Hallo, NewDawnK,
tja, da hast du das Gedicht halb oder gar nicht verstanden oder nur, was du verstehen wolltest, breitest das, was du als negativ empfindest (die "Düsternis", bei dir muss alles hell und freundlich sein) aus - und schon lehnst du ab. Mag sein, dass du dich momentan in einer optimistischen Phase befindest und dass es dich stört, wenn ein anderer nicht genauso optimistisch ist, wie du es bist. Es gibt eben Leute, die denken nun mal anders als NDK - dies nur nebenbei.
Dies Gedicht ist eine Klage, legitim nicht nur in der Lyrik. Dass Klagen nicht loben, leuchtet dir sicher ein. Sie sind auch nicht unbedingt aufbauend im optimistischen Sinne, das halte ich aber auch nicht für die Aufgabe der Lyrik. Dass du aber gegen die Emotion in der Lyrik sprichst, das verwundert mich dann doch. Lieber NDK, die Literatur und insbesondere die Lyrik leben von der Emotion, nicht unbedingt von der unbewältigten, aber auch das zu Hauf (ich könnte dir mehrere Gedichte mit unbewältigten Emotionen in der LL nennen), das ist richtig, aber Lyrik gänzlich ohne Emotion - gibt es das eigentlich? Ich projiziere (bitte nur so, nicht mit e) also meine unbewältigten Emotionen, schreibst du, in die Außenwelt (das ist übrigens ein Vorwurf, den man jedem Dichter gemacht hat, der das bestehende gesellschaftliche System kritisiert hat, um so seinem Vorwurf die Spitze zu nehmen, ihn unglaubwürdig zu machen). Des weiteren wird die Wahrnehmung der Welt als Spiegel der inneren Befindlichkeiten von dir kritisiert. O Simpel. Davon, lieber NDK, lebt die Literatur! Wenn du das kritisierst, hast du mit Literatur wahrlich nicht viel im Sinn, sondern würdest deine Texte lieber von einem Reimautomaten schreiben lassen. Das Fragezeichen am Schluss ist dir ein Beweis dafür, dass mein Gedicht ein "Nährboden für Heilspropheten jedweder Couleur" sein soll - lieber NDK, nichts ist gewisser als die Ungewissheit, in diesem Sinne liebe ich das Fragezeichen im Vers, das ist die ganze Erklärung. Nun kannst du mir ja auch vorwerfen, ich selbst habe mein eigenes Gedicht nicht verstanden - tust du nicht. Warum eigentlich nicht? Im übrigen kann man problemlos jeden literarischen Text so auslegen, dass ihn der Autor nicht mehr wiedererkennt (ich erinnere an Brecht).
Ich bin mir über das, was heute geschieht, viel zu gut im klaren. Und mein Gedicht drückt das aus. Das, was ich beklage, nämlich die menschliche Entfremdung von sich selbst und zum anderen Menschen, und darum geht es in diesem Gedicht, aber nicht nur, es hat zwei Ebenen (auch wenn ich das Wort nicht benutze, sondern von Brücken spreche, das halte ich für eine poetisch völlig korrekte Metapher) ist ein herausragendes Zeichen unserer Zeit - muss ich das dir erst erklären? Literarisch gesehen gibt es große Klagen in der Literatur, angefangen beim Gilgamesch-Epos, über die Griechen bis in die Neuzeit. Und du, der "moderne Mensch" stehst über solchen Dingen? Damit, obwohl du dich dessen wahrscheinlich nicht bewusst bist, bist du ein beredter Zeuge dafür, dass meine (literarische) Klage nicht nur angebracht ist, sondern sogar dass sie zutiefst gebraucht wird (sofern man von "brauchen" in der Literatur sprechen kann). Deine eigenen Worte, lieber NDK, widerlegen dich selbst.
Gruß
Hanna