Bruder (gelöscht)

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G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo,

die Deutsche Rechtschreibung sieht völlige Kleinschreibung nicht vor. Bitte den Fehler beheben. (siehe Forentext der Kurzprosa)und dann schiebe ich den Text zurück.

LG Franka
 

Val Sidal

Mitglied
Franka,

kann ich leider nicht machen.

Der Autor gibt einen Brief des ICH-SCHREIBENDEN an seinen Bruder wieder.

Die Tatsache, dass er schreibt, wie er schreibt, hat für den Text dramaturgische Relevanz: die Schreibweise unterstreicht, dass -- in der Krise -- der ICH-SCHREIBENDE, der immer nach Regeln, opportunistisch handelnd, sich selbst (und wohl auch seinen Bruder) verleugnet und verraten hat, jetzt, wenn vielleicht alles endet, sich nicht mehr um Regeln kümmern kann/will.

Der Text ist keine Reportage oder Sachtext.

Soll ich ihn löschen?
 
E

eisblume

Gast
Hallo Val,

da schau her, dahin hat es deinen Text also verschlagen. Ich finde ja, so ein kleiner Hinweis seitens der Moderation könnte nicht schaden, wenn man einen Text mal eben so verschiebt.
Val, ich möchte ich dich bitten, deinen Text nicht zu löschen, schon gar nicht, nachdem ich jetzt endlich Zeit gefunden habe, mich damit zu beschäftigen :)

Ich verstehe die Verschiebung jetzt insofern nicht, als doch durch deine anderen Texte und Kommentare hinreichend bewiesen ist, dass du der korrekten Groß- und Kleinschreibung mächtig bist. Daher dürfte klar sein, dass es sich hier um eine gewollte, bewusst als Stilmittel eingesetzte Kleinschreibung handelt. Nun, zumindest habe ich das so aufgefasst.

Nun zu deiner Geschichte:
Mit deinen Kurzprosatexten machst du es mir ja nicht grad immer leicht.
Ich habe den Text so gelesen, dass das Ich sein Leben so gelebt hat, wie er es gewollt hat – ohne Rücksicht auf Verluste. Ganz besonders,ohne Rücksicht auf seinen Bruder zu nehmen. Durch ein einschneidendes Erlebnis (vielleicht durch eine tödliche Krankheit) wird ihm klar, dass er viele, vielleicht auch schwerwiegende Fehler begangen hat, die er nicht mehr gut machen kann. Daher entschließt er sich, seinem Leben ein Ende zu bereiten. Seinem Bruder hinterlässt er einen entsprechenden Abschiedsbrief.

Das „barschelt“ am Ende der Geschichte lässt ja durchaus auch eine politische Richtung zu. Da ich aber mit politisch angehauchten Texten so meine Probleme habe, bevorzuge ich (für mich) jetzt eine rein brüderliche Richtung. So gesehen braucht es für mich auch diesen Sandwurm-Gassenhauer-Absatz nicht, den ich ohnehin leider nicht verstehe.

Ich gebe zu, dass ich nach dem ersten Lesen dachte, ja, was soll denn das jetzt. Ich habe mir aber sehr gern die Zeit genommen, mich über ein erstes Lesen hinaus mit deinem Text zu beschäftigen, auch wenn du ihn vielleicht ganz anders interpretiert haben möchtest, als ich das jetzt in meiner Leseart getan habe.

Wie auch immer: bitte nicht löschen und bitte die Kleinschreibung so belassen.

Lieben Gruß
eisblume
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo,

leider kann der Text so nicht zurück, ich bedaure diese Entscheidung, aber ansonsten muss ich die Begründung immer gelten lassen und dann...
Schade!

LG Franka
 

Val Sidal

Mitglied
Franka,

ich kann mit der Entscheidung leben.

Der Begründung kann ich allerdings nicht folgen.
Liegt ein Text vor, der formale Irritationen erzeugt, kann eine Abklärung, ob ein Mangel oder ein Mittel künstlerischen Ausdrucks vorliegt, immer mit einem konsensualen Ergebnis erfolgen.

Dass ein solcher Abklärungsprozess durchaus mühsam sein kann, ist mir bewusst.

Da mein Text keine experimentelle Prosa ist, gibt es unter der Leselupe keinen Platz für meinen Text -- sehe ich das richtig?

