Brief an Anika, 29.05.22

GerRey

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Mit der Situation gehe ich, wie im letzten Brief schon beschrieben, immer noch entspannt um. Ich habe nichts gegen die liebe V. - die liebe V. hat etwas gegen mich. Schade finde ich es, dass ich sie nicht mehr sehen kann. Jetzt, wo die Röcke wieder kürzer werden, und sie ihre Kunst, die Hüften aufregend zu wiegen, voll zur Geltung bringt … Manchmal denke ich, sie hat das mit Absicht vor meinen Augen gemacht - es war schon sehr aufreizend und provokant. Aber ich habe es geliebt, wie ich sie geliebt habe! Vielleicht habe ich zu oft an ihre Hüften gedacht? Bald darauf begann sie nämlich, mich allmählich zu grüßen (ich glaube, Dir davon berichtet zu haben) … Obwohl ich anfänglich durchaus einen Eindruck von ihrer Bissigkeit gewinnen durfte und "Hände weg!" sagte. Aber sie hat mich dann doch gekonnt mit ihrem Hüftschwung eingewickelt, und ich bin ihr gerne auf den Leim gegangen - also warum sollte ich ihr böse sein? “Meine Vorstellung” in Bezug auf sie war unrealistisch. Irgendwas hat zwischen mir und ihr gespielt - ohne sagen zu können, was es war. Jedenfalls glaubte ich, nachdem sie plötzlich nur mich grüßte und die Kollegen weiterhin verschmähte, dass sie einen sehr besonderen weiblichen Charakter hätte, den ich gerne näher betrachten wollte. Natürlich ist ihr Anblick als junge Frau ebenfalls bildschön für mich - aber da gab es auch andere, die mich in dieser Hinsicht weit mehr interessiert hätten.

Mein Typ sind eigentlich mehr Frauen, die schon einmal heruntergefallen sind von ihrem hohen Ross manipulativer Jugend. Die letzten Tage des Sommers in den Herbst hinein, will ich es umschreiben. Diesen möchte ich den Tröster spielen. Charmant und rücksichtsvoll - aber mit einem unbändigen Willen und Zug aufs Tor (damit die Fußballersprache nicht zu kurz kommt). Was soll ich mit einem solchen Mädchen, das mich gar nicht verstehen kann? Dem ich mich weder erklären kann noch will. Trotzdem habe ich überlegt, ihren Namen in den Buchstaben ihrer Sprache auf mein Handgelenk tätowieren zu lassen. Sie war schließlich ein Wendepunkt in meinem Leben, wenn auch ein negativer.

Natürlich gehe ich jetzt mit meinem Geld bewusster um. Ich esse nicht mehr 7 Tage in der Woche Essen aus dem Restaurant. Auch vom Whisky wechselte ich auf Weinbrand, nachdem ich meinen Vorrat ausgetrunken hatte. So kann ich eine Weile sparen - und ich hoffe, dass es bis zum endgültigen Ruhestand reicht!

Sich die Eier zu schaukeln ist ein schönes Bild; es hat mich sogleich inspiriert.

Nachtregen.

Die kühle Nachtluft, die in Zügen zum offenen Fenster herein flutete und über seinen nackten, im Bett aufgedeckten Körper strich, erfrischte ihn, während er auf dem Rücken lag und im Licht einer kleinen Lampe las.

Sie schrieb, dass ihr Kollege, der in dem Planungsbüro gekündigt hatte, sich wohl wirklich nur die Eier geschaukelt habe, und sie ihre Beschwerde, die sie gegen ihn vorgebracht hatte, nicht bereue - habe sie doch nun die doppelte Arbeit, um die von ihm zur Seite geschoben Akten aufzuarbeiten, "wobei manches nicht mehr aufgearbeitet werden kann, da es nicht mehr nachzuvollziehen ist". Er freute sich über den saloppen Ton ihrer Worte, der da zwischendurch aufblitzte.

