Burn out

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Lesemaus

Mitglied
Hallo Heini, das Thema, das du ansprichst, ist sicher wichtig. Nur gefällt mir die Art nicht so gut. Du lamentierst ohne Rhythmus, ohne Höhepunkt, ohne dass du die wörtliche Rede in Anführung setzt und sie damit als solche kennzeichnest, und mit den Zeiten, Konjunktiv etc. geht es hübsch durcheinander.

Er hätte beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen hätte. Sie sollte sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf vergäße.
Was du damit meinst "darauf", weiß ich nicht.

LG Lesemaus
 

heini

Mitglied
@ Lesemaus:

Ich denke, in einem inneren Monolog hat eine direkte Rede mit Anführungszeichen nichts verloren, er IST eine direkte Rede.

Das, was du als "Durcheinander" der Zeiten und der Modi bezeichnest, ist ein Stilmittel und sehr wohl überlegt. Etwa auch in dem Absatz, in welchem du das "darauf" nicht verstehst - ich isoliere ihn hier einmal:

Sie sollte freundlicher sein, hatte heute der Geschäftsführer gesagt. Lächelndes Nachfragen fördert den Umsatz und dadurch indirekt ihren Lohn. Er hätte beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen hätte. Sie sollte sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf vergäße.

Sie erzählt im Imperfekt und das Allgemeine, das der Geschäftsführer als Regel anführt, steht deshalb außerhalb der Erzählzeit. Und zum Imperfektum in der indirekten Rede gehört IMHO der Konjunktiv II.

Und das "darauf" bezieht sich auf das Vergessen der Regel.
 
B

bluefin

Gast
das "darauf vergessen", lieber @heini, ist ein austriazistischer "dativ", den die hochdeutsche sprache nicht kennt; ein des österreichischen nicht mächtiger piefke stolpert deshalb gern über solche mundart. walfische sind kosmopoliten; sie hören den ton und merken ihn, wie gehabt, an, stören sich aber weiters (!) nicht daran.

was man dem herrn germanistikprofessor aber nicht durchgehen lassen sollte (konjunktiv zwo!), sind seine mutmaßungen über den konjunktiv.

ich versuch's dir zu erklären: berichtet einer zu allen zeiten, er studiere (konjunktiv eins!) gerade und weist damit auf nichts als die nackte tatsache hin, dann heißt's: er sagt, sagte, hat gesagt, hatte gesagt, wird sagen, wird gesagt haben, er studiere. berichtet einer von einer entsprechenden vergangenheit, heißt's: er sagt, sagte, hat gesagt, hatte gesagt, wird sagen, wird gesagt haben, er habe studiert.

pass auf, jetzt kommt's: der konjunktiv zwo hat eo ipso gar nichs mit der zeit zu tun, sondern nur damit, ob etwas wirklich so ist oder aber nur eine behauptung (z. b. eine gemeine lüge). dann muss es im ersten falle heißen: er sagt, sagte, hat gesagt, hatte gesagt, wird sagen, wird gesagt haben, er studierte (für sprachschwächlinge auch zulässig: würde studieren) und im zweiten falle: er sagt, sagte, hat gesagt, hatte gesagt, wird sagen, wird gesagt haben, er hätte studiert.

in der zukunft muss es übrigens grundsätzlich heißen: ...würde studieren (kunjunktiv zwo!) oder ...würde studiert haben (konjunktiv zwo!), weil's ja, künftig wahr oder nicht, nur behauptet wird. aber ein "werde" (konjunktiv eins!) würde (konjunktiv zwo!) da wohl nur ein tüpflischiesser, wie unsere schweizer brüder den beckmesser nennen, rot anstreichen.

korrekt heißt (indikativ!) die fragliche passage deines rührstückerls also:
Sie [blue]solle[/blue] freundlicher sein, hatte heute der Geschäftsführer gesagt. Lächelndes Nachfragen [blue]fördere[/blue] den Umsatz und dadurch indirekt ihren Lohn. Er [blue]habe[/blue] beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen [blue]habe[/blue]. Sie [blue]solle[/blue] sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf [blue]vergesse[/blue].
wofern der erzähler davon ausgeht, die behauptungen des geschäftsführers seien (konjunktiv eins!) zutreffend zielführende.

schrecklich, die deutsche sprache. wahrscheinlich müsste (konjunktiv zwo!!) man latein gelernt haben, um sie korrekt sprechen zu können.

ganz liebe grüße aus münchen

bluefin
 
O

Open Mike

Gast
Wozu so viele Worte?

Beim Imperfekt in der indirekten Rede ist Konjunktiv I vorzuziehen, solange dies nicht zu Missverständnissen führt.

om

PS:
"Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben."
→ gebe
 
B

bluefin

Gast
lieber @mike,

erstens:
Beim Imperfekt in der indirekten Rede [blue]wäre (konkunktiv zwo)[/blue] Konjunktiv I vorzuziehen, solange dies nicht zu Missverständnissen führt.
zwotens:
"Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben."
→ gebe
ist ein schlechter ratschlag, der beweist, dass du bluefins exegese zwar für überflüssig hältst, sie gleichwohl aber nicht kapiert hast: hier erwähnt der geschäftsführer keine tatsachen, sondern stellt behauptungen auf, die mehr als diskutabel sind. wer will sich schon freiwillig von schmierigen metzgersmeitern bergapschen lassen? der konjunktiv zwo ist hier der eher bessere.

tipp: wenn du alpenrepublikanern, nota bene studierten, die deutsche sprache näher bringen möchtest, solltest du sie a) selber beherrschen und b) sie ihnen erklären, statt falsche kommandos zu rufen.

