Bus als Bierzelt

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aliceg

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Bus als Bierzelt

Wochentags, früher Nachmittag. Vor der Bushaltestelle eine lärmende Gruppe Schulkinder. Der Bus war viel später dran als sonst, daher hatten sich schon eine Menge Fahrgäste angesammelt. Manche auf die Fahrbetriebe schimpfend, andere, die im 10-Sekunden-Takt auf dem Handydisplay die Zeit kontrollierten, und Schulbuben, die vor Langeweile zu streiten und sich zu boxen begannen.
Endlich schlurfte der Bus heran, die Einstiege wurden gestürmt, Plätze erobert, gleich ganze Sitzreihen beschlagnahmt.
Das Gute Benehmen war nicht mit eingestiegen, soviel stand fest.

Unter den älteren Fahrgästen begannen einige jetzt zu murren, vorläufig noch in ihren Bart.
Mit einem Ruck setzte sich nach der Lenkerpause der Bus endlich in Bewegung, begleitet von einem etwas schrillen Aufschrei einer Dame:
"So pass doch auf! Wenn ich duschen will, mach ich das zuhause."
Auf ihrem Knie war ein Colabecher gelandet, zwar mit Deckel, aber dieser mit Guckloch für den Trinkhalm.
Der feindseligste aller Bösen Blicke galt ihrem Nebenan, einem Schulmädchen, das mit seinem Rucksack zuvor schon den Mittelgang blockiert hatte und deshalb von einem Durchgehenden gescholten wurde:
"Tu das Zeug da weg, oder ich spiel damit Fußball ..."

Und nun hatte es sich auf den Schoß eine eckige Plastikschüssel mit Reisfleisch-ähnlichem Inhalt gestellt und begann seelenruhig mit einer Plastikgabel darin herumzustochern. Ab und zu auch in den Mund zu schaufeln und zerbissen hinunterzuschlucken.
"Na du hast Nerven, Kind. Gibts bei dir zuhause nix zu essen?", kommt eine Stimme von gegenüber.
Ein Schulkamerad rief ihr zu: "He Jackie, schmatz nicht so laut, da krieg ich auch gleich Hunger!"
Jetzt wurden auch die hinten sitzenden Fahrgäste aufmerksam.

"Iii, was riecht denn da so aufdringlich wie eine Gulaschkanone?"
"Gibts vielleicht Freibier?", fragte einer, der aus seinem Erfahrungsschatz assoziierte.

Langsam kroch eine Essensschwade auch bis zum Fahrer nach vor.
Bei der nächsten Haltestelle hielt er an obwohl niemand aus- oder einstieg. Erst erhob er sich aus seinem Sitz und dann seine Stimme in die Richtung, wo er den Geruch geortet hatte:
"Entweder du packst alles weg, oder du steigst aus, und zwar sofort! Der Bus ist kein Bierzelt."
Jackie raffte ihre Sachen zusammen, den leeren Colabecher ließ sie liegen.

"Der Bus ist kein Bierzelt, der Bus ist kein Bierzelt!", äffte ein Schüler den Chauffeur nach.
"Du kannst gleich mit aussteigen", keifte dieser zurück.
Beide verließen wortlos den Bus, der Bursche zeigte noch eine beleidigende Geste, dann trennte die Klapptüre das Duo von den Fahrgästen.

"Das arme Kind hat doch nichts angestellt, hatte nur Hunger", trat jetzt einer die Diskussion los.
Und schon teilten sich die Meinungen in pro und contra.
Die Alten gingen sowieso immer auf die Jungen los hieß es, jene hätten keine Manieren mehr, eckten gerne überall an, man kenne das ja.
Eifrige Streitereien brachen aus. Dass sie nicht in Handgreiflichkeiten endeten, war nur deshalb so, weil
nach und nach immer mehr Diskutanten ausstiegen. Andere Fahrgäste kamen neu hinzu, so wurde es ruhiger im Bus. Ganz still war es erst an der Endstelle, 'wo der Fuchs mit dem Schwanz bellt'.

Der Fahrer räumte brummend den Colabecher weg.
"Wenns nach mir geht, solls kein Essen mehr in den Öffentlichen geben. Nicht einmal Kekse, auch die machen Brösel."
Sein Wunsch wurde wahr. Nicht sofort, aber in absehbarer Zeit, da sich die Fahrkunden immer öfter beschwerten. Sie hatten es satt, sich in Ketchup und Cola zu setzen.

Seit ein paar Jahren schon ist bei uns in den 'Öffis' Essen &Trinken verboten und wird auch kontrolliert.
Gut so!
 
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GerRey

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Hallo aliceg!

Leider hast Du recht, dass es gut so ist, wenn das Verzehren von Speisen in Öffis verboten ist. Auch die Wiener Linien haben hier über eine umtriebige sozialdemokratische Stadträtin ein solches Verbot erreicht. In den Massenbeförderungsmitteln und zu Stoßzeiten ist das durchaus verständlich.

Aber ich aß auch sehr gerne im Vorortbus. Nach der Nachtschicht in der Früh beim Bäcker frische Ware kaufen und gleich darauf im Bus den Hunger stillen.

Ich kann mich noch erinnern, dass ich einen bösen Kommentar über die Stadträtin verfasste. Die Meinung belief sich darauf, dass in den U-Bahnstationen die Bäckereigeschäfte hohe Mieten berappen mussten - und jetzt würde man ihnen auch noch das Geschäft mit der Kundschaft verderben!