Das leise Rauschen von beginnendem Regen strömte zum Fenster herein, darin ein helles Knacken, das von dem Fensterbrett außen kam, auf das die Regentropfen erst vereinzelt fielen. Noch gab es keine Wasserrinnen auf dem Fensterglas, noch kein Wüten und Prasseln herabstürzender Fluten - langsam pirschte sich das schlechte Wetter in dunklen Wolken heran, die als Schatten über den Nachthimmel glitten und sich noch nicht verdichtet hatten. Er fragte sich, ob er das Fenster schließen sollte, doch zu angenehm war die kühle Luft auf der nackten Haut. Schließlich kratzte er sich am Gemächt und nahm den Fluss ihrer Worte in dem Brief erneut auf.

Wer sich mit solchen Dingen beschäftigt, die man heute "Alltagskultur" zählt, versteht, dass sie Teil der Historie und genauso wichtig sind wie Hitlers Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion. Wie erlebte man beispielsweise das “Unternehmen Barbarossa” irgendwo im deutschen Hinterland. Das muss doch ziemlich spannend gewesen sein - vor allem für jene, die an die Nazis glaubten. Und was war bei denen, die bereits in den ersten Tagen Angehörige verloren? Und welche Auswirkungen hatte das auf die Gesellschaft? All dies lässt sich aus Briefen, Postkarten und Fotos aus dieser Zeit herauslesen.

Unter solcher Betrachtung sind die Briefe des schwarzen Besatzungssoldaten aus Amerika sicher interessant, weil er wahrscheinlich auf die Äußerungen der jungen Oberösterreicherin, der er schrieb und die noch ganz unter dem Eindruck der Zeit stehen müsste, reagiert hat. Und das konnten die Mädchen im Theater, die mir die Briefe aus dem Englischen übersetzten, nicht erkennen, weil ihre Phantasie im Spannungsfeld romantischer Vorstellungen nach einer Liebesgeschichte suchte, die vielleicht nur sehr leise zwischen den Zeilen und verteilt auf mehrere Briefe auffindbar war.

Ich hatte damals nicht so viel Zeit, weil ich damit beschäftigt war, meinen Zweitwohnsitz in Tschechien aufzubauen. Eine geräumige Wohnung musste gekauft und saniert werden. Hanna brauchte eine vernünftige Arbeit, Peter einen Schulplatz. Da waren mir die Briefe nicht so wichtig. Ich freute mich, dass die Mädchen im Theater Spaß daran fanden, sich mit den Briefen zu beschäftigen, die ich am Flohmarkt ausgegraben hatte. Wo sie hinterher hinkamen, weiß ich nicht. In Tschechien hatte ich meine Werkstatt im Keller, wo ich Collagen usw. machte. Der Raum war über 20 Quadratmeter groß. Dort bewahrte ich viele Dinge auf. Nach der Trennung wollte ich nichts mehr davon wissen. Ich hätte ein Auto mieten müssen, um die Sachen nach Wien zu schaffen. Und Hanna hatte schon ein paar Wochen nach der Trennung alle meine Sachen rigoros weggeworfen, als wollte sie meine Existenz aus ihrem Bewusstsein tilgen. Auch Peter hatte oft unter ihrem Fimmel, sich von unbrauchbaren Sachen zu trennen (unbrauchbar - allein nach ihrem Sinne) gelitten.

Ich hoffe, dass ich die Briefe des Amerikaners an die Oberösterreicherin irgendwo auf dem Dachboden oder in der Hütte im Garten in Wien habe - aber da bräuchte es wiederum jemand wie Hanna, um sich einen Durchblick zu verschaffen. Diese beiden Bereiche sind vollgestopft mit Büchern, Zeitungsausschnitten und allerhand Krimskrams. Hoffentlich auch mit den drei roten Ordnern, die die Briefe des Besatzungssoldaten beinhalten!

Aber was sagen uns jetzt die zwei Briefe, die Du dankenswerterweise transkribiert hast?

Du findest es merkwürdig, dass beide Briefe, die in einem Brief aus Steyr, der an Fräulein Irene Holub, Wien VIII, Schönborngasse adressiert war, steckten, der Brief der Mutter an Irene ging, der des Vaters aber an Ilse? Vielleicht war Ilse eine Schwester von Irene? Man war im Jahr 1932 in einer Weltwirtschaftskrise (die beiden Briefe stammen vom 10. Juni 1932). Vielleicht wollten die Eltern einfach nur sparen?