...*bubbles*...

bluefin
 

Lesemaus

Mitglied
Hallo Heini, ich schrieb:
ohne dass du die wörtliche Rede in Anführung setzt und sie damit als solche kennzeichnest
Damit meinte ich die indirekte wörtliche Rede, die man in solchen Fällen gemeinhin mit nur einem Anführungszeichen versieht.

Das, was es über die Verwendung des Konjunktivs zu sagen gibt, hätte ich nicht besser als bluefin sagen können.

Du siehst also, es gäbe noch sehr viel zu tun, damit dein Text wenigstens im grammatikalischen Bereich fehlerlos würde.

Was das Durcheinander bei den Zeiten anbetrifft, kann ich dir leider auch nicht zustimmen, da es nun mal Regeln gibt, die nicht mit der Bemerkung, das sei ein Stilmittel, außer Kraft gesetzt werden können. Leider fehlt mir die Zeit (und die Lust), es dir an konkreten Beispielen (so schön ausführlich wie bluefin) zu erklären.

Trotzdem Liebe Grüße von

Lesemaus
 

heini

Mitglied
Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Wie jeden Tag führte ihr erster Weg ins Badezimmer. Ihre Hände zitterten, als sie die Tabletten aus der Verpackung drückte. Drei, vier. Sie zählte sie nicht, so als ob ihr Körper wüsste, wie viele sie braucht, um sich zu befreien. Sie fühlte den Widerstand, als die Tabletten die Kehle passierten. Noch einen Schluck.
Langsam ging sie ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie schloss die Augen und hoffte, die Bilder und Gedanken würden verschwinden und mit ihnen die Welt, aus der sie jeden Tag flüchtete. Die Gedanken wurden allmählich heller: War nicht wieder ein Tag geschafft? War das nicht etwas, das man in seinem Leben abhaken konnte? Sie wusste, in einer Stunde würde sie wieder funktionieren. Musste sie funktionieren. Das Abendessen für die Kinder, die aus der Schule nach Hause kommen, später vielleicht ein Lächeln oder zumindest ein Wort für den Mann, der sich erschöpft von der Arbeit vor den Fernsehapparat setzen wird. Alles würde wie jeden Tag sein. Keine Frage danach, ob ihre Beine noch lange mitmachen, das schmerzende Knie, das sie untersuchen lassen sollte. Es würde wie jeden Tag sein. Und nach den Tabletten tat das Knie auch nicht mehr so weh vom Stehen hinter der Theke in der Wurstabteilung. Sie solle freundlicher sein, hatte heute der Geschäftsführer gesagt. Lächelndes Nachfragen fördere den Umsatz und dadurch indirekt ihren Lohn. Er habe beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen habe. Sie solle sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf vergesse. Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben. Hatte er nicht „jüngere Frauen“ gesagt?
Die Unruhe verschwand aus dem Schmerz. Er wurde dumpfer und regelmäßiger. Damit man sich an ihn gewöhnen kann. Nächste Woche würde sie zum Arzt gehen. Heimlich in der Mittagspause. Wer zum Arzt geht, muss krank sein. Und wer krank ist, funktioniert nicht richtig, hatte ihr Arbeitskollege gesagt, der an der Frischfleischtheke arbeitete. Er hatte sie im Lager von hinten gegen ein Regal gedrängt und versucht, ihre Brust zu berühren. Zum Glück kam die Backwarenverkäuferin, um nach der Menge an Gebäck für die Wurstsemmeln zu fragen. Sie musste etwas gemerkt haben. Aber sie sprach es nie an. Obwohl dieser Vorfall schon Monate zurücklag, erinnerte sie sich jeden Tag daran. Sie vermied seither Situationen, in denen sie mit dem Fleischer allein war. Sie solle nicht so anstellen, hatte er gesagt. Und wenn sie es dem Geschäftsführer erzählte, wären ihre Tage hier gezählt. Sie wusste, dass er mit dem Geschäftsführer schon lange per Du war. Am nächsten Tag hatte er wie unabsichtlich das sorgfältig vorbereitete Tablett mit Aufschnitt vom Tisch gestoßen, sodass sie alles neu vorschneiden und arrangieren musste. Wenn sie ins Kühllager musste, schaute sie zunächst in die Fleischabteilung, ob ihr Kollege auch beschäftigt war, dennoch klemmte sie einen Holzkeil unter die angelehnte Tür. Sie hatte auch vergeblich versucht, die Schicht mit ihrer Kollegin zu tauschen, mit der sie sich an der Wursttheke abwechselte.
Sie sollte das Radio aufdrehen, dachte sie, denn in der Stille, die ihr in der ersten Viertelstunde zu Hause so erlösend erschienen war, begann sie ihr Atmen zu hören und ihren Pulsschlag zu fühlen. Die Tabletten begannen zu wirken. Sie bliebt liegen, denn jede Veränderung brächte eine Ungewissheit, stellte neue Fragen.
Zum Betriebsrat zu gehen war nicht erwünscht. Das Arbeitsklima sei mustergültig, hatte der Betriebsrat bei der letzten Versammlung gesagt, er habe für die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen immer ein offenes Ohr. Auch er war mit dem Geschäftsführer befreundet. Als Zeichen des guten Arbeitsklimas, wie er es nannte. Weil er mehr für sie alle erreichen könnte.
