Hallo Arno,
ja, hütet euch. In mir bleibt es...
Dank an meinen Vater
Fast fehlen mir die Worte. Was hast du mir nicht alles mitgegeben. Ich trage deine Narben. Innerlich und äußerlich. Die äußerlichen sind verheilt. Aber...
Vielen Dank für die schlaflosen Nächte. Es war wunderschön an deinem Bett zu sitzen, und die Geister deines Deliriums vom Bettlaken zu pflücken. All die Spinnenmonster deines benebelten Gehirns.
Ich danke dir für die Angst, die du wie einen Nebel auf alle übertragen hast, die in deiner Nähe waren. Die Angst war die Melodie meiner Kindheit. Lachen war dir zuwider. Das Lachen zeigte dir, was du verlernt hattest. Hast dich gehasst. Uns. Alles Lebendige.
Ich danke dir für unsere gemeinsamen Mahlzeiten. Kein Wort durfte gesprochen werden. Kann mich noch an dieses eine Essen erinnern. Es schmeckte mir nicht. Hast mich immer wieder angeschrien. Was auf den Tisch kommt, wird aufgegessen. Ich hätte mich nicht weigern sollen. Wortlos nahmst du den Teller. Er landete in meinem Gesicht. Ich danke dir für die Narben.
Was warst du für ein toller Anblick. Wie habe ich deinen morgendlichen Anblick geliebt. Kamst in die Küche und legtest dir ein Handtuch um den Hals. Dein Plan. Wie sollte die Tasse Asbach nur den Mund finden. Tasse ums Handtuch gewickelt und am anderen Ende zum Mund gezogen. Schlaues Kerlchen. Der Suff hat immer seinen Weg gefunden. Hat dich gefunden.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie du mich immer zur Schau gestellt hast. Im Matrosenanzug. Dein Sohn! Habe immer gelächelt. Kann man im Lächeln die Schattierungen der Angst erkennen? Mein Lächeln war eine Maske des Grauens.
Ich war vier Jahre alt. Stand mit meinem Freund am Fenster zur Straße. Draußen spielten Kinder. Wir lachten mit ihnen. Im Hintergrund warst du, oder besser gesagt, dass was von dir übrig war. Auf einmal lag ich auf der Straße.
Alles war rot. Ich war aus dem ersten Stock gefallen, könnte man sagen. Als ich zur Besinnung kam, sah ich dich am Fenster. Ich konnte deine Gedanken lesen. Warum ist er nicht tot? Ich war vier Jahre alt. Und wurde innerhalb einer Sekunde erwachsen. Mein Lächeln war wohl zu laut gewesen. Hast dich in mir erkannt. Das, was du einmal warst. Ein unschuldiges, lächelndes Kind. Konntest es nicht ertragen. Ich danke dir dafür, dass deine Hand mich meiner Kindheit beraubt hat.
1963 hatte meine Mutter endlich die Kraft gefunden, diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen. Sich von seiner Macht zu lösen. Seiner Ohnmacht.
Sechs Jahre der intensiven Liebe meines Vaters.
Mit 16 bekam ich einen Brief vom Sozialamt. Mein Vater war mittellos im Altenheim gelandet. Man verlangte von mir Unterstützung für dich.
Ich danke Dir.