Am 10. Mai 1932 hatte Engelbert Dollfuß, der der Christlichsozialen Partei angehörte, den Auftrag einer Regierungsbildung in Österreich erhalten, und bildete am 20. Mai eine Koalition mit der Bauernpartei “Landbund” und mit dem politischen Arm der bürgerlichen Heimwehren “Heimatblock”. Diese Regierung war vom 20. Mai 1932 bis zum 21. September 1933 im Amt und ging in die Geschichte unter der Bezeichnung “Dollfuss I” ein. Aber bereits am 4. März 1933 kam es zu einem Staatsstreich. Engelbert Dollfuß regierte dann per Notverordnung als Diktator und begründete den austrofaschistischen Ständestaat, der dem italienischen Faschismus nahe stand und die Nationalsozialisten ablehnte. Am 12. Februar 1934 kam es in Österreich zum Bürgerkrieg. Die diktatorische Regierung "Dollfuß II" verbat den Republikanischen Schutzbund der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei; bei den Konfrontationen kam es zu mehreren Hundert Toten. Teile der Arbeiterschaft hatten sich in den großen Wiener Gemeindebauten verschanzt. Man sprich auch von den Februarkämpfen 1934, da diese vom 12. - 15. Februar dauerten. Im “Juliputsch” wurde Dollfuß 1934 im Bundeskanzleramt von österreichischen Nazis ermordet. Das ist der historische Hintergrund, an dessen Beginn wir datumsmäßig sind.

Nach dem ersten Lesen musste ich über beide Briefe erst einmal nachdenken. Die Mutter schreibt an Irene: “Ich freue mich mit Dir, dass Du mit Deiner Dame doch nach Velden u. auch nach Prag fahren kannst.” Mit Deiner Dame - das ist doch eine sehr merkwürdige Bezeichnung in einem Mutter-Tochter-Brief; ins Bild passt sie erst, wenn die Tochter Irene bei einer “Dame” in Diensten war, oder? Dazu passte auch: “Die Kinder” - gemeint sind wahrscheinlich die Kinder der Dame - “müssen sehr viel Kleider haben, wenn Du schon 20 geändert hast. Da hast Du ziemlich viel zu nähen.- Frau Bürstenfabrikantin Meyer hat sich sehr lieb nach dir erkundigt (...) Bitte schreibe ihr doch einmal einige Zeilen.”

Spannend wird es aber erst bei dem Satz: “Wegen Hansl kann ich auch noch nichts Bestimmtes schreiben, es ist alles noch in der Schwebe.”

Worum es dabei geht, erfahren wir nicht. Sie will später davon berichten. Ich hoffe, dass der Brief, der diesbezüglich Aufklärung gibt, in dem Bündel dabei sein wird, das ich noch von Irene habe! Bedenken wir den historischen Rahmen - wer weiß, worin Hansl verwickelt war? Es gibt also noch einiges zu tun, liebe Anika!

Der 10.06.1932 war ein Freitag. Der Brief des Vaters wurde auf dem selben Papier geschrieben wie der Brief der Mutter; der Vater gibt die Zeit mit 15 Uhr an.

Im Brief des Vaters an die “Liebste Ilse”, kommt der Hans (sicher identisch mit “Hansl” aus dem Brief der Mutter) noch einmal vor, der gegen die Tante (welche Tante, hier wimmelt es nur so von Tanten - “Tante Mitzl”, ebenfalls aus dem Brief der Mutter?) nichts weiter äußerte als eine Unterredung mit einem gewissen Pramer. Das wollte der Vater nach Linz schreiben (an die “Liebste Ilse”, wie er zärtlich schreibt, die ihren Brief vom Vater über die Irene in Wien bekommt - oder auch nicht, weil dies nicht gesichert ist). Am Ende des Briefes schreibt er: “Wünsche aufrichtig, dass Dir die Chemie endlich gnädig sein möge. Stärke Dich nur nach Bedürfnis.” Zuerst dachte ich, Ilse studiert vielleicht in Wien Chemie? Weil die “Chemie” (in der Form von Tabletten beispielsweise) bekäme sie ja auch in Steyr oder Linz.

