Bühnenportier

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GerRey

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Es war schon weit nach Mitternacht; ich stand vor dem längst ausgestorbenen, dunklen Bühneneingang und rauchte eine Zigarette in der lauen Sommernacht. Es war still, nur aus dem offenen Fenster im ersten Stock des gegenüberliegenden Hauses drang durch die nachtschwarze Fensteröffnung verdächtiges Gestöhne. Ich stand da, sog am Filter meiner Zigarette und lauschte diesem Rock ‘n’ Roll. Als Schriftsteller war ich eine Niete, als Bühnenportier ein Star. Mich kannten alle Leute in der Umgebung; kam ich in eines der umliegenden Lokale, bekam ich überall Platz und mindestens ein Freibier. Im Cafe “Schmäh”, ein paar Straßen weiter, drehten sie sofort die Musik ab, die sie dort gerade spielten und legten die Doors auf, wenn ich das Lokal betrat. “Hello, I love you, won't you tell me your name? … Hello, I love you, let me jump in your game …” Einmal hatte ich von der Chefin dieses kleinen Lokals verlangt, sie möge doch auch etwas Älteres auflegen - die Doors z. B. Da war sie in die Disco schräg gegenüber gerannt und hatte sich schnell eine CD ausgeliehen. Mit den drei Tänzerinnen einer holländischen Musical-Produktion, die ich im Schlepptau hatte, feierten wir dann bei lauter Musik eine wilde Party, wobei die Tänzerinnen einige Showeinlagen ihrer Kunst zeigten und die uns fremden Gäste in dem Lokal bis zum Wahnsinn anheizten. Seither: “Hello, I love you, won't you tell me your name? … Hello, I love you, let me jump in your game …”
Auch hatte ich die Schlüssel von den beiden Bars, die im Erdgeschoß des Hauses lagen, aus dessen offenem Fenster das weibliche Stöhnen drang. Die Besitzerin der beiden Lokale vertraute sie mir an, um “der Putzfrau keinen eigenen Schlüssel” geben zu müssen, nachdem ich ihren Dalmatiner-Hund eingefangen hatte, der in einem unbeachteten Moment aus der offenen Tür der Bar auf die Straße gelaufen war. “Kommst halt mal und schaust, was wir so treiben!” hatte sie gesagt, als ich ihr den Hund zurückbrachte. So kam ich in den Genuss einiger freier Bargetränke und der charmanten Unterhaltung einer slowakischen Barfrau namens “Lydia”, die sich jeden Tag von einer Friseuse die Haare kunstvoll hochstecken ließ, lange, elegante Abendkleider trug und zum nächtlichen Dienst von der slowakischen Grenze mit ihrem damals neuen, weißen Audi A8 anreiste.
Die Barbesitzerin war ebenfalls eine Ehemalige und hatte die beiden Lokale - eines nach dem anderen - gekauft; das eine war für gehobenes Publikum, das andere für den Rest der Welt. Im “Rest der Welt” war bis vor kurzem noch Hochbetrieb gewesen. Gejohle, rhythmisches Geklatsche, aufeinanderfolgende “Ausziehen- Ausziehen”-Rufe. Die Blonde, die ich von dort kannte, trug meist Leggins, die sich so eng an den Körper schmiegten, dass man ohnehin nicht mehr zu sehen bekam, wenn sie auch gleich nackt gewesen wäre. Und Miniröcke hatte sie auch gern; einmal war sie bei einer ähnlichen Gelegenheit mit zwei Typen aus dem Lokal gekommen, “um eine Runde zu drehen”, wie sie mir winkend zurief. Ich winkte zurück und sah ihnen nach; einer der beiden Typen hob ihr hinten das Röckchen an und tätschelte den darunterliegenden nackten Arsch, während sie zu dritt nebeneinander den Gehsteig hoch flanierten und sie sich einmal an dem einen, dann an dem anderen rieb. “Hello, I love you, won't you tell me your name? … Hello, I love you, let me jump in your game …”
Von daher konnte ich mir schon vorstellen, wer da jetzt im ersten Stock aus dem offenem Fenster in die Stille der Sommernacht “sang”. Das war noch vor kurzem die Wohnung einer alten Professorin gewesen, die unlängst verstorben war. Ihr Mann, ein Komponist, war schon lange tot - ihr Sohn mittlerweile in den USA beheimatet -, und sie - am Stock gehend - ließ es sich nicht nehmen, jeden Tag in den Stadtpark zu gehen, um den Obdachlosen korrektes Deutsch beizubringen, wobei ihre Methode, Runden von Doppelliter Weinflaschen aus dem Supermarkt zu spendieren, sicher erfolgreich war. Auch ein hohes Tier aus dem Staatlichen Rundfunk wohnte im ganzen obersten Stock und war mit der griechischen Botschafterin verheiratet. Manchmal kam er zu mir, um sich über den Zustand des Theaters zu erkundigen, in dem sie früher viele Shows aufgenommen und im Fernsehen übertragen hatten. Natürlich hatten sie auch ein prächtiges Sommerhaus auf einer griechischen Insel, wo sie den ganzen Sommer verbrachten. Und weil wir schon bei den Hausbesitzern sind … Auch jener, dem das gegenüberliegende Haus gehörte, stieg einmal im Monat aus seinem weißen Mercedes, besuchte seine Mieter, einen weißen, kunstvoll geschorenen Pudel an der Leine führend, und befragte mich, ob mit seinem Haus alles in Ordnung sei, seit sie ihm vier der Original-Gründerzeit-Kandelaber aus der Einfahrt gestohlen hatten. Nebenbei erzählte er, dass er Ende der Sechziger das Haus von einem alten Juden billig gekauft hatte - da war er noch Student an der Boku gewesen. Aber der Jude war entgegenkommend, hatte ihm sogar einen Bankkredit organisiert, weil er nicht wollte, dass das Haus in die Hände seiner damals jungen Frau kam, die ihn mit allem und jedem betrogen hatte … Des Alters Rache!
Natürlich erzählte ich ihm nicht, dass man einen seiner neuen Mieter kürzlich mit der Polizei abgeholt hatte. Dieser Mieter sollte im großen Stil mit Drogen zu tun haben - so ging das Gerücht, als vor ein paar Tagen eine Funkstreife vor dem Haus hielt, zwei Beamte im Hauseingang verschwanden und bald darauf wieder herauskamen und bei ihrem Auto warteten. Wenig später kam eine zweite Funkstreife und ein Rettungswagen. Die Beamten legten schusssichere Westen an, setzten Helme auf und gingen mit einem Rammbock ins Haus, während die Sanitäter “auf Standby” warteten. Es dauerte nicht lange, da kam dieser Mieter mit am Rücken verdrehten Armen zwischen zwei Polizisten aus dem Hauseingang. Sie nahmen ihn mit, jedoch kehrte er am Abend wieder, kam in einem Taxi vorgefahren und winkte mir beim Aussteigen zu. “Weißt eh, wennst was brauchst … “, er machte mit der Hand, von der er den Daumen und den kleinen Finger ausstreckte und an Ohr und Mund führte, das Telefonzeichen. Dann verschwand er im Haus, kehrte nach einer halben Stunde wieder und brauste auf seiner “Goldwing”, die ein kroatisches Kennzeichen hatte, davon. Ein paar Wochen später war der Spuk erledigt. Jemand erstach ihn in einem Unterwelt-Lokal, wie wir aus der Zeitung erfuhren.
Ich holte meinen Flachmann aus dem Sakko, nahm einen tiefen Schluck “Scharlachberg” und noch einen Zug aus der Zigarette, um sie anschließend in den Rinnstein zu schnippen. Dann ging ich wieder an meinen Platz am Bühneneingang zurück, legte die Füße auf das Pult und versuchte, um die Nacht gut zu beenden, noch ein bisschen “Augenpflege” zu bekommen.
 

