butterfly calling

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Tula

Mitglied
butterfly calling

wir waren auf dem flug nach
xanadu, die fühler stets am puls
der wiese hielten wir mit grüner
dünung unter uns den kurs
auf löwenzahn und anemone

die wonne sank, der mohn zog auf
ein bett für einen roten traum
drei flügelschläge lang, nicht mehr!
und doch, als wir erwachten, flogen
unsere schatten längst voraus

nun treiben wir durchs fahle licht
der dämmerung, erblindet fast
im odem eines scheusals, das
die wiesen hier verschlungen hat
im irren über stein und teer

wollen wir endlich wieder heim


PS: aus erostepost #63, Sommer 2022
 

sufnus

Mitglied
Hey Tula!
Ganz lieben Glückwunsch nachträglich zur Lit-Veröffentlichung in der schönen Offline-Welt! :)
Schmetterlinge sind seit jeher schon ein ebenso luftiges wie gewichtig-metaphorisches Thema in der Lyrik.
Es sind ja diese Tierchen auch irgendwie etwas zwielichtige Gesellen, als buntes Falterchen wissen sie durch ihr buntes Gaukelspiel zu erfreuen und als Raupe fressen sie mir das Hochbeet kahl.
Und so hübsch und zerbrechlich die Vollkerfe (klingt wie ein Schimpfwort, meint aber nur die "fertigen" Tierchen) rüberkommen, in der Rasterelektronen-Mikroskopischen Aufnahme gewinnt ihr Köpfchen plötzlich etwas bedrohlich-Alien-haftes.
Zwielichtig im Wortsinn ist auch das Leben der Falterfamilie, welches sich gerecht auf die Tag- und Nachtseite des Daseins verteilt, je nachdem ob wir das hübsche Tagpfauenauge oder sein nächtliches Pendant betrachten (oder z. B. den gruseligen nachtaktiven Totenkopfschwärmer).
Dieses Tag- und Nachtthema ist auch die poetologische Grundstruktur Deines Gedichts, Tula. Aber Du gibst hier natürlich nicht den Biologen, der uns etwas über die Lebensweise von Tag- und Nachtfaltern näherbringen möchte. Es geht hier vielmehr wahrhaftig um Leben und Tod.
Dass der Schmetterling in diesen existentiellen Gefilden als besonders bildkräftiges Phänomen wirkt, hat wohl mit der bemerkenswerten Mehrdeutigkeit seines Daseins zwischen Raupe, Puppe und Falter zu tun. Die Raupe verwandelt sich, z. B. am Endes eines Jahres (das gilt natürlich nicht für alle Schmetterlinge, ergänzt das Bild aber sehr gut) in eine wie tot am Stängel hängende Puppe, die so den Winter überdauert (vgl. hierzu aber auch den Zitronenfalter), um dann im Frühjahr fröhliche Auferstehung zu feiern.
Könnte ein tröstliches Bild sein. Bei den Alten, war der Schmetterling jedoch ein Hades-Tier und die abendländischen Auferstehungsbilder vorchristlicher Zeit enfalten eher Furcht und Schrecken als fröhliche Nektarsuche (der ist nämlich den Göttern vorbehalten).
Je nun. Wir wissen es einfach nicht besser.
Und beim Titel Deines Textes bin ich persönlich bei The Clash. Also auch eher im gedanklichen Düsterwald.
Dennoch hab ich Deinen Text äußerst gern umflattert. :)
LG!
S.

PS:
Und wer es alles etwas weniger schwerblütig möchte, der lese aus diesem Gedicht Parabelhaftes über die Liebe heraus und schlage nach bei Amor & Psyche (letztere nur echt mit Schmetterlingsflügeln).
 

Tula

Mitglied
Hallo sufnus
Zunächst herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar und Deutungsansatz. In der Tat sehe ich in Schmetterlingen in poetischer Hinsicht so etwas wie unsere Zwillingswesen. Der Begriff Volkselfe geht wohl ebenfalls in diese Richtung. Jedenfalls dürfte es wenige Dichter geben, ob klein, ob groß, die sich nicht irgendwann an ihnen inspiriert haben.

Gewiss, es geht ums Leben im weiteren Sinne und das sich-Verlieren (nicht-mehr-zurück-Finden), Wonne und Mohn in Kindheit und Jugend halten bzw. wirken leider nicht ewig. Hinzu kam (wenigstens in der Absicht) der Gedanke an die Zerstörung bzw. Abkehr von der Natur, die Kehrseite der Medaille unseres gesellschaftlichen Wohlstands. Nicht ganz zufällig machen sich unsere kleinen Verwandten in unseren tristen Paradiesen aus Beton und Asphalt (wir nennen das nicht selten: günstige Verkehrslage) in der Regel rar. Sicherlich weniger offensichtlich: 'Stein und Teer' in phonetischer Nähe von 'Sein und Mehr'.

Aber der geflügelte Zwilling tief in uns bleibt immer der, der wir mal waren. Wer das aufmerksame Lauschen noch nicht verlernt hat, kann ihn hin und wieder rufen hören. Ein Klagelied, er will manchmal wieder heim ...

Dankend lieben Gruß
Tula
 



 
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