Aber die Protagonistin in dem Brief scheint Lieselotte zu sein. Lieselotte ist in einem Alter, in dem der “Kleinen” der Regen “aber nur Spaß machte”. Mittwochabend hat Liselotte mit Tante Agnes die Großmama von der Bahn abgeholt - soweit ich das verstehe, denn der Satz ist ziemlich verworren, da sich darin noch andere Personen einfinden, ein Spaziergang, eine Zeitangabe (18 Uhr), sodass sich alles vermischt und man nicht sagen kann, wo, was, wann ablief. “Tante Louise hat vorher für Lieselotte bei sich das Grießkoch, das ich sonst hätte daheim kochen müssen, hergestellt.” Wer ist die Großmama? Ist das die Mutter (Vaters Frau, die den Brief an Irene schrieb)? Warum hätte er dann das Grießkoch für Liselotte machen müssen? Das kann ja nur bedeuten, dass die Mutter am Mittwochabend nicht zu Hause war und die Großmutter, die vom Bahnhof abgeholt wurde, jemand ganz anderer gewesen ist. Und dann auch noch der Satz am Anfang: “Mit Liselotte, schön langsam, kann ich schon gehen.” War er krank? Oder waren es die ersten Schritte von Liselotte?

Ich würde sagen, dass die “Kleine” im Vorschulalter war. Vielleicht war sie die Tochter von Ilse, die möglicherweise schwer krank in Wien im Spital liegt (weshalb auch der Brief für Ilse dem Brief an Irene beigefügt ist).

Wenn Liselotte 1932 vier Jahre alt war, wäre sie heute 94. Sie lebt vielleicht noch irgendwo, während wir hier den Donnerstagvormittag des 09.06.1932 aus dem Brief ihres Großvaters auferstehen lassen:

“Gestern vorm. hat mich u. Liselotte der Regen auf der Promenade erwischt, was der Kleinen aber nur Spaß machte, besonders nass wurden wir ja bei dem kurzen Heimweg nicht.”

Ob sie sich Zeit Lebens manchmal daran erinnerte? Vielleicht tut sie es auch heute noch? Wir wünschen es ihr von hier aus!

Am Feiertag machte ich nachmittags eine große Runde. Ich ging die Weingartenallee hinaus - bis ans Ende, dann durch die Unterführung der ÖBB und die Schotterwege entlang bis Gerasdorf - wo ich mich dann auf den Rückweg machte. Aber ich ging nicht direkt nach Hause, sondern nahm den Weg über die Straße zum Campingplatz (im Romanentwurf “Mot der Rocker” ist in dieser Gegend das Ufercafe angesiedelt).

Nach diesem Marsch von 12 km kam ich Zuhause an, und mein Shirt war so nass wie vor ein paar Tagen, als ich in den Regen gekommen war - nur dass es nicht Regenwasser, sondern Schweiß war. Das erinnerte mich an meine Zeit in der “Pioniertruppenschule Klosterneuburg”. Wahlspruch unseres Zuges: “Pioniere wie immer - wenn es regnet bleiben wir im Zimmer”, Kahlenberg auf, Kahlenberg ab, Orientierungsmarsch - in Gruppen durchforsten wir die Heurigengegend, und bei vielen Heurigen werden wir auf Wein eingeladen; am Funkgerät kommt immer deutlicher das Lallen unter Alkoholeinfluss zum Ausdruck - nach der Rückkehr zum Sammelpunkt Abmarsch in die Kaserne - “Kaiserschützenlied!”- “Es lebt der Schütze froh und frei … lall, lall, lall” - “Lied aus! - Fliegeralarm 12 Uhr!” - und einzige Deckung war ein etwa anderthalb Meter tiefer Graben, voll besetzt mit Brennnesseln.

Es lebt der Schütze froh und frei, ja froh und frei, ja froh und frei.
Mit ihm die ganze Jagerei, die ganze Jagerei!
Und kommt der Feind ins Land Herein, und solls der Teufel selber sein.
Es ruhen unsre Stutzen nicht, bis dass das Auge bricht.
Trallala Trallala Tra-lla-lalla........bis dass das Auge bricht.