Wie viele Jahre noch? Solange die Kinder in die Schule gehen und uns auf der Tasche liegen, brauchen wir das Geld, hatte ihr Mann entschieden. Sie war schon früh nach der Geburt des zweiten Sohnes arbeiten gegangen, obwohl sie noch in Karenz hätte bleiben können. Sonst müssen wir eben den Urlaub streichen, und du weißt, wie sehr sich die Kinder jedes Jahr darauf freuen.
Die Kälte, die aus dem Kühlregal jeden Tag um ihre Beine floss, spürte sie schon lange nicht mehr. Vielleicht dämpfte die Kälte den Schmerz im Knie. Oder war sie neben dem stundenlangen Stehen dafür mit verantwortlich? Die Hygienehandschuhe aus Plastik ließen ihre Finger immer häufiger anschwellen und sie versuchte, diese so oft wie möglich auszuziehen. Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte. Jetzt auf der Couch fühlten sich ihre Hände noch immer kalt an, auch wenn das Rot der Schwellung allmählich verschwand. In der letzten Nacht war sie von dem Schmerz aufgewacht, als sie auf ihrem rechten Arm gelegen war, und der sich jetzt kalt und fremd anfühlte. Es war ein seltsames Gefühl, den eigenen Arm zu berühren wie den eines Anderen. Sie fühlte die Berührung nur in den Fingerspitzen, die den Ellbogen der tauben Hand umfassten. Das war in der letzten Zeit schon einige Male passiert. Das kann schon vorkommen, hatte ihr Mann gesagt. Musst dich halt richtig hinlegen. Mit der linken massierte sie den Arm, bis sie ihn wieder spürte. Sie musste dabei leise sein, um ihren Mann nicht zu stören, der am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Sie würde sich vor dem Schlafengehen mit einer Massagecreme einreiben, um die Durchblutung zu fördern. In ihrem Alter wäre das nichts Ungewöhnliches, hatte der Apotheker gesagt. Durchaus nichts Ungewöhnliches.
Morgen gehe ich zum Arzt, dachte sie, und wusste gleichzeitig, dass sie doch wieder einen guten Grund finden würde, es nicht zu tun. Sie war zu müde geworden, um neben ihrer Arbeit für die Familie auch noch dafür Zeit zu investieren. Sie funktioniert doch. Dank der Tabletten. Und der Kinder. Bei diesem Gedanken lächelte sie. Die Kinder. Der Kleinere hatte heute eine Schularbeit gehabt, für die sie mit ihm gelernt hatte. Der Altere machte ihr mehr Sorgen, denn er war in einem Alter, in dem alles andere als die Schule wichtig war. Sie versuchte sich an diesen Zeitabschnitt in ihrem Leben zu erinnern. Als sie eine Lehre beginnen wollte. Sie wollte Golfschmiedin werden. Der Lehrer hatte ihr wegen der zeichnerischen Begabung dazu geraten. Aber die Fachschule war zu weit weg gewesen, und ihre Eltern konnten neben dem Geld für das Studium ihres Bruders nicht auch noch für das notwendige Internat aufkommen. Sie hatte als Hilfsarbeiterin in einer nahen Fabrik begonnen und dort auch ihren Mann kennengelernt. Sie hatten früh geheiratet, denn das erste Kind war unterwegs. In der Kleinstadt, in der sie lebten, musste alles seine Ordnung haben.
Sie wäre beinahe eingeschlafen bei diesen vertrauten Erinnerungen, die sie jeden Tag nach dem Nachhausekommen einholten. Ihr kleines Leben – ihr Bruder, der in der Hauptstadt lebte, hatte bei ihrem letzten Geburtstag gesagt, dass er sie um dieses „kleine Leben“ beneide - tanzte episodenhaft an ihr vorbei. Sie hatte es doch gut. Es gab andere, denen es doch viel schlechter ging. Sie konnten jedes Jahr auf Urlaub fahren und auch der Schikurs für die Kinder ging sich aus. Ich muss noch das Wohnzimmer aufräumen, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die leere Chip-Packung neben sich auf dem Tisch liegen sah. Sie wollte sich aufrichten. Du bist doch ohnehin schon zwei Stunden vor mir zu Hause, hatte ihr Mann einmal gesagt. Was tust du denn die ganze Zeit? Das bisschen Putzen. Die Erinnerung an seine Worte drückten sie auf die Couch zurück. Auf einmal waren alle Gedanken weg. Ihr Gehirn arbeitete zwar auf Hochtouren, aber sie konnte keinen der herumschwirrenden Gedanken fassen. Der Strom der Bilder, Worte, Erinnerungsfetzen und Gefühle riss sie mit sich und schien sie weiter und hinunter zu ziehen. Sie kämpfte nicht dagegen an.
Auf einmal Stille in ihr. Was wäre, wenn alles vorbei wäre? Wenn sie weit fortgehen könnte. Noch einmal das Leben von vorne anfangen. Ihr Leben. Ein klein wenig größeres vielleicht. Wenigstens einige ihrer Träume verwirklichen. Die Lehre. Die Reise nach …
Es klingelte. Das werden die Kinder sein.
 