Wenn es dem so wäre, dann würde ich die Leselupe-Regeln in Frage stellen wollen, denn ich empfände sie als massive Einschränkung der künstlerischen Freiheit. Ich könnte zahlreiche Texte der Literatur als Beispiel anführen, die unter der Leselupe keinen Platz finden würden -- was ich aber definitv nicht tun werde, denn ich bin nicht in der Beweispflicht; der Text alleine, für sich da stehend, muss ergeben, ob er Kunst oder Müll ist.

Ich bin frisch unter der Leselupe und erstmalig in der Klinik.
Nur zu meinem Verständnis: ist es Deine persönliche Entscheidung als Forenredakteur, oder eine Leselupen-Teamentscheidung?

Wenn ich Deine Entscheidung nicht akzeptieren wollte, hätte ich dann vordefinierte Widerspruchsgelegenheiten, Eskalationsmöglichkeiten?

Wie auch immer -- ich werde den Text (Dein Einverständnis vorausgesetzt) noch eine Woche in der Textklinik stehen lassen, und anschließend, abhängig davon, was in dieser Woche geschieht, löschen.
Nichts für ungut!
 

Val Sidal

Mitglied
Franka,

nur aus Neugier: wäre der Text in dieser Form akzeptabel?

Bruder,

ich gebe dir mein Wort. Nein, nicht das, voll Ehren – das ist längst verpfändet; auch nicht das letzte – ein paar behalte ich noch, lege sie aus, drehe sie mir im Munde um, verbinde sie mal so, mal so.
Aber wie ich sie auch wende, ergeben sie nur den Sinn, der mich hergebracht:
Weiter machen? Wieso?

Ich fand es hier, von bösen Kräften mir geraubt, und von giftigen Zwergen für dich hinterlegt, hier, in einem Zimmer bescheidenen Maßes, nicht zum Verweilen gedacht – nur für den Aufbruch bereit.
Ich bin nicht müde, sonst würde ich es fühlen, aber was zu riechen, tasten und schmecken war, ist längst verdaut.

Es ist das Einzige, dass mir nicht schon im Mund nach Scheiße schmeckt.

Hab kein Mitleid mit mir, denn ich habe es auch nicht, weiß nicht einmal mehr, wie Leid geht.
Wer – wie ich – sich wähnte, erhobenen Hauptes zu wandeln, doch in Wahrheit nur gebückt und geduckt auf deinem Buckel mit den Hufen Blut scharrte, der die großen Worte aus dem Soll spendete, ohne selbst eins gut zu haben, der bekommt die Quittung.

Weißt du noch, was ich alles vor hatte?

Doch meine Vorsätze taugen nicht mal mehr als Nachruf, kodiertes Kauderwelsch, lästig beladen und lüstern versetzt.
Ich gebe es dir, obwohl es mich lange leben ließe, zu lange, um es nicht zu verraten. So werde ich, Bruder, es dir überlassen, zu treuen Herzen.

Wäre ich ein Sandwurm, der Wüste draußen zugewandt, Maden im Speck würden mit mir tauschen.
Wäre ich ein Bücherwurm, dann könnte ich in meine alten Schläuche reinen Wein füllen. Als Bandwurm habe ich die große weite Welt von innen gesehen – drauf geschissen!
Als von der Hitparade verdrängter Ohrwurm, von dem nur noch das Refrain geträllert wird: „Liebe Genossinnen und Genossen, heute ist ein großer Tag für...“, in der Gosse. Gassenhauer.

Es ist spät geworden, Bruder, das Wasser bettet mir die Wanne. Hab dich wohl und sorg dich nicht; in mir barschelt es nur ein wenig,

hab dich lieb.
 

Val Sidal

Mitglied
Eisblume,

danke für deine Bemerkung.

Tatsächlich wollte ich mit dem Text einen Grad an Verdichtung erreichen, der den Lesern multiple Interpretationsanschlüsse bietet.

Der Kern der Situation ist stabil, genau wie Du ihn gefunden hast. Ich kann verraten, dass ich einen politischen Kontext vor den Augen hatte, und zwar in dem Sinne, dass ich ein bestimmtes Politikersein, eine Funktionärs-/Apparatschik-Existenz beobachten wollte. Ich wollte erleben, was jemand im Augenblick des Totalverlustes (den Bruder hat er schon vor langer Zeit verloren geglaubt) tut, wie er -- nach Jahren der Funkstille -- sich aufrafft, und zum Abschied, einen Brief schreibt. Legt er seine Floskelsprache ab? Wie steht er zu formelhaftigen Wiederholungen von ausgehöhlten plakattauglichen Sprüchen?