Den Song gibt’s professionell gesungen und mit Marschmusik zu hören auf:

gebirgskrieg.heimat.eu/5148.htm

Wie es das Lied von den Tiroler Kaiserschützen bis an den Eingang nach Wien schaffte, weiß ich nicht. Jedenfalls mussten wir es so oft singen, dass es mir auch noch 40 Jahre danach gegenwärtig ist - denke aber, dass wir nicht von “unseren Stutzen” sangen, sondern von unseren Gewehren. Und in den Brennnesseln landeten wir oft genug. Meist marschierten wir am Samstagvormittag, an dem Exerzieren angesagt war, eine Runde durch Weidling. Die Leute, die um diese Zeit auf der Straße unterwegs waren, begafften uns, als wir im vollsten Brustton der Überzeugung und auf Veranlassung des Kommandierenden - meist ein blöder Leutnant, den ich auf einer Feldübung die Mündung meines STG 58 in den Nacken drückte, nachdem ich ihn in Liegestützstellung gebracht hatte, weil er die Feld-Parole nicht kannte, und ihm sein Zeug aus den Taschen im umliegenden Gras verteilte, mit anschließender Belobigung durch den Hauptmann - das Kaiserschützenlied anstimmen mussten. Vor den Mädchen, mit denen wir am Vorabend in der Disco geknutscht hatten, schämten wir uns natürlich … Es war schrecklich, wie oft zu dieser Zeit Klosterneuburg von feindlichen Fliegern angegriffen wurde! Es hätte mich nicht gewundert, wenn man mir gesagt hätte, dass an allen Deckungsmöglichkeiten um die Kaserne herum, extra Brennnessel gepflanzt worden wären.

Die 12 Kilometer hatten mir echt gut getan. Am nächsten Tag, als ich in der Einfahrt an meinem Tischchen saß und ein wenig schrieb, schlug dann auch gleich der Leichtsinn durch. Ich erinnerte mich an den Gang am Weihnachtsabend 2019 auf den Bisamberg. Davor hatte ich am Marchfeldkanal trainiert, war von daheim nach Deutsch Wagram, den Marchfeldkanal entlang nach Gerasdorf und wieder heim. Voriges Jahr im Herbst hatte ich ja, wie Du Dich sicher erinnern kannst, die “Drei-Schlösser-Tour” gespritzt, weil es viel zu warm für die Jahreszeit war, und ich nicht mit logistischen Problemen kämpfen wollte. Von Marchegg - nach Schloss Hof - nach Schloss Niederweiden - nach Schloss Eckartsau - und wieder zurück nach Marchegg sind es 43 km. Da es an diesem Tag in der Einfahrt ziemlich windig war, beschloss ich, am Nachmittag meine Trainingsstrecke - mit Ausblick auf die “Drei-Schlösser-Tour” - zu reaktivieren und sie auf 18 Kilometer auszudehnen.

Das ging ich dann um 13 Uhr an. In kurzer Hose, Shirt, Stirnband, Sonnenbrille und Trekkingschuhen lief ich mit den Walkingstöcken los über die Felder Richtung Deutsch Wagram. Auf einer Trainingsstrecke testet man nicht nur, wie schnell man von A nach B kommt. Ich ging um 13 Uhr los und wollte am 17 Uhr zu Hause sein, da um diese Zeit meine Sportwetten endeten. Natürlich hatte ich ordentlich Sonnenschutz aufgetragen. Aber ich hatte sonst keinerlei Ausrüstung (kein Wasser, kein Geld, keinen Franzbranntwein), und, obwohl es windig war - was erfrischte -, ging ich doch fast ausschließlich die ganze Strecke an der Sonne. Bauschige, hochaufragende Wolkenformationen zogen gemächlich über den blauen Himmel - aber selten wagte sich eine zwischen mich und die Sonne. Anfangs war mir das nicht einmal so unrecht, denn kam man vom Schatten in die Sonne, war das Gefühl im ersten Moment sogar noch schlimmer als wenn man gleich an der Sonne geblieben wäre.

Zwei Drittel der Strecke verliefen gut; dann wurden meine Lippen spröde; der Mund trocknete aus, die Zunge blieb am Gaumen kleben. Es gibt einen Indianertrick, um sich in solchen Situationen Speichel in den Mund zu holen: Man steckt sich ein, zwei kleine Kieselsteine in den Mund. Dafür war ich dann aber doch zu wenig Indianer, wenn ich daran dachte, von wem aller die Kieselsteine bepinkelt worden sein könnten; dafür hatte ich mir Bonbons eingesteckt - dummerweise nicht in die Hose, die ich zum Walken angezogen hatte!

