten auf- und abgehen. Und der Gärtner hat sie kaum bemerkt, da unterbricht er seine Arbeit und erhebt sich aus der Hocke. Er begrüßt sie freundlich und zeigt ihnen als Erstes den Lollo rossa. Ja, das sei doch ein Prachtexemplar, der gefalle jedem, nicht wahr? Die beiden sind nicht sehr beeindruckt. Darum legt er um eine jede von ihnen einen seiner erdfarbenen Arme, sie lassen den Lollo rossa und gehen Eis essen.
 
Sehr schön geschrieben, aber ich gebe zu, der Sinn des Ganzen erschließt sich mir nicht. Kannst du einen kleinen Tipp geben, worum es hier eigentlich geht?
 
Michael, einen Sinn dahinter solltest du nicht suchen. Es sind einfach Impressionen von einer Gartenschau, ein wenig gegen den Strich gebürstet durch 1. Übergewicht der Polizeipräsenz und 2. das kontrastreiche Verhalten eines jungen Gärtners im Umgang mit der Weiblichkeit.

Der Text ist schon etwas älter, wurde nur stilistisch aufpoliert. Es handelt sich um die Landesgartenschau in Straubing 1989.

Freundlichen Gruß
Arno Abendschön
 



 
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