Brief an Eden

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Max Neumann

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Rote Schleife mit weißen Klecksen
Wie Fledermausohren im Licht
Weit weg von mir
Als mein Gesicht aufgemalt war

Rote Schleife und Kulleraugen
Auf der Suche
Ich nahm meine Würde ab
Dann setzte ich mein Gesicht auf

Mein Haus war kein Zuhause
Brüllende Wände
Ich riss mein Gesicht ab
Rote Schleife wie Minnie Maus

Hitze zerstörte mich
Wie in Terminator II
Terminator zerschmilzt in Lava
Den Daumen oben

Verwundet und fern von dir
Der Daumen ruhte
Die Mama machte ein Foto
Du trägst eine rote Schleife

Zurückkehren ins Leben
Stinkende Fleischwunde am Knie
Zur Schleife ein rosanes Kleid
Ich nahm mein Gesicht ab

Da zerfiel ich zum ersten Mal
Zum ersten Mal in meinem Leben
Ich zerfiel in mir
Rasierte und wusch meine Haut

Die Mama umarmte dich
Deine rote Schleife nahm sie ab
Du hast an mich gedacht
Ich habe an dich gedacht
 

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Wunderbar zu lesen, wie das Gesicht eines Vaters entsteht, wie über die Stadien des aufgemalten, aufgesetzten, abgerissenen und schließlich abgenommenen und dann enthüllten wahren Gesichts die Selbstfindung eines Mannes geschildert wird.

Wir kommen uns im Älterwerden und Heranwachsen selbst näher, lernen zu unterscheiden, welche Gesichter wir nur getragen haben, weil wir dachten, es gehöre sich so oder würde von uns erwartet, und welches schließlich unser ureigenstens, wahres Gesicht ist. Umso schöner, wenn wir uns in einem Umfeld befinden, wo wir genau dieses Gesicht auch furchtfrei zeigen können - und dann auch noch dafür geliebt werden, wie wir sind.

Ich nahm mein Gesicht ab

Da zerfiel ich zum ersten Mal
Zum ersten Mal in meinem Leben
Ich zerfiel in mir
Rasierte und wusch meine Haut

Die Mama umarmte dich
Deine rote Schleife nahm sie ab
Du hast an mich gedacht
Ich habe an dich gedacht
Wie unglaublich tief und schön das ist, Max!
Die Authentizität darin und das Archaische, Direkte darin erschlägt mich fast - im besten Sinne gemeint natürlich. Ich bewundere immer wieder, wie du es schaffst, Intensität zu erzeugen - auf deine dir so eigene, magische Art.

Schön auch, dass du keines dieser Gesichter im Text als Maske bezeichnest. Denn das sind sie nicht. Wir tragen immer in gewisser Weise Gesichter, die wahr und aufgesetzt zugleich sind. Solange, bis sich unsere Vorstellungen vom eigenen Ich und die Realität in der wir "sind", angeglichen haben. Bis unser Gesicht sich herausschält aus all unseren Versionen.

Großartige Darstellung eines elementaren Prozesses!
Hin und weg! Und selten habe ich eine so schöne Synthese von Titel und Text gelesen!

LG,
Claudia
 
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