O

Open Mike

Gast
quote:
--------------------------------------------------------------------------------
"Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben."
→ gebe
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ist ein schlechter ratschlag, der beweist, dass du bluefins exegese zwar für überflüssig hältst, sie gleichwohl aber nicht kapiert hast: hier erwähnt der geschäftsführer keine tatsachen, sondern stellt behauptungen auf, die mehr als diskutabel sind. wer will sich schon freiwillig von schmierigen metzgersmeitern bergapschen lassen? der konjunktiv zwo ist hier der eher bessere.
tipp: wenn du alpenrepublikanern, nota bene studierten, die deutsche sprache näher bringen möchtest, solltest du sie a) selber beherrschen und b) sie ihnen erklären, statt falsche kommandos zu rufen.
Hier geht es lediglich um indirekte Rede. Und der Geschäftsführer, dessen Äußerungen hier wiedergegeben werden, zweifelt keineswegs an dieser Aussage.
Beim Imperfekt in der indirekten Rede [blue]wäre (konkunktiv zwo)[/blue] Konjunktiv I vorzuziehen, solange dies nicht zu Missverständnissen führt.
Da es in der Regel nicht zu jenen Missverständnissen kommt, ist der Indikativ vollkommen korrekt.
Siehe "Duden. Die Grammatik", Randziffer 286.

Sowohl beim Irrealis als auch beim Konjunktiv hilft zur Not auch Wikipedia.

ist ein schlechter ratschlag, der beweist, dass du bluefins exegese zwar für überflüssig hältst, sie gleichwohl aber nicht kapiert hast ...
tipp: wenn du alpenrepublikanern, nota bene studierten, die deutsche sprache näher bringen möchtest, solltest du sie a) selber beherrschen und b) sie ihnen erklären, statt falsche kommandos zu rufen.
Haben S' denn wirklich niemals den Verdacht, dass Sie sich mit so was allenfalls lächerlich machen?

om
 
B

bluefin

Gast
googlen, lieber @mike, hilft beim rechten gebrauch des konjunktiv eins und zwo leider nicht, wie man aus deinen verständlislosen zuschriften ableiten kann. was immer du auf deiner suche nach sprachschätzen im wiki-müll aufgeklaubt haben magst - es war offenbar nichts, was dazu hätte (konjunktiv zwo!) beitragen können, dir zu verdeutlichen, dass dem indikativen, noch dazu falsch gegebenem kasernenhof-kommando der empfehlende konjunktiv zwo vorzuziehen wäre (konjunktiv zwo!). sprachlich besonders schön, aber leider immer weniger im gebrauch der putzige kojunktiv zwo starker verben: wie schon wär's, bätest du mich, ich büke dir einen googlehupf!

sind sie zu stark, lieber @mike, bist du zu schwach. übrigens: angst davor, ausgelacht zu werden, haben nur die feiglinge. gut, dass wir beide glauben, nicht dazu zu gehören.

heitere grüße aus dem heiteren münchen

bluefin
 
O

Open Mike

Gast
Warum Sie nun plötzlich von "Wiki-Müll" schreiben, ist offensichtlich.
Der primäre Lektürevorschlag war im Übrigen: "Die Grammatik" aus dem Hause Duden, Randziffer 286.
Gewiss, für "Walfische" ist dies alles Müll, folgen die doch anderen Regeln.

Noch eine Kleinigkeit zum eigentlichen Text:
Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte.
"Allein" im Sinne von "nur"?
Dann besser:
→ der sie allein mit seiner Kopfhaltung zu fragen schien

Abgesehen vom leidigen Konjunktiv II.

om
 
B

bluefin

Gast
lieber @mike, du schriebst doch soeben:
Sowohl beim Irrealis als auch beim Konjunktiv hilft zur Not auch Wikipedia.
tipps:
1. bei servieren nicht vergessen, was man selbst zuvor in die suppe gerührt hat
2. nur frische küchenkreuter verwenden, nicht die vertrockneten aus der packung...

...*bubbles*...

bluefin
 

heini

Mitglied
Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte.
Ich habe beim Schreiben immer das Lesen vor Zuhörern im Kopf, und wollte hier "mit seiner Kopfhaltung allein" in einer Parenthese verstanden wissen. Intendiert war:

Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie - mit seiner Kopfhaltung allein - zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte.
 

heini

Mitglied
Mein Posting solte eigentlich lauten, aber das Zeitlimit …

Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte.
Ich habe beim Schreiben immer das Lesen vor Zuhörern im Kopf, und wollte hier "mit seiner Kopfhaltung allein" in einer Parenthese verstanden wissen. Intendiert war:

Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie - mit seiner Kopfhaltung allein - zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte.