Ich habe den Brief auch in einer zweiten Weise gelesen, indem ich den Begriff "Bruder" vom Blutsverwandten zu einer Gruppe von Genossen/Kameraden übertragen habe. Dadurch bekamen viele Aspekte seiner Reflexionen durchaus neue, vielleich sogar überraschende Facetten.

Die Wurm-Variationen:
So gesehen braucht es für mich auch diesen Sandwurm-Gassenhauer-Absatz nicht, den ich ohnehin leider nicht verstehe.
Nach dem Durchdeklinieren von unterschiedlich ekelhaften Varianten der Gattung, bleibt vielleicht reflexiv unausgesprochen (in meiner Lesart) übrig: "Ich bin ein verabscheuungswürdiger Vertreter!"

Der Brief soll die hochemotionale, auf eine Art aber wahrhaftige Verfassung des Schreibers einfangen -- vielleicht wird er sich in der Badewanne etwas antun...
Ich sehe ihn mit seinem Kugelschreiber in der Hand und einem Zettel auf dem Tisch (in dem Hotel der Kategorie "nicht verweilen, nur aufbrechen", werden solche Utensilien nicht bereitgestellt), wie er seinen Gefühlen freien Lauf läßt.

Und es ist vielleicht seine kleine (letzte) Rebellion, die Deutsche Rechtschreibung zu missachten.
 
S

Steky

Gast
..

Ich finde den Text grundsätzlich gut, zwei Dinge haben mich aber gestört.
Punkt eins ist die Kleinschreibung. Ich glaube auch, dass du das bewusst als Stilmittel eingesetzt hast - gefällt mir aber nicht.
Punkt zwei ist, dass du teilweise sehr "klassisch" schreibst, dann aber wieder Wörter wie Scheiße einfließen lässt, was irgendwie nicht harmonisch ist. Das wäre so, als würdest du das in einem Buch von Dostojewski lesen - das passt éinfach nicht. Mit vülgären Wörter an sich habe ich überhaupt kein Problem, weil es manchmal einfach das ausdrückt, was man fühlt und die Geschichte - oder die besser gesagt: die Kurzprosa - dramatisiert und echt macht. Auf jeden Fall hat es mir sehr gut gefallen, und ich finde - wie du das sagst -, man sollte jedem seine künstlerische Freiheit lassen: Nur weil man etwas nicht versteht, heißt es nicht automatisch, dass es schlecht ist. LG Steky
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
So überarbeitet kann der Text sofort zurück.

LG Franka
 

Val Sidal

Mitglied
Steky,

auf deinen zweiten Kritikpunkt möchte ich noch kurz eingehen:
Punkt zwei ist, dass du teilweise sehr "klassisch" schreibst, dann aber wieder Wörter wie Scheiße einfließen lässt, was irgendwie nicht harmonisch ist.
Während ich meinen Protagonisten beobachtete, fragte ich mich, ob und wann er wohl das letzte Mal einen Brief in seinem eigenen, authentischen Ton geschrieben hat. Kann es sein, dass der Prozess seiner Verirrung und Entfremdung bereits in der Schule (vielleicht Gymnasium) einsetzte? Also in der Zeit, wo er im Deutschunterricht diesem "klassisch" anmutenden Stil begegnet war.

Hätte ich diesen Stil durchgehalten, dann wäre im Brief kein einziger O-Ton von ihm erklungen -- so gemein wollte ich zu ihm dann doch nicht sein. Wenn er mit seiner eigenen Sprache spricht, dann wird er vulgär -- der Rest ist verkauft und verloren.

Jetzt könnte man sagen: das ist aber vom Autor sehr spitzfindig argumentiert. Sowas merkt doch kein Leser!
Das mag durchaus sein, und es wäre gar nicht schlimm. Es war nur meine Absicht.
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Val Sidal,

ich habe mich noch einmal mit den anderen Redakteuren beraten und im Ergebniss deinen Text wieder in die Kurzprosa geschoben.

LG Franka
 
Status
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