Blut & Boden

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James Blond

Mitglied
"Wir müssen noch etwas mehr von dieser Erde mitnehmen!" Boris deutet auf die braungelben Fladen in der Grube. Mit wuchtigen Hammerschlägen treibe ich das Metallrohr in die Erde und ziehe eine nahezu homogene Säule feuchten, schweren Lehms aus der Grube. Im Kombi stapeln sich bereits einige Kisten mit Dutzenden verschiedener Erdproben, die Boris für sein Projekt benötigt.
Wir fahren weiter zum Schlachthof, dort gibt es günstig Innereien und Boris kauft eine 20-Kilo-Box mit schlachtwarmen Rinderherzen.

Zuhause werden die Zutaten in Scheiben geschnitten und abwechselnd in eine Sandkiste geschichtet, die wir auf dem Treppenabsatz vor unserer Wohnungstür platzieren. Nur gut, dass wir in der obersten Etage wohnen und außer der alten Schröder kaum andere Mieter daran Anstoß nehmen können. Für den Nachmittag hat sich Matti Paikkönen angesagt. Der im lettischen Exil lebende finnische Schriftsteller wird eine Erklärung zur Situation der indigenen Bewohner des nördlichen Polarkreises verlesen, ein nicht unwesentlicher Teil in Boris' Performance, zu der ich noch ein Mikrofon nebst Boxen und langen Kabeln beisteure.

Der freundliche Herr Paikkönen erscheint dann auch pünktlich, begibt sich auf dem Treppenabsatz leicht irritiert ans Mikrofon neben der mit Erdfleisch gefüllten Kiste und beginnt sogleich mit der feierlichen Verlesung seines Manuskripts. Die in Finnisch gehaltene Rede tönt aus den aufgestellten Boxen. Boris unterbricht ihn und fragt mich, ob die Aufnahme schon liefe.

Oh, die Aufnahme!

Ich eile zurück in die Wohnung und suche nach einer leeren Kassette, was einige Zeit in Anspruch nimmt. Als ich endlich mein okay gebe, bleibt bis auf einen dumpfen Schlag alles still.
Ich blicke zur Tür hinaus auf den Hausflur und sehe Boris mit Herrn Paikkönen über die alte Schröder gebeugt, die vor ihrer Wohnungstür in einer großen Wasserpfütze reglos am Boden liegt. Sie hatte, wie Boris erklärt, von den ungewohnten Geräuschen angelockt, einen Putzeimer voll Wasser ins Treppenhaus entleert, was vermutlich im Kontakt mit meiner Audioinstallation einen letalen Elektroschock auslöste.

„Mist,“ denke ich, „wahrscheinlich werden sie mich wegen Fahrlässigkeit drankriegen.“
 
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G

Gelöschtes Mitglied 23262

Gast
Hallo James Blond, das ist schön, dass ich dir auch mal schreiben kann. Wollen wir`s mal wagen?
Sehr schräge, schöne Geschichte. Witzige Idee. Hab ich gerne gelesen. "Erdfleisch" ist ein herrliches Wort. Erinnert mit an Beuys` Fettfleck.
Aber sag mal, woher weiß Boris, das die alte Schröder von "ungewohnten Geräuschen angelockt" wude? Und weshalb leert sie einen Putzeiner im Treppenhaus aus, sobald/wenn sie Ungewohntes hört? Hab ich nicht verstanden.:rolleyes:
Viele Grüße. Ich geh jetzt putzen ;)
Judith
 

James Blond

Mitglied
Hallo liebe PUCKPUCK, es ist schön, auch hier in der Prosa, in der ich mich nur selten herumtreibe, eine freundliche Antwort zur erhalten.

Ja, eine schräge Geschichte ist das sicher. Und der Bezug zu Beuys' Fettfleck ist nicht von der Hand zu weisen. Oder auch zu seiner Babywanne, deren schmutziger Inhalt einst von wohlmeinenden Parteiputzkräften entsorgt wurde, um sie dadurch dem Gläserabwasch zugänglich zu machen.

Ganz so rabiat brauchen wir uns die alte Schröder wohl nicht vorzustellen, doch hilft Logik zur Ergründung ihrer Motive hier nicht weiter. Selbst Boris scheint hier nur in gewohnter Manier Beobachtetes und Vermutetes zu kombinieren.

Nein, mit Erklärungen kommen wir in dieser Sache nicht weiter. Akzeptieren wir, dass Dinge passieren, die keiner Erklärung bedürfen, eben weil sie passieren, dann sind wir – zumindest hier – einen entscheidenden Schritt weiter.

Gern geantwortet.
JB

P.S. Vorsicht beim Putzen ;)
 
Hallo James Blond,

was für eine abgefahrene Story. Ein Teil aus etwas Größerem?

Zur besseren Lesbarkeit würde ich bei wörtlicher Rede, Personen- und Zeitwechsel eine neue Zeile oder Absätze einfügen.
Beispiele:

"Wir müssen noch etwas mehr von dieser Erde mitnehmen!"

Boris deutet auf die braungelben Fladen in der Grube. Mit wuchtigen Hammerschlägen
"Wir müssen noch etwas mehr von dieser Erde mitnehmen!" Boris deutet auf die braungelben Fladen in der Grube.
Mit wuchtigen Hammerschlägen

für sein Projekt benötigt. Wir fahren weiter zum Schlachthof,
für sein Projekt benötigt.
Wir fahren weiter zum Schlachthof,

Der freundliche Herr Paikkönen erscheint dann auch pünktlich, begibt sich auf dem Treppenabsatz leicht irritiert ans Mikrofon neben der mit Erdfleisch gefüllten Kiste und beginnt sogleich mit der feierlichen Verlesung seines Manuskripts. Die in Finnisch gehaltene Rede tönt aus den aufgestellten Boxen.
Und die Performance findet tatsächlich im Treppenhaus statt? :)

Keine Ahnung, worum es hier überhaupt geht. Aber macht nichts. Habe mich amüsiert und hätte gerne noch mehr davon gehabt.

Schönen Tag und
LG, Franklyn
 

James Blond

Mitglied
Hallo Franklyn,

es freut mich, dass der kurze Text bei dir auf Resonanz gestoßen ist. Danke für die Absatzhinweise, die ich (hoffentlich richtig) übernommen habe. Bisher ist sind es nur Splitter, in kurzen Texten zusammengetragen. Ich hoffe, da kommt noch was.

Liebe Grüße
JB
 
Hallo JB,

danke für deine Rückmeldung.
Splitter hört sich gut an. Auf jeden Fall finde ich den Text auch sehr inspirierend. Nach dem Motto einfach mal was Verrücktes wagen.

LG, Franklyn
 



 
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