Es geht mir weniger - wie in allen meinen Texten - nicht um grammatikalische Perfektion, sondern um Spannungsaufbau und Wirkung. Vergleiche es einmal laut gelesen mit dem von dir vorgeschlagenen Satz

Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie allein mit seiner Kopfhaltung zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte.

Die Wirkung des nachgestellten "allein" ist eine völlig andere als eine Positionierung am Beginn, denn nicht die "Kopfhaltung" ist das Besondere, sondern das "nur". Wie klingt denn "Der brave Mann denkt zuletzt an sich selbst"?
 
O

Open Mike

Gast
"Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt."

Die besondere Betonung von "zuletzt" gelingt hier sowohl wegen seiner Endstellung, als auch weil diese mit dem Inhalt des Wortes korrespondiert. Vor allem aber verkehrt jenes letzte Wort, ähnlich wie bei einer Anesis, die zuvor getroffene Aussage in ihr Gegenteil.

"Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie allein mit seiner Kopfhaltung zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte."
"Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte."

In diesem Fall wird das nachgestellte Adverb nicht sonderlich hervorgehoben. Wollten Sie "allein" als "das Besondere" betonen, dann hätten Sie es besser vorangestellt.

om
 
B

bluefin

Gast
lieber @mike, hier hat @heini mal recht. der sinn der hintanstellung adverbvieller ergänzungen ist ebengerade die damit verbundene hervorhebung und der grund, warum dieses stilmittel in der umgangssprache so fleißig und instinktiv gebraucht wird.

mag sein, dass dein sprachgefühl solche nuancen nicht wahrnimmt, so wie ein pelzige zunge bitter und süß nicht nicht mehr affiziert. auch hier ein verweis auf das "qualitätsthema" im diskussionsforum (endlich mal eins, das sich lohnt!): wer zu lange zu starken tobak geraucht hat, versagt bei der literarischen organoleptik und wird als richter nicht akkreditiert.

falls du mit dieser ansage nicht auf anhieb zurecht kommst: googlen unter "dlg-leistungsprüfung". möglicherweise wirst du da fündig. wenn nicht, schick mir eine pn. ich klär dich dann auf - unter vier augen und in aller freundschaft.