Mittleerweile arbeite ich auf eigenen Wunsch nur noch zum Wochenende und verzichte auf einen Snack bei der Heimreise. Die Mädchen in dem Bäckereiladen, in dem ich früher fast täglich einkaufte, hatten mich alle per Vornamen gekannt - wenn ich heute hin und wieder reingehe, weil ich etwas im Großeinkauf vergessen habe, grüßt man sich gegenseitig nur noch höflich distanziert.

So soll es wohl sein, in der modernen neuen Welt.

Gruß
GerRey
 

aliceg

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Hallo GerRey,

dein Kommentar erzählt ja auch eine kleine Geschichte.

Es gibt, wie so oft, zwei Parteien 'für und wider'.
Man müsste die Alltagspsychologie in Anwendung bringen, dass diejenigen, die das Verbot stört,
sich nicht gleich als Verlierer sehen, sondern ihre Kreativität gefragt ist. Heimlich abbeißen sollte leichter sein,
als heimlich rauchen:
Zum Beispiel aufdringlich Riechendes vermeiden, aus dem Papiersackerl futtern ohne zu bröseln,
wenn jemand genauer schauen will, sich sofort wegdrehen oder eben aussteigen, wenn's zu brenzlig
bezüglich Kontrollen wird und draußen weiteressen.
Schließlich sollte der Bahnsteig als Umgebung gut genug sein, um nicht dem Hungertod anheimzufallen ...

lg aliceg
 

GerRey

Mitglied
Ja, aliceg,

das Leben ist voller Geschichten.

Heimlich zu essen würde meinen Hunger nicht stillen. Eine Wurstsemmel (mit oder ohne Gurkerl) kann herrlich duften, wenn man hungrig ist. Dafür müssen Leute sehr früh aufstehen, um mir um 6 Uhr morgens eine solche Labung zu verschaffen. Ich könnte diese nicht erst zu Hause essen. Da habe ich andere Sachen parat. Und der Vorortbus fährt alle halben Stunden. Es gab also keine Wartezeit zwischen Dienstschluss, U-Bahn und Vorortbus. Alles war perfekt getaktet. Gerade noch von der U-Bahn ins Geschäft und zum Bus ...

Außerdem: Wer bröselt, schafft Arbeitsplätze.

Gruß
GerRey
 
Hallo aliceg,

ich war eine Weile nicht hier. Und jetzt fällt mir Deine Geschichte ins Auge.

Wie Du wohl weißt, bin ich Busfahrer in Köln. Da gibt es nur wenige Linien, wo es gemütlich zugeht. Klar gibt es stets ein Für und Wider, aber es kommt auch immer drauf an, wie sich die Leute benehmen. Unfallfreies Essen und Trinken ist in einem Bus, der ständig in Bewegung ist, einfach nicht möglich. Darum ist es ja verboten - zumindest, was warme Speisen und offene Getränke angeht. Was die Düfte angeht, gibt es da noch ganz andere Kategorien, die mitunter sehr viel unangenehmer sind, als zum Beispiel frisches Backwerk.
Zum Thema Benehmen: wer sich zu fein ist, seinen Müll wieder aus dem Bus hinaus zu nehmen, sollte es schon gleich lassen, überhaupt etwas zu essen oder trinken. Ich muss den Müll zum Glück nicht wegräumen, aber manchmal möchte ich diese Leute nach der Durchsicht an der Endstelle am liebsten für ihr schlechtes Benehmen ohrfeigen. Wenn man allerdings etwas sagt, kriegt man als Fahrer sehr oft nur dumme Kommentare. Das ist wirklich traurig.

Na, und für die Verspätung sind oft genug die Fahrgäste selber schuld, weil die Mehrzahl der Einsteigewilligen sich grundsätzlich an der Tür versammeln, wo auch die meisten aussteigen. Komisch, oder? Dass ein Gelenkbus drei, mancherorts sogar vier Türen hat, das scheint kaum jemand von denen zu wissen.

Deine Geschichte gefällt mir sehr, denn sie spiegelt mein tägliches Erleben wider.

Liebe Grüße,
 

aliceg

Mitglied
@ GerRey,
du müsstest mit Fortuna anbandeln, dich genau die U-Züge erwischen zu lassen, wo man dich nicht erwischt.
Aber lass es dir weiterhin schmecken :D


@ Rainer Z,
bisher wusste ich nichts von deinem anstrengenden Job. Da kannst du sicher einmal einen Roman schreiben.
Wie schön, dass dir meine lebensnahe Geschichte gefällt, die aus realen Beobachtungen stammt.

lg aliceg
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo aliceg,

oh, Du hattest es noch nicht mitbekommen? Okay, ich hatte es hier und da mal erwähnt. Einen Roman über meine Arbeit werde ich nicht schreiben. Das würde zu sehr als Klagelied verstanden, wie böse die Fahrgäste und die anderen Verkehrsteilnehmer doch sind und mir das Leben schwer machen. Aber natürlich gibt es auch nette Erlebnisse, verrückte Begebenheiten, die zum Schmunzeln Anlass geben. Es ist nicht alles beklagenswert. Dann hätte ich den falschen Job. Nein, ganz im Gegenteil: ich liebe meine Arbeit.
In der Abteilung Tagebuch habe ich einige Anekdoten veröffentlicht.

Liebe Grüße,
 



 
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