Ofterdingen

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Hallo GerRey,
Du kannst gut schreiben, arrangierst in lockerer Manier Personen und Örtlichkeiten aus der Umgebung einer Bühne. Der Text wird zusammengehalten durch gelegentlich zitierte zwei Zeilen aus einem Doors-Song und das mehrfache Auftreten einer Frau, die man mal auf der Straße sieht und mal aus einem Fenster lustvoll stöhnen hört. Die sparsame Strukturierung lässt den Eindruck entstehen, dass es sich um einen Ausschnitt von etwas Größerem handelt, und in der Tat würde man gern weiterlesen. Darf man eine Fortsetzung erwarten?
An einer Stelle könntest du dir überlegen, ob du nicht besser etwas streichst: " Das war noch vor kurzem die Wohnung einer alten Professorin gewesen, die unlängst verstorben war." Würde etwas fehlen, wenn du schreibst: "Das war die Wohnung einer alten Professorin gewesen, die unlängst verstorben war." ?
 

GerRey

Mitglied
Hallo Ofterdingen!

Schönen Dank.

Eine Fortsetzung habe ich nicht geplant. Mir ging es darum, einige Beobachtungen und Menschen aus meiner Vergangenheit festzuhalten. Nach 15 Jahren Theater gibt's sicher noch mehr. Mal sehen ... längere Texte liegen mir nicht so. Die sind mit Arbeit verbunden. Und vor Arbeit flüchte ich generell (wie dieser Text hier eigentlich auch schon eine Flucht ist vor einem größeren Text, mit dem Titel: "Mot der Rocker").

Streichen kann man immer, und das ist sicherlich kein Fehler. Aber ich mag nicht wie Hermann Hesse zehn oder mehr Jahre an einem Text herumfeilen und zur Krämerseele verbittern, indem ich da und dort einen Deka wegnehme oder hinzufüge. So wie der Text heraus will, kommt er "aufs Papier". Das ist meine eigene Sprachmelodie, an der sich sicher arbeiten lässt. Aber da halte ich es schon lieber mit Keith Richards, der seine Gitarren "a little bit dirty" klampft und damit auch den Stil der Rolling Stones beeinflusst hat - ohne mich da jetzt irgendwie vergleichen zu wollen!

GerRey
 



 
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