liebe grüße aus münchen

bluefin
 

heini

Mitglied
Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Wie jeden Tag führte ihr erster Weg ins Badezimmer. Ihre Hände zitterten, als sie die Tabletten aus der Verpackung drückte. Drei, vier. Sie zählte sie nicht, so als ob ihr Körper wüsste, wie viele sie braucht, um sich zu befreien. Sie fühlte den Widerstand, als die Tabletten die Kehle passierten. Noch einen Schluck.
Langsam ging sie ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie schloss die Augen und hoffte, die Bilder und Gedanken würden verschwinden und mit ihnen die Welt, aus der sie jeden Tag flüchtete. Wieder ein Tag geschafft. War das nicht etwas, das man in seinem Leben abhaken konnte? Sie wusste, in einer Stunde würde sie wieder funktionieren. Musste sie funktionieren. Das Abendessen für die Kinder, die aus der Schule nach Hause kommen, später vielleicht ein Lächeln oder ein Wort für den Mann, der sich erschöpft von der Arbeit vor den Fernsehapparat setzen wird. Alles würde wie jeden Tag sein. Keine Frage danach, ob ihre Beine noch lange mitmachen, das schmerzende Knie, das sie untersuchen lassen sollte. Nach den Tabletten tat das Knie auch nicht mehr so weh vom Stehen hinter der Theke in der Wurstabteilung. Sie solle freundlicher sein, hatte heute der Geschäftsführer gesagt. Lächelndes Nachfragen fördere den Umsatz und dadurch indirekt ihren Lohn. Er habe beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen habe. Sie solle sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf vergesse. Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben. Hatte er nicht „jüngere Frauen“ gesagt?
Die Unruhe verschwand aus dem Schmerz. Er wurde dumpfer und regelmäßiger. Damit man sich an ihn gewöhnen kann. Nächste Woche würde sie zum Arzt gehen. Heimlich in der Mittagspause. Wer zum Arzt geht, muss krank sein. Und wer krank ist, funktioniert nicht richtig, hatte ihr Arbeitskollege gesagt, der an der Frischfleischtheke arbeitete. Er hatte sie einmal im Lager von hinten gegen ein Regal gedrängt. Zum Glück kam die Backwarenverkäuferin, um nach der Menge an Gebäck für die Wurstsemmeln zu fragen. Am nächsten Tag hatte er wie unabsichtlich das sorgfältig vorbereitete Tablett mit Aufschnitt vom Tisch gestoßen, sodass sie alles neu schneiden und arrangieren musste. Sie hatte vergeblich versucht, die Schicht mit ihrer Kollegin zu tauschen, mit der sie sich an der Wursttheke abwechselte.
Sie sollte das Radio aufdrehen, dachte sie, denn in der Stille, die ihr in der ersten Viertelstunde zu Hause so erlösend erschienen war, begann sie ihr Atmen zu hören und ihren Pulsschlag zu fühlen. Die Tabletten wirkten. Sie bliebt liegen, denn jede Veränderung brächte eine Ungewissheit, stellte neue Fragen.
Zum Betriebsrat zu gehen war nicht erwünscht. Das Arbeitsklima sei mustergültig, hatte der Betriebsrat bei der letzten Versammlung gesagt. Er habe für die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen immer ein offenes Ohr. Er sei mit dem Geschäftsführer befreundet. Als Zeichen des guten Betriebsklimas, wie er es nannte. Weil er mehr für sie alle erreichen könnte. Die Arbeitsbedingungen seien daher ideal. Bei uns gibt es kein … Was war das für ein Wort, das er gebrauchte?
Wie viele Jahre noch? Solange die Kinder in die Schule gehen und uns auf der Tasche liegen, brauchen wir das Geld, hatte ihr Mann entschieden. Sie war schon früh nach der Geburt des zweiten Sohnes arbeiten gegangen, obwohl sie in Karenz hätte bleiben können. Sonst müssen wir eben den Urlaub streichen, und du weißt, wie sehr sich die Kinder jedes Jahr darauf freuen.
Die Kälte, die aus dem Kühlregal jeden Tag um ihre Beine floss, spürte sie schon lange nicht mehr. Vielleicht dämpfte die Kälte den Schmerz im Knie. Oder war sie neben dem stundenlangen Stehen dafür mit verantwortlich? Die Hygienehandschuhe aus Plastik ließen ihre Finger immer häufiger anschwellen und sie versuchte, diese so oft wie möglich auszuziehen. Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte. Jetzt auf der Couch fühlten sich ihre Hände noch immer kalt an, auch wenn das Rot der Schwellung allmählich verschwand. In der letzten Nacht war sie aufgewacht, als sie auf ihrem rechten Arm gelegen war, und der sich kalt und fremd anfühlte. Es war ein seltsames Gefühl, den eigenen Arm zu berühren wie den eines Anderen. Sie fühlte die Berührung nur in den Fingerspitzen, die den Ellbogen der tauben Hand umfassten. Das war in der letzten Zeit schon einige Male passiert. Das kann schon vorkommen, hatte ihr Mann gesagt. Musst dich halt richtig hinlegen. Mit der linken massierte sie den Arm, bis sie ihn wieder spürte. Sie war dabei leise, um ihren Mann nicht zu stören, der am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Sie würde sich vor dem Schlafengehen mit einer Massagecreme einreiben, um die Durchblutung zu fördern. In ihrem Alter wäre das nichts Ungewöhnliches, hatte der Apotheker gesagt. Durchaus nichts Ungewöhnliches.
Morgen gehe ich zum Arzt, dachte sie, und wusste gleichzeitig, dass sie doch wieder einen guten Grund finden würde, es nicht zu tun. Sie war zu müde geworden, um neben ihrer Arbeit für die Familie auch noch dafür Zeit zu investieren. Sie funktioniert doch. Dank der Tabletten. Und der Kinder. Bei diesem Gedanken lächelte sie. Die Kinder. Der Kleinere hatte heute eine Schularbeit gehabt, für die sie mit ihm gelernt hatte. Der Ältere machte ihr mehr Sorgen, denn er war in einem Alter, in dem alles andere als die Schule wichtig war. Sie versuchte sich an diesen Zeitabschnitt in ihrem Leben zu erinnern. Als sie eine Lehre beginnen wollte. Sie wollte Golfschmiedin werden. Der Lehrer hatte ihr wegen der zeichnerischen Begabung dazu geraten. Aber die Fachschule war zu weit weg gewesen, und ihre Eltern konnten neben dem Geld für das Studium ihres Bruders nicht auch noch für das notwendige Internat aufkommen. Sie hatte - wie die meisten Mädchen ihrer Klasse - als Hilfsarbeiterin in der nahen Fabrik begonnen und dort ihren Mann kennengelernt. Sie hatten früh geheiratet, denn das Kind war unterwegs. In der Kleinstadt, in der sie lebten, musste alles seine Ordnung haben.
Sie wäre beinahe eingeschlafen bei diesen vertrauten Erinnerungen, die sie jeden Tag nach dem Nachhausekommen einholten. Ihr kleines Leben – ihr Bruder, der in der Hauptstadt lebte, hatte bei ihrem letzten Geburtstag gesagt, dass er sie um dieses „kleine Leben“ beneide - tanzte episodenhaft an ihr vorbei. Sie hatte es doch gut. Es gab andere, denen es doch viel schlechter ging. Sie konnten jedes Jahr auf Urlaub fahren und auch der Schikurs für die Kinder ging sich aus. Ich muss noch das Wohnzimmer aufräumen, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die leere Chip-Packung neben sich auf dem Tisch liegen sah. Sie wollte sich aufrichten. Du bist doch ohnehin schon zwei Stunden vor mir zu Hause, hatte ihr Mann einmal gesagt. Was tust du denn die ganze Zeit? Das bisschen Putzen. Die Erinnerung an seine Worte drückten sie auf die Couch zurück. Auf einmal waren alle Gedanken weg. Ihr Gehirn arbeitete zwar auf Hochtouren, aber sie konnte keinen der herumschwirrenden Gedanken fassen. Der Strom der Bilder, Worte, Erinnerungsfetzen und Gefühle riss sie mit sich und schien sie weiter und hinunter zu ziehen. Sie kämpfte nicht dagegen an.
Auf einmal Stille in ihr. Was wäre, wenn alles vorbei wäre? Wenn sie weit fortgehen könnte. Noch einmal das Leben von vorne anfangen. Ihr Leben. Ein klein wenig größeres vielleicht. Wenigstens einige ihrer Träume verwirklichen. Die Lehre. Die Reise nach …
Es klingelte. Das werden die Kinder sein.
 

heini

Mitglied
Die Wohnungstür fiel ins Schloss. Wie jeden Tag führte ihr erster Weg ins Badezimmer. Ihre Hände zitterten, als sie die Tabletten aus der Verpackung drückte. Drei, vier. Sie zählte sie nicht, so als ob ihr Körper wüsste, wie viele sie braucht, um sich zu befreien. Sie fühlte den Widerstand, als die Tabletten die Kehle passierten. Noch einen Schluck.
Langsam ging sie ins Wohnzimmer und legte sich auf die Couch. Sie schloss die Augen und hoffte, die Bilder und Gedanken würden verschwinden und mit ihnen die Welt, aus der sie jeden Tag flüchtete. Wieder ein Tag geschafft. War das nicht etwas, das man in seinem Leben abhaken konnte? Sie wusste, in einer Stunde würde sie wieder funktionieren. Musste sie funktionieren. Das Abendessen für die Kinder, die aus der Schule nach Hause kommen, später vielleicht ein Lächeln oder ein Wort für den Mann, der sich erschöpft von der Arbeit vor den Fernsehapparat setzen wird. Alles würde wie jeden Tag sein. Keine Frage danach, ob ihre Beine noch lange mitmachen, das schmerzende Knie, das sie untersuchen lassen sollte. Nach den Tabletten tat das Knie auch nicht mehr so weh vom Stehen hinter der Theke in der Wurstabteilung. Sie solle freundlicher sein, hatte heute der Geschäftsführer gesagt. Lächelndes Nachfragen fördere den Umsatz und dadurch indirekt ihren Lohn. Er habe beobachtet, dass sie mehrmals darauf vergessen habe. Sie solle sich einen Zettel an die Waage kleben, damit sie nicht darauf vergesse. Es gäbe genug Frauen, die froh wären, ihren Job zu haben. Hatte er nicht „jüngere Frauen“ gesagt?
Die Unruhe verschwand aus dem Schmerz. Er wurde dumpfer und regelmäßiger. Damit man sich an ihn gewöhnen kann. Nächste Woche würde sie zum Arzt gehen. Heimlich in der Mittagspause. Wer zum Arzt geht, muss krank sein. Und wer krank ist, funktioniert nicht richtig, hatte ihr Arbeitskollege gesagt, der an der Frischfleischtheke arbeitete. Er hatte sie einmal im Lager von hinten gegen ein Regal gedrängt. Zum Glück kam die Backwarenverkäuferin, um nach der Menge an Gebäck für die Wurstsemmeln zu fragen. Am nächsten Tag hatte er wie unabsichtlich das sorgfältig vorbereitete Tablett mit Aufschnitt vom Tisch gestoßen, sodass sie alles neu schneiden und arrangieren musste. Sie hatte vergeblich versucht, die Schicht mit ihrer Kollegin zu tauschen, mit der sie sich an der Wursttheke abwechselte.
Sie sollte das Radio aufdrehen, dachte sie, denn in der Stille, die ihr in der ersten Viertelstunde zu Hause so erlösend erschienen war, begann sie ihr Atmen zu hören und ihren Pulsschlag zu fühlen. Die Tabletten wirkten. Sie bliebt liegen, denn jede Veränderung brächte eine Ungewissheit, stellte neue Fragen.
Zum Betriebsrat zu gehen war nicht erwünscht. Das Arbeitsklima sei mustergültig, hatte der Betriebsrat bei der letzten Versammlung gesagt. Er habe für die Anliegen der Kolleginnen und Kollegen immer ein offenes Ohr. Er sei mit dem Geschäftsführer befreundet. Als Zeichen des guten Betriebsklimas, wie er es nannte. Weil er mehr für sie alle erreichen könnte. Die Arbeitsbedingungen seien daher ideal. Bei uns gibt es kein … Was war das für ein Wort, das er gebrauchte?
Wie viele Jahre noch? Solange die Kinder in die Schule gehen und uns auf der Tasche liegen, brauchen wir das Geld, hatte ihr Mann entschieden. Sie war schon früh nach der Geburt des zweiten Sohnes arbeiten gegangen, obwohl sie in Karenz hätte bleiben können. Sonst müssen wir eben den Urlaub streichen, und du weißt, wie sehr sich die Kinder jedes Jahr darauf freuen.
Die Kälte, die aus dem Kühlregal jeden Tag um ihre Beine floss, spürte sie schon lange nicht mehr. Vielleicht dämpfte die Kälte den Schmerz im Knie. Oder war sie neben dem stundenlangen Stehen dafür mit verantwortlich? Die Hygienehandschuhe aus Plastik ließen ihre Finger immer häufiger anschwellen und sie versuchte, diese so oft wie möglich auszuziehen. Aber sie fürchtete den Blick des Leiters der Lebensmittelabteilung, der sie mit seiner Kopfhaltung allein zu fragen schien, ob sie nicht etwas vergessen hätte. Jetzt auf der Couch fühlten sich ihre Hände noch immer kalt an, auch wenn das Rot der Schwellung allmählich verschwand. In der letzten Nacht war sie aufgewacht, als sie auf ihrem rechten Arm gelegen war, und der sich kalt und fremd anfühlte. Es war ein seltsames Gefühl, den eigenen Arm zu berühren wie den eines Anderen. Sie fühlte die Berührung nur in den Fingerspitzen, die den Ellbogen der tauben Hand umfassten. Das war in der letzten Zeit schon einige Male passiert. Das kann schon vorkommen, hatte ihr Mann gesagt. Musst dich halt richtig hinlegen. Mit der linken massierte sie den Arm, bis sie ihn wieder spürte. Sie war dabei leise, um ihren Mann nicht zu stören, der am nächsten Morgen früh aufstehen musste. Sie würde sich vor dem Schlafengehen mit einer Massagecreme einreiben, um die Durchblutung zu fördern. In ihrem Alter wäre das nichts Ungewöhnliches, hatte der Apotheker gesagt. Durchaus nichts Ungewöhnliches.
Morgen gehe ich zum Arzt, dachte sie, und wusste gleichzeitig, dass sie doch wieder einen guten Grund finden würde, es nicht zu tun. Sie war zu müde geworden, um neben ihrer Arbeit für die Familie auch noch dafür Zeit zu investieren. Sie funktioniert doch. Dank der Tabletten. Und der Kinder. Bei diesem Gedanken lächelte sie. Die Kinder. Der Kleinere hatte heute eine Schularbeit gehabt, für die sie mit ihm gelernt hatte. Der Ältere machte ihr mehr Sorgen, denn er war in einem Alter, in dem alles andere als die Schule wichtig war. Sie versuchte sich an diesen Zeitabschnitt in ihrem Leben zu erinnern. Als sie eine Lehre beginnen wollte. Sie wollte Golfschmiedin werden. Der Lehrer hatte ihr wegen der zeichnerischen Begabung dazu geraten. Aber die Fachschule war zu weit weg gewesen, und ihre Eltern konnten neben dem Geld für das Studium ihres Bruders nicht auch noch für das notwendige Internat aufkommen. Sie hatte - wie die meisten Mädchen ihrer Klasse - als Hilfsarbeiterin in der nahen Fabrik begonnen und dort ihren Mann kennengelernt. Sie hatten früh geheiratet, denn das Kind war unterwegs. In der Kleinstadt, in der sie lebten, musste alles seine Ordnung haben.
Sie wäre beinahe eingeschlafen bei diesen vertrauten Erinnerungen, die sie jeden Tag nach dem Nachhausekommen einholten. Ihr kleines Leben – ihr Bruder, der in der Hauptstadt lebte, hatte bei ihrem letzten Geburtstag gesagt, dass er sie um dieses „kleine Leben“ beneide - tanzte episodenhaft an ihr vorbei. Sie hatte es doch gut. Es gab andere, denen es doch viel schlechter ging. Sie konnten jedes Jahr auf Urlaub fahren und auch der Schikurs für die Kinder ging sich aus. Ich muss noch das Wohnzimmer aufräumen, schoss es ihr durch den Kopf, als sie die leere Chip-Packung neben sich auf dem Tisch liegen sah. Sie wollte sich aufrichten. Du bist doch ohnehin schon zwei Stunden vor mir zu Hause, hatte ihr Mann einmal gesagt. Was tust du denn die ganze Zeit? Das bisschen Putzen. Die Erinnerung an seine Worte drückten sie auf die Couch zurück. Auf einmal waren alle Gedanken weg. Ihr Gehirn arbeitete zwar auf Hochtouren, aber sie konnte keinen der herumschwirrenden Gedanken fassen. Der Strom der Bilder, Worte, Erinnerungsfetzen und Gefühle riss sie mit sich und schien sie weiter und hinunter zu ziehen. Sie kämpfte nicht dagegen an.
Auf einmal Stille in ihr. Was wäre, wenn alles vorbei wäre? Wenn sie weit fortgehen könnte. Noch einmal das Leben von vorne anfangen. Ihr Leben. Ein klein wenig größeres vielleicht. Wenigstens einige ihrer Träume verwirklichen. Die Lehre. Die Reise nach …
Es klingelte. Das werden die Kinder sein.
 



 
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