Bordbistro

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OfN

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Der Zug rast durch einen endlosen Tunnel namens Nacht. Die Stimme aus der Lautsprecheranlage ruft zu Abendbrot und Feierabendbier ins Bordbistro – Sich etwas gönnen nach einem anstrengenden Arbeitstag. Ich bin noch trunken vom Schlaf, aber ich will ein Bier, sei's drum der raue Hals, ich möchte eine Belohnung und mehr als die Lethargie nach einem anstrengenden Arbeitstag/während einer langweiligen Zugreise/vor einem ermüdenden Heimweg/zum Ende/ Anfang der Woche. Lustlos-müde, so vertraut und gewöhnlich. Im Hinterstübchen ruft einer „Revolution“, doch auf der Bühne spielt der Alltag sein Theater und ich fortwährend die Hauptrolle. Die Regie diktiert to-do-Listen und preist die Routine. Alles scheint zu ermatten, nur dieser Alltag nicht. Externalisierung von Verantwortung oder ein Ausdruck für das entfremdete Leben: Ich weiß, dass ich selbst dran Schuld bin und es doch nicht in der Hand habe. Aber wem klagen, der nicht selbst Kläger ist? Ein Bier wäre schön.
Also die erschlaffte Fleischigkeit meiner selbst aus einem Sitz in den nächsten hieven, um einen Matsch gegen den anderen zu tauschen. Ich werde erheitert und von der dumpfen Erheiterung trübselig sein, wenn das prickelnde Gold die Kehle flutet, aber der wohlige Schauer, der die Vorstellung begleitet, erstickt jeden Widerspruch. Eine Heiterkeit ohne Anlass, die eine Belohnung simuliert, meine Fäulnis von Existenz als Bodensatz und Flucht als Bewegung, keine Aussicht auf, aber leck mich halt Zufriedenheit! Nein, das ist keine Revolte. Ich möchte mich nur einem kleinen Konsumglück hingeben, denn dazu fühle ich mich fähig. Das Buch auf meinem Sitztischchen lässt mich noch die Fäulnis meiner Existenz konsumieren und sie beredt werden zu lassen ist Therapie, aber natürlich ist diese Therapie kein Entrinnen, deshalb ist mir jeder Konsum schnell genauso fad wie der Alltag, der ihn beherbergt. Es gibt kein Außen, es gibt nur noch Reste von Phantasie und Freizeit. In einer freien Minute schreibe ich diesen Moment nieder und mache ihn konsumierbar. Aber ich hätte gern einmal nicht nur nichts, sondern etwas Gutes zu tun. Etwas wirklich Gutes.
Die Dunkelheit hastet hinter dem Fenster vorbei, immerzu nirgendwohin. Nur schwer zu erblicken, denn im Fenster spiegelt sich aufdringlich der erleuchtete Innenraum, in dem ich mich selbst sehe. Das Bier schmeckt und verströmt eine angenehme Kälte im Körper. Meine Schultern hängen schlaff, das sei mir gestattet. Letztlich muss ich für dieses Leben dankbar sein. Ich könnte auch in einem Brachland verdursten oder in einem Schützengraben zerfetzt werden. Aber ich darf diese Fäulnis leben, unter deren Diktat die ganze Welt verrottet. Auf dich!
 



 
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