Und ab hier begann dann der eigentliche Test. Das letzte Drittel der Strecke verlief in der Nähe meines Zuhauses. Bei einem vorzeitigen Abbruch wäre ich in zwanzig Minuten bis einer halben Stunde daheim gewesen. Aber es lagen noch mehr als eine Stunde Gehzeit in der ursprünglichen Teststrecke vor mir, wie ich mir anhand von Wegmarken leicht ausrechnen konnte. Innerlich haderte ich mit mir. Zwischendurch spürte ich ein Zwicken in den Waden, das einen Krampf ankündigte. Schnell massierte ich die Stelle mit dem Griff eines meiner Stöcke. Aber den Halbkreis über den Campingplatzweg wollte ich trotzdem noch machen! Die Trekkingschuhe an meinen Füßen wurden schwerer und schwerer; überall gab es plötzlich Lokalitäten, an denen man Erfrischungsgetränke anbot … Als ich nur mehr eine halbe Stunde auf der Trainingsstrecke bis nach Hause hatte, erinnerte ich mich plötzlich an die Flasche Cola, die ich im Kühlschrank hatte. Ich stellte mir vor, wie ich sie herausnahm; die Flasche lief in Folge der Temperaturveränderung an; während ich sie aufschraubte, liefen Tropfen an ihr herab … Ich sah das wie in einem Film vor mir ablaufen. Eine halbe Stunde noch! Und es war ja auch schon egal; Abkürzung gab es keine mehr.

Auf weichen Gelenken schleppte ich mich bis zum Ortsrand. Hier begannen wieder asphaltierte Wege und Straßen. In der Nähe meines Hauses sagte ich mir, dass ich mich nicht gehen lassen und die Stöcke mühselig hinter mir nach schleifen sollte; man hat mich kräftig von zu Hause ausschreiten gesehen - so wollte ich auch heimkommen! Nach drei Stunden und 50 Minuten stand ich dann - ohne die ganze Strecke über auch nur eine kleine Pause gemacht zu haben - am Kühlschrank und zog die Colaflasche heraus. Ein tiefer Schluck, mehrere kleinere Schlucke, bis die spröden Lippen weg waren. Dann zog ich mich aus, duschte und rieb meine Beine mit Franzbranntwein ab.

“Pioniere wie immer - wenn es regnet bleiben wir im Zimmer!”

Nun will ich die “Drei-Schlösser-Tour” doch nicht gehen. Die Trainingsstrecke hat zwar bewiesen, dass ich mich auch in schwierigen Situationen noch motivieren kann … aber das sind 43 Kilometer - etwas mehr als um die Hälfte mehr! Ich muss zusätzlich noch nach Marchegg anreisen, dann wieder abreisen. Jeweils eine Stunde Pause wollte ich bei den Schlössern verbringen - Wegzeit zwischen Marchegg und den Schlössern ungefähr 13 Stunden!

Naja, bis in den Herbst ist ja noch eine Weile Zeit (und der Teufel reitet nicht nur schöne Frauen). Ich werde mir einmal die Bedingungen auf der Strecke ansehen …

Es freut mich, dass es Dir einen freudigen Überraschungs-Lacher abrang, als Du Deinen Namen im Text “Flohmarkt” fandst! Nicht oft erhalte ich ein so positives Feedback auf meine Texte. Was die schöne V. mit meinen Briefen, die ich ihr schrieb, machte, und wer da aller noch seine Nase hineinsteckte, möchte ich gar nicht weiter erläutert wissen.

Momentan schreibe ich sehr viel (nicht nur Briefe). In die Stadt zu fahren, nervt mich. Wenn ich bestimmte Bedürfnisse abdecken muss, schaue ich, dass ich so schnell wie möglich wieder heimkomme. Auf Tinder habe ich 12 Frauen, mit denen ich teilweise in Korrespondenz stehe. Schöne und auch gebildete und erfolgreiche Frauen - aber die sind so langweilig! Festgefahren in ihren Positionen verstehen sie nur einen Spaß: Geld ausgegeben. Das ist überhaupt nichts für mich. Ich werde nicht hinter einer her dackeln, die sich ihren Arsch im Fitnessstudio aufpolieren lässt. Das ist kein guter Rock 'n' Roll